laut.de-Kritik
Heute bin ich mal ein guter Mensch.
Review von Kai ButterweckMarianne Neumann und Rocco Horn alias Berge sind davon überzeugt, dass Musik nicht nur sprechen, sondern etwas verändern kann. So steht es zumindest auf der Homepage der beiden selbsternannten Großstadthippies geschrieben. Dort gibt es auch jede Menge Fotos der beiden Berliner zu betrachten: zwei junge Menschen, die trotz aller globaler Schattenseiten scheinbar viel Spaß miteinander haben. Ein Paar sind sie aber nicht, nur Freunde. Allerdings ziemlich dicke, und das schon seit zwölf Jahren.
Der eine oder andere Deutsch-Pop-Insider kennt Berge vielleicht schon. Bereits im Jahr 2009 erschien ihr Debütalbum "Keine Spur", das dem Duo sogar Gastspiele in Russland, Kasachstan und Litauen bescherte. So richtig geknallt hat es dann aber doch nicht. Sechs Jahre später schicken die Musiker nun ihr zweites Studiowerk "Vor Uns Die Sinnflut" ins Rennen.
Wo drückt der Schuh, nach Ansicht von Berge, denn am meisten? Song Nummer drei namens "10.000 Tränen" dreht sich um Tierschutz. Während sich gezupfte Gitarren und Piano-Tupfer ihren Weg in den Schunkel-Pop-Olymp ebnen, singen Marianne und Rocco aus der Sicht der Tiere: "Hört endlich auf, weil wir sonst zugrunde gehen. Jeder Moment tut unendlich weh. Und auch wenn die Welt 10.000 Tränen weint, es ist euch egal, ihr wollts nicht seh'n und lasst es geschehen."
Ähnlich instrumentiert, dringt der zweite warnende Zeigefinger des Albums durch die Boxen. "Die Fetten Jahre Sind Vorbei" beschäftigt sich mit der Gier nach Macht und nicht enden wollender Kriegstreiberei. Da stimmt sogar ein Kinderchor mit ein.
Dazwischen erfreuen sich Berge am fünften Element ("Glück"), schieben dem Alltagsstress einen Riegel vor ("Nimm Mich Mit") und kehren das Innere in uns allen nach außen ("Schauen Was Passiert"). Und siehe da: Es funktioniert. Trotz teils überzuckerter Soundlandschaften, die zwischen minimalistischem Folk, glattgebügeltem Schlager-Pop und standardisiertem Singer/Songwriter-Gezupfe hin und her schwanken, hört man den beiden Spreehippies mit den lieblichen Organen aufmerksam zu.
Vielleicht nicht unentwegt. Wenn sich die beiden Musiker beispielsweise in rosaroten Glückswelten verlieren ("Meer Aus Fragen") oder die grenzenlose Freiheit an die große Glocke hängen ("Wir Sind Frei"), wünscht man sich nur allzu sehr ein schnelles Ende herbei. Aber die Momente, in denen es drauf ankommt, bleiben hängen.
Das hat Folgen. So wird der Rezensent jetzt erst einmal "seiner" mitunter etwas nervenden und permanent wahllos in der Gegend rumstrullernden Gartenkatze ausnahmsweise ein paar freundliche Blicke zuwerfen. Und einen Nachbarschaftsstreit werde ich heute wohl auch nicht mehr anzetteln. Ich bin heute ein guter Mensch. Berge sei Dank.
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