13. Juli 2016
"Wir kommen diesmal durch die Hintertür"
Interview geführt von Kai ButterweckWeniger ist mehr: Drei Jahre nach ihrem Arenarock-Blockbuster "Opposites" melden sich Biffy Clyro mit ihrem neuen Album "Ellipsis" zurück.
Mit der Veröffentlichung ihres Megasellers "Opposites" im Januar 2013 katapultierten sich Biffy Clyro endgültig in die Ruhmeshallen des Rock-Olymp. Plötzlich ging es nicht mehr größer: Biffy Clyro hier, Biffy Clyro da, Biffy Clyro überall. Drei Jahre später schalten die Schotten nun wieder zwei Gänge zurück.
Kein Orchester, keine übereinander gestapelten Gitarrenspuren: Biffy Clyro schleichen sich mit ihrem neuen Album "Ellipsis" eher durch die Hintertür herein. Aber keine Sorge: Sind sie erstmal drin, will man sie nicht mehr loswerden. Auch in Natura hat man die Jungs gerne um sich rum. Sympathisch und frei von Allüren standen Simon Neil und die beiden Brüder Ben und James Johnston der Presse in Berlin Rede und Antwort. Wir waren natürlich auch dabei.
Drei nackte Männer in Embryohaltung: Das Cover eures neuen Albums ist ein echter Hingucker. Hat euch das Fotoshooting Überwindung gekostet?
Simon Neil: Nein, gar nicht. Es fühlte sich total normal an. Es passte irgendwie perfekt zum großen Ganzen.
Was ist denn das große Ganze? Ein Neuanfang?
Simon Neil: So in etwa. Natürlich ist es kein richtiger Neuanfang. Wir waren ja nicht von der Bildfläche verschwunden. Aber "Ellipsis" geht schon in eine andere Richtung als "Opposites".
In meinen Ohren klingt es überraschend positiv.
Ben Johnston: Warum überraschend?
Naja, ich las im Vorfeld von Depressionen und Schreibblockaden. Ihr habt ja im vergangenen Jahr auch einige tragische Verluste in eurem näheren Umfeld verkraften müssen.
Simon Neil: Ja, das vergangene Jahr war nicht einfach für uns. Es sind viele wichtige Menschen um uns herum gestorben. Das waren für uns neue Erfahrungen, auf die wir natürlich gerne verzichtet hätten. Aber das Leben ist nun mal so. Wenn man älter wird, ändern sich die Dinge. Man muss dann lernen, damit umzugehen. Das braucht Zeit. Ich habe mich lange Zeit leer gefühlt. Wir alle haben uns lange Zeit leer gefühlt.
Wie seid ihr aus diesem Loch wieder rausgekommen?
James Johnston: Wir kennen uns schon ewig. Ich meine, Ben und ich, wir sind Brüder. Und Neil kennen wir auch schon, seit wir denken können. Wenn man so eng miteinander verbunden ist, dann hilft das natürlich ungemein. Wir waren einfach nur füreinander da. Wir haben viel miteinander geredet und uns gegenseitig aufgebaut. Das war der Schlüssel.
Simon Neil: Der Verlust meiner Großmutter oder der Tod unseres ersten Tourmanagers waren natürlich einschneidende Momente. Aber es war generell nicht einfach. Wir waren fast zwei Jahre konstant auf Tour. Überall hat man uns in den Himmel gelobt. Dutzende Leute haben uns an die Hand genommen und uns von einem Termin zum anderen geschleppt. Und dann kommt man plötzlich wieder nach Hause und alle erwarten, dass der ganze Prozess von vorne beginnt. Das funktioniert aber nicht auf Knopfdruck. Schon gar nicht wenn der Akku leer ist.
"Man fällt automatisch in ein Loch"
Irgendwann hat es dann aber klick gemacht.
Simon Neil: Wenn ich neue Lieder schreibe, dann muss ich mich fallen lassen können. Ich muss verwundbar sein. Das kann ich aber nur, wenn ich mich frei fühle. Ich darf keine negativen Gedanken mit mir rumschleppen. Das funktioniert bei mir nicht. Ich musste also erst einmal alles verarbeiten. Und dann ging es auch. Dann kamen die Ideen. Und plötzlich sitzt man dann vor einem Haufen neuer Songs. (lacht)
... die einen musikalischen Neuanfang einläuten. Mit "Opposites" habt ihr eure zweite Album-Trilogie abgeschlossen. Das neue Album "Ellipsis" markiert den Beginn eines neuen Zyklus. Was ist eigentlich herausfordernder? Eine Trilogie auf die Spitze zu treiben? Oder komplett von vorne anzufangen?
Ben Johnston: Puh, das ist eine schwere Frage.
James Johnston: In der Tat. Ich finde beides unheimlich spannend.
Simon Neil: Ich denke auch, dass beide Prozesse sehr eng miteinander verknüpft sind. Als wir die letzten drei Alben mit Garth Richardson angegangen sind, stand stets das Maximum im Vordergrund. Wir kamen aus dem Hinterhof und wollten in den Rock-Olymp. Mit Garth hat das super funktioniert. "Opposites" kann man meiner Meinung nach in puncto Bombast und Energie kaum noch toppen. Das war eine große Herausforderung für uns alle. Aber wir wollten unbedingt den höchstmöglichen Gipfel erklimmen. Das haben wir dann auch geschafft.
Danach fällt man aber automatisch in ein Loch. Man weiß, dass man ganz oben steht und es eigentlich nur noch bergab gehen kann, wenn man darauf drängt, die Richtung beizubehalten. Das war uns bewusst. Glücklicherweise haben wir unser Ziel damals mit Abschluss des letzten Albums erreicht. So konnten wir uns völlig unbeschwert auf neue Aufgaben konzentrieren. Hätten wir das Gefühl gehabt, dass nach "Opposites" noch Luft nach oben wäre, hätten wir ein Problem gehabt. (lacht) So passte aber alles. Mal abgesehen von der danach folgenden Phase, die uns etwas aus der Bahn warf.
Ben Johnston: Die kam auch sehr unerwartet. Ich meine, persönliche Verluste hat man nie auf dem Schirm. Und wenn es dann auch noch so geballt kommt, macht man sich schon so seine Gedanken.
James Johnston: Für uns war aber immer klar, dass wir kein depressives Album aufnehmen wollten. Wir hatten zwar mit vielen Problemen zu kämpfen. Aber die Musik sollte wieder Licht ins Dunkel bringen. So sind wir die Aufnahmen dann auch angegangen. Als es aus Simon wieder raussprudelte haben wir uns in die Augen geschaut und gesagt: Alles wird gut. Und so lief es dann auch.
War der Produzentenwechsel ein Schlüssel?
Simon Neil: Auf jeden Fall. Mit Garth lief es super. Für die drei Alben davor hätten wir keinen besseren Mann an Bord haben können. Aber diesmal wollten wir uns wieder mehr gehenlassen. Wir wollten experimentieren, Neues kreieren und aus dem Bauch heraus musizieren. Wir wollten weg von der Hauptstraße, und wieder zurück in die kleinen Gassen (lacht). Dort, wo man unbeobachtet arbeiten kann, dort wollten wir uns austoben.
"In der Rockmusik passiert mir momentan zu wenig"
Und dort saß dann Rich Costey auf dem Bürgersteig?
Simon Neil: So ungefähr. (lacht)
Ben Johnston: Rich war die perfekte Wahl. Seine bisherigen Arbeiten (Boots, Esperanza, Fiona Apple) haben uns sehr beeindruckt. Er ist ein Produzent, der für alles offen ist. Und genau so einen haben wir gesucht.
Simon Neil: Ich meine, es ist doch so: Wir sind eine Rockband, keine Frage. Und ich denke, dass wir auch diesmal wieder wuchtige Nummern mit am Start haben. Aber wir sind auch Weirdoz; Typen, die sich ausprobieren wollen und keine Lust auf Stagnation haben. Wir haben auch mal Lust auf Neues. Musik kann sehr schnell langweilen. Wenn man immer nur in eine Richtung guckt, verliert man irgendwann das große Ganze aus den Augen. In der Rockmusik passiert mir momentan einfach zu wenig. Es werden keine Risiken mehr eingegangen. Ich meine, wir hätten es uns auch einfach machen können. Wir hätten auch ein weiteres "Opposites" aufnehmen können. Vielleicht hätten wir jetzt schon ausgesorgt, wenn wir diesen Weg gegangen wären. Das wollten wir aber nicht. Wir wollten uns als Band neu aufstellen. Wir wollten es angehen, wie die Dudes, die gerade den Hip Hop revolutionieren. Da passiert momentan unheimlich viel. Dieses Feuer wollten wir auch entfachen. Und ich denke, dass uns das mit dem neuen Album auch ganz gut gelungen ist.
Hip Hop?
Simon Neil: Ja! (lacht) Der geht gerade richtig ab. Wir haben versucht, diesen Mut in die Rockmusik einzubinden. Wir haben beispielsweise die Drums verzerrt. Da hat Rich richtig große Augen bekommen (lacht) und dann haben wir cleane Gitarren draufgelegt. Normalerweise produziert man andersrum. Aber was soll's? Es klingt geil. Man muss es einfach nur ausprobieren.
Ben Johnston: Hip Hop war aber nur ein Anreiz von vielen. Wir haben während der Produktionsphase auch viel Deafheaven und Tears For Fears gehört. Hört man das?
Ich hab erst einen Durchlauf hinter mir. Die Zeit war knapp. Vielleicht sollten wir uns nächste Woche nochmal treffen. Dann ...
Ben Johnston: (lacht) ... bin ich gespannt. Wir kommen diesmal eher durch die Hintertür.
Simon Neil: Wenn du es nicht raushörst, dann solltest du dir dringend einen neuen Job suchen. (lacht)
Ach, doch so offensichtlich?
Simon Neil: Auf jeden Fall. Spätestens nach dem dritten Durchlauf.
Die Mixtur klingt spannend. Ihr seid wirklich höchstzufrieden. Das merkt man euch an.
Ben Johnston: Wir sind happy. Das Album macht uns glücklich. Im Moment kann uns niemand die gute Laune vermiesen. Es sei denn, jemand beschwert sich über meinen schottischen Akzent (lacht).
Bitte?
Ben Johnston: Ich hatten vorhin einen Phoner mit einer Dame, die mich nicht so richtig verstand. Sie fragte mich dann, ob ich nicht auch normales Englisch sprechen könnte. Da wurde ich etwas ungehalten.
Da sollte sich wohl jemand einen neuen Job suchen.
Ben Johnston: Oh ja! (lacht)
Habt Dank für das nette und durch und durch verständliche Gespräch.
Ben Johnston: Sehr gerne.
4 Kommentare mit 3 Antworten
"Aber wir sind auch Weirdoz; Typen, die sich ausprobieren wollen und keine Lust auf Stagnation haben. Wir haben auch mal Lust auf Neues." Nach wie vor erstaunlich, wie verzerrt Menschen die Realität wahrnehmen können. Das wird nur von Campino im letzten Hosen-Interview getoppt.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Jo schottischer Akzent klingt doof
Schottischer Akzent ist super!
der beste!
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
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