8. April 2016
"Ich bin wütend und traurig"
Interview geführt von Giuliano BenassiBeim Interview in Berlin erzählt Ben Harper u.a., wie es zum Titeltrack seines neuen Albums kam und zu der Songzeile "Nenne es beim Namen: Es ist Mord".
Am frühen Nachmittag sitzt der US-amerikanische Musiker im noblen Romanischen Café am Berliner Bahnhof Zoo. Mit Wollmütze und legeren Klamotten müsste er unter den Businesskleidungsträgern eher auffallen, doch niemand scheint ihn wahrzunehmen. Ein Rockstar ohne großes Entourage, der guter Laune ernsthaft auf die Fragen eingeht. Auch wenn er den Schneeregen vor den großen Fenstern kritisch beäugt.
Eigentlich solltest du gerade in Australien und Neuseeland auf Tour sein. Stattdessen sitzt du nun hier im ungemütlichen Berlin und gibst Interviews. Kein guter Deal, wie mir scheint.
Na ja, beides hat seinen Platz.
Den Rest des Jahres bist du mehr oder weniger auf Tour und spielst unter anderem beim Fuji Festival in Japan. Das ist mir im Gedächtnis geblieben, weil laut Plakat auch DJ Harvey auftritt. Gemeint ist wohl eher PJ Harvey...
Wirklich?! Oh Mann!
Ich fand es eher amüsant. Am 8. April erscheint "Call It What It Is", dein erstes Album mit deiner Stammband, den Innocent Criminals, seit acht Jahren. Was ehrlich gesagt nicht wirklich aufgefallen ist, schließlich bringst du fast jedes Jahr eine Platte raus. Sehr gut gefällt hat mir "A House Is A Home", das du vor zwei Jahren mit deiner Mutter Ellen aufgenommen hast. Die ersten Male dachte ich, dass es eine Spur zu ruhig ist, aber es hat sich zum perfekten Album für ein gemütliches Wochenendfrühstück entwickelt.
Das freut mich!
Wie gehst du da vor, bei der Vielzahl an Projekten, die du am Laufen hast? Wachst du morgens auf und entscheidest, 'Ich will heute mit diesem oder jenem etwas machen?'
Ich denke da nicht groß drüber nach. Es ist reiner Instinkt.
Dann meinte dein Instinkt wohl, dass mal wieder die Innocent Criminals dran waren. Es dürfte nicht einfach sein, nach mehreren Jahren Pause eine Band mit sechs Mitgliedern zusammen zu trommeln, bei der jedes seine eigenen Projekte hat.
Genau. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis wir endlich fertig waren. Jeder hat so viel zu tun! Schließlich haben wir und einfach die Zeit dazu genommen, wir wollten es ja auch durchziehen.
Habt ihr die Lieder im Studio geschrieben? Oder hattest du sie vorher schon fertig?
Ich bin mit einigen fertigen Songs ins Studio gegangen, ein paar haben die anderen beigesteuert. Bei anderen hatte ich Ideen, die wir dann gemeinsam ausgearbeitet haben. Ein bisschen von allem, also.
"Eigentlich müsste ich wissen, wie der Hase läuft."
Bei so viel Output dürfte dir das Schreiben keine Probleme bereiten. Wenn dir ein neuer Song in den Sinn kommt – weißt du dann schon, mit wem du ihn spielen möchtest? Oder mit wem er am besten klingen würde?
Es ist tatsächlich so. Einige der Stücke, die wir eingespielt haben, hatte ich schon vor Jahren geschrieben und zur Seite gelegt, weil ich wusste, dass sie für die Criminals sind. Dazu gehören der Titeltrack und "Shine". Andere, wie "Goodbye To You", sind dagegen erst während den Sessions entstanden. Es gibt viel mehr Stücke als die, die schließlich auf dem Album gelandet sind. Wenn du die Titel nacheinander ließt, ergeben sie eine Geschichte, wie bei einem Buch. Die anderen haben da nicht reingepasst.
Nächstes Album?
Genau, nächstes Album.
Auch diesmal deckst du eine Vielzahl an Stilen ab: Reggae, eingängige Rock-Nummern, Folk, Blues und gar Gospel. Erstaunlich, wie es dir immer wieder gelingt, dass es wie aus einem Guss klingt.
Der Trick ist folgender: Ich bin ein sehr einfacher Mensch. Ich mache mir keine großen Gedanken über die Stücke oder fange an, sie in all ihre Einzelheiten zu zerlegen. Eigentlich bin ich auch nicht jemand, der Lieder schreibt – es sind die Lieder, die mich schreiben. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde mich jemand auf die Schulter klopfen und sagen 'Hey, da bist du wieder'. Ich habe mich schon oft gefragt: 'Warum schreibe ich gerade über Gott? Ich habe doch keine Ahnung, wer Gott überhaupt ist. Aber hey, der Song hört sich gut an!' Es gibt so etwas wie eine mysteriöse Quelle der Inspiration, die mich begleitet.
Warst du wütend, als du den Titeltrack geschrieben hast? Was hat dich dazu veranlasst?
Damals war ich nicht wütend, ich bin es aber jetzt. Wütend, frustriert und traurig.
Du erwähnst die Namen verschiedener Schwarzamerikaner, die durch die Polizei zu Tode gekommen sind. Der Refrain: 'Nenne es beim Namen: Es ist Mord'. Ein Stück, das um so mehr zum Nachdenken einlädt, weil du auf einfache Schuldzuweisungen verzichtest. 'Es gibt gute Cops, es gibt schlechte Cops, es gibt weiße Cops, es gibt schwarze Cops'. Doch am Ende bleibt es dabei, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ums Leben kommen.
So ist es. Man kann es ohne Umschweife genauso sagen.
Da behandelst du ein Thema, das auch bei N.W.A. oder Body Count, die wie du aus Los Angeles stammen, eine wichtige Rolle gespielt hat. Bei ihnen ist der Umgang aggressiv, bei dir eher nachdenklich. Doch die Wut spürt man bei euch allen.
Ich liebe N.W.A. und Body Count und verstehe ihre Wut. Es ist eine ganz besondere Art von Wut, die nur diejenige kennen, die aufgrund ihrer Hautfarbe in dieses Raster passen. Die musikalische Umsetzung fällt bei mir natürlich viel ruhiger aus. Ich war erstaunt, dass sich manche Fans daran angestoßen haben.
Erinnerst du dich an Neil Youngs Album vor ungefähr zehn Jahren?
"Living With War"?
"Genau. Er hat über die folgende Tour, mit Crosby, Stills And Nash, einen Film gedreht. Bei einem Konzert in Atlanta ist das Publikum bei "Let's Impeach The President" völlig durchgedreht und hat sie übel beschimpft."
Ja, den Film habe ich auch gesehen. Ich sollte mich also nicht wundern, meinst du?
Na ja, du bist schon lange tätig und hast immer gesagt, was du dachtest.
Stimmt, eigentlich müsste ich wissen, wie der Hase läuft.
"Haha, das hat mich noch keiner gefragt"
"Ich nehme an, dass der Opener des neuen Albums, "When Sex Was Dirty", ein Überbleibsel der Sessions mit deiner Mutter ist..."
Haha, nicht wirklich. Obwohl sie einen tollen Sinn für Humor hat, wahrscheinlich hätte sie also nichts dagegen gehabt.
"I remember when sex was dirty and the air was clean / and all worth knowing / was in a magazine". Ein guter Reim. Was steckt dahinter?
Ein gutes Gefühl. Ich hatte mich mit einem guten Freund unterhalten, der schwul ist, und wir haben uns gefreut, dass nun gleichgeschlechtliche Hochzeiten erlaubt sind. Es war ein sehr emotionales Gespräch, denn wir kannten uns schon seit 25 Jahren, also aus einer Zeit, als gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal waren. Und so haben wir uns daran erinnert, was wir alles erlebt haben. Die Zeiten, in denen wir noch in kleinen Clubs aufgetreten sind oder in denen Gras noch als Droge galt. Mittlerweile ist es in vielen Staaten der USA ja entkriminalisiert.
In einer gewissen Hinsicht feiert der Song auch die Innocent Criminals, die es ja auch schon 25 Jahre gibt und das alles erlebt haben.
Zurück zur Gegenwart: Du bist äußerst aktiv im Internet, ob über deine Webseite oder den einschlägigen sozialen Medien.
Wir tun das alles, um das Album so gut wie möglich zu promoten. Denn ich glaube wirklich daran.
Besonders gefallen haben mir die 90-sekündigen Snippets von den Studio-Sessions, die euch an den Instrumenten, aber auch beim Entspannen zeigen. Dein Schlagzeuger hatte übrigens ein P.I.L.-T-Shirt an.
Er hat in der Tat die ganze Band dazu gebracht, Punk zu hören.
War es dein 911er Porsche, den man im Hintergrund sieht, während du mit dem Skateboard übst?
Haha, das hat mich noch keiner gefragt, aber nein, der gehört dem Manager des Studios, dem Village in Los Angeles. Ein tolles Studio mit einer sehr intimen Atmosphäre, übrigens. Bob Dylan hat da "Planet Waves" aufgenommen, Fleetwood Mac "Rumours", die Rolling Stones "Goat Head Soup".
Intim sieht es auch in einem Video auf Youtube aus, in dem du "Call It What It Is" solo auf der Lap Steele spielst. War das im Folk Music Center?
Das Logo ist in der Tat dasselbe, aber das war im Norden Kaliforniens. Ich nehme es bei Soloauftritten manchmal mit. Da habe ich den Song zum ersten Mal gespielt. Wie immer eine ziemlich aufregende Sache, denn du weißt nie, wie die Reaktionen sein werden.
Das Folk Music Center & Museum wurde ja von deinen Großeltern gegründet. Das müssen sehr interessante Leute gewesen sein: Angefangen haben sie in einem Hinterzimmer, später kamen alle Größen der Folk-Szene bei euch vorbei. Dein Großvater hat Instrumente repariert, deine Großmutter hat unterrichtet, wie auch deine Mutter. Sie waren jüdischen Ursprungs, dein Vater dagegen ist Afroamerikaner. Also eine eher unübliche Kombination.
In der Tat trifft man nicht viele schwarze Juden.
Fühlst du dich auch jüdisch? Oder spielt das keine Rolle?
Ich hatte im Prinzip nichts damit zu tun, ich bin einfach auf die Welt gekommen. Aber klar, es gibt sicherlich genetische und auch kulturelle Wurzeln. Andererseits: Bist du ein Afrikaner, wenn du als Schwarzer in den USA geboren wurdest? Wie stark kommt deine genetische Prägung zum Vorschein, wenn du in einer anderen Kultur aufgewachsen bist? Genetisch bin beides, jüdisch und schwarz, kulturell – wer weiß? Man kann sich seine Eltern ebenso wenig aussuchen wie seine Rasse. Aber selbst wenn ich gekonnt hätte – ich hätte es nicht anders gewollt.
Ich bin ich – das ist doch genau so, wie man sich fühlen sollte.
Man sollte sich einfach nicht allzu viel mit unnötigen Dingen beschäftigen.
2 Kommentare
Sehr sehr guter Mann!
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.