14. Februar 2017

"Mach einen Popsong und zerstör' ihn"

Interview geführt von

Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst kommt für eine Stippvisite ins verschneite Berlin. Nur wenige Meter entfernt von einer Magic Bar spricht er mit uns über das neue Album "Magic Life".

Schritte im Treppenhaus, dann geht das Licht aus. Ein angedeuteter Seufzer, weniger genervt als das gerade überwundene Schneechaos vermuten lassen würde. Dann geht das Licht wieder an und der aktuell wohl bekannteste Blondschopf Österreichs leuchtet die Stiegen herauf. Roter Mantel, Zebrahose, Koffer in der Hand – Maurice Ernst auf Promo-Tour: "Lassens dich net rein?"

Nein, tun sie nicht. Und ihn auch nicht. Also steht man erst einmal kurz im Treppenhaus, ehe Maurice durch die Tür telefoniert und doch noch erhört wird. Und so geht es hinein in die gute Labelstube Maschin Records', wo der Bilderbuch-Sänger bei einer Tasse Tee aus dem Erzählen gar nicht mehr herauskommt ...

Zu "Schick Schock"-Zeiten wart ihr noch auf der Jagd – jetzt lasst ihr die Mädels zu euch kommen. Kann man das so sagen?

Maurice Ernst: Vielleicht ist das der Punkt: Es ist ein wenig erwachsener, gediegener, introvertierter. Es will zwar noch immer extrem viel, aber die Richtung hat sich ein bisschen gedreht. Besser kann ich es nicht beantworten. Wir sind wahrscheinlich immer noch auf der Jagd nach irgendetwas. Die Frage ist nur: Wonach? Ich glaube, dessen muss man sich nicht immer bewusst sein. Wir sind getriebene Jungs, die halt irgendwas suchen.

Um das mal auf eure Karriere zu beziehen: Durch "Schick Schock" habt ihr euch ja einen gewissen Status erkämpft. Kann man jetzt ein wenig die Aussicht genießen und das machen, was man will?

Naja, wir haben grundsätzlich immer das gemacht, was wir wollten, auch dank Maschin Records, unserem eigenen Label. Ab "Schick Schock" waren wir so dermaßen unsere eigenen Chefs, dass man sich natürlich überlegen musste, was man auf dem nächsten Album macht. So gesehen ist "Magic Life" vielleicht wieder nur ein Step in deiner Frage, wie wir das vielleicht angehen könnten. Wir wollten nicht "Schick Schock 2" machen. Das war uns persönlich extrem wichtig. Dass man sich, egal was dabei rauskommt, nicht wiederholt, sondern überrascht. Das ist so ein bisschen unsere Prämisse.

Auf Nummer sicher geht ihr mit "Magic Life" bestimmt nicht. Ich muss aber auch sagen, mit allem werde ich noch nicht warm.

Das hat ja auch Zeit. Es muss nicht immer alles gleich vom ersten Tag an funktionieren. Klar, "Schick Schock" war auch eine Pop-Ansage. "Magic Life" ist eher ein Album, das wir skizziert haben und das dir längerfristig auch ein Gefühl gibt von diesem 2016. Es hat schon Pop-Momente, die herausstechen und die wir teilweise auch sehr aggressiv poppig angegangen sind. Aber im Großen und Ganzen ist es ein sehr ehrliches Album, das sehr nah bei uns ist. Wir haben uns einfach eingelassen auf Gefühle, die da waren.

Bei "Schick Schock" habt ihr den Sound ja mehr oder weniger vorher auf einer EP ausprobiert. War das auch diesmal eine Option?

Nein, diesmal haben wir uns am Tag X einfach zusammengesetzt und entschlossen, ein Album zu machen. Dann sitzt du bei Null da und fängst an, Musik zu machen. Nicht gleich mit Konzept, sondern du schaust erst mal, in welche Richtungen es geht, was dir gerade liegt. Wo bist du zuhause, wenn du Musik machst? Und dann hast du einige Demos und entscheidest dich ab einem gewissen Grad dafür, das Ding "Magic Life" zu nennen, baust dir quasi einen Schirm, unter den du das Ganze stellen könntest. Dann legst du eine Art Dramaturgie fest, nimmst die Songs, die am besten in diese Vision passen und packst sie auf ein Album. Dort machst du weiter und bringst es schließlich zu Ende.

Für mich klingt das Album ein wenig so, als wärt ihr quasi in zwei entgegengesetzte Richtungen von "Schick Schock" weggegangen. Einerseits ist "Magic Life" trashiger, andererseits aber auch deutlich weniger zugänglich und teilweise verkopfter.

Das seh' ich auch so. Wir wollten so eine Mischung. Ich finde schon, dass die Herangehensweise ziemlich modern ist. Wir haben nicht versucht, irgendeinen Retroweg einzuschlagen. "Sweetlove" zum Beispiel – die Kompromisslosigkeit, einen Song nur mit Gitarre und Gesang machen zu können. Um sich diese Nummer auf diese Art und Weise zu trauen, hat man erst mal zwölf Jahre lang laut Rock'n'Roll machen müssen.

Es ist gewissermaßen ein digitaler Gitarrenballadensong, der so unserer Meinung nach noch nie da war. Wie kann man der Gitarre Platz in 2017 geben, wie kann man sie mitnehmen, wie kann man ihr einen Raum schaffen, der nach heute klingt? Der in zwanzig Jahren nach heute klingt – nach 2017? Und nicht nur nach schlechteren 70ern.

Oder ein anderes Beispiel: "I Stress" versucht, Hip Hop und die europäische Alternative-Welt durcheinander zu bringen und haut gefühlt und musikalisch Radiohead und Kendrick Lamar in einen Topf. Wir haben probiert, für uns neue Türen einzutreten. Es wär' ja auch zach: Stell dir vor, es gäbe alles irgendwie doppelt, du musst entweder deine Arbeitsweise ändern oder deinen Blickwinkel. Diesmal war es nicht die Arbeitsweise, die sich grundlegend verändert hat. Aber statt eine Idee zu überhöhen und den Leuten den Spiegel vorzuhalten, haben wir eher mal in uns geschaut.

Nach "Schick Schock" folgte ja gewissermaßen der Höhepunkt des europäischen Juhu-Gedankens, bevor dann alles kaputt gegangen ist. Okay, es war Finanzkrise, aber das hat uns Mitteleuropäer nicht betroffen. Eher so: "Mein Gott die Griechen, Finanzkrise – das wird schon passen irgendwie." Gibt zwar keine Zinsen und Kredite mehr, aber junge Leute denken sich: "Pff, whatever." Auf eine gewisse Art und Weise zumindest. Man konnte das mit einer gewissen Distanz behandeln können. "Magic Life" geht dahingehend viel bewusster mit der Verantwortung um, Musiker zu sein in unserer Zeit. Das war unsere Medizin, um damit klarzukommen.

Hat sich euer Musikgeschmack auch deutlich verändert seitdem?

Nein, das glaube ich gar nicht. Aber es ist weniger direkt von Idolen inspiriert. Wir haben nicht gesagt: "Boah, wir wollen attitudemäßig sein wie dieser Künstler." Das Album ist insgesamt sehr intuitiv entstanden.

"Wir wollen den Leuten ein Gefühl mitgeben"

Weil du vorhin kurz auf das eingegangen bist, was um euch herum geschehen ist: Wirtschaft, Politik etc. – glaubst du, ihr macht mal ein Album, auf dem ihr solche Dinge explizit ansprecht?

Nein, das ist nicht unser Stil, glaube ich. Vielleicht passiert es irgendwann, kann ja sein. Meiner Meinung nach ist es künstlerisch wichtiger, diese Sachen breiter anzugehen, sie eher als eine Art Bild in die Ecke zu stellen und weniger nur eine Lösung parat zu haben. Mich nervt auch dieses Sich-aus-der-Affäre-ziehen mit einem Beitrag auf Facebook, so super der auch sein mag. Fünf Zeilen und jeder weiß, was man denkt – toll. Aber es weiß ja eh jeder, was man denkt. 90 Prozent der Bilderbuch-Fans wissen, wie ich denke. Das ist ja kein Geheimnis, das hören sie. Deshalb ist es für uns viel wichtiger, dass wir den Leuten ein Gefühl mitgeben. Ein Gefühl, das sich irgendwie zeitgemäß anfühlt.

Nichts was eh nur dieses Jahr funktioniert und danach schon wieder Schnee von gestern ist. Es ist nicht nur ein Cabaret auf irgendwelche Probleme, es ist nicht nur eine intellektuelle Herangehensweise an unsere Existenz – so traurig sie sein mag –, sondern es ist eine Gratwanderung, wie man sich zu dieser Zeit fühlen kann. Hey, wir sind Musiker, wir haben etwas probiert. Für mich liegen gewisse Dinge extrem auf der Hand. Die wenigsten Leute wissen wahrscheinlich, dass "Magic Life" bzw. "Magic Life Club" eine All-Inclusive-Club-Kette in Österreich ist. Und teilweise fühlt sich unser Leben an, als wären wir da hineingeboren. Du wartest halt auf den Tag, an dem der Urlaub zu Ende ist. Hinter den Mauern ist die wahre Welt. Oder: "Magic Life" – umgeben von Trugbildern. Sind wir echt? Wer ist echt? Wo fängt der Künstler an, wo hört er auf?

Oder: Wir leben einfach nur "Magic Life", weil wir das Glück hatten, mit "Schick Schock" einen gewissen Grad zu erreichen. Also auch wieder sehr privat. Das Leben ist einfach was Positives. Trotzdem fragt man sich: Wo ist das Echte? Man könnte diesen Titel rein theoretisch auf so viele Sachen legen, die ich 2016 wahrgenommen habe, weshalb er mir extrem viel bedeutet.

Ein chinesischer Popstar hat bei den Studentenprotesten am Tiananmen-Platz einen Lovesong gemacht. Das war die Hymne für die Studenten. Obwohl es nur ein Lovesong war. Weil er das so gesetzt hat, dass die Leute sofort verstanden haben, wer die Geliebte war. Sie war China und nicht irgendwas. Großartig! Und ich glaube genau darum geht es als Künstler: Man muss die Dinge nicht immer direkt an die Wand malen, allen möglichen Leuten was erklären und sich extrem politisch zeigen, um politisch zu sein. Ein Gefühl – gerade in dieser Zeit – ist so viel stärker. Ein Popsong wie "Bungalow" ist viel stärker als würde man einfach nur hinschreiben, was sich eh jeder denkt.

Für "Bungalow" und das Video werden uns Leute hassen. Das müssen sie mit sich selbst ausmachen. Sie merken, wenn sie eine nicht so gute Meinung haben von gewissen Dingen, zu denen ich eine andere Meinung habe. "Nicht so gut", das ist schon wieder wertend, haha. Also: Von denen sie eine andere Meinung haben als ich. Dann ist es einfach genau das, wozu "Bungalow" einen Prozentanteil beigibt: Dass sich unsere Gesellschaft ein bisschen verbessert. Wir sind als Musiker und Künstler wichtiger denn je seit ich lebe. Jedenfalls gefühlt. Seit mindestens fünfzehn Jahren hab ich das Gefühl, dass wir jetzt sehr gefragt sind.

Eigentlich könnten wir jetzt schon aufhören. Das war perfekt.

Naa, soviel einfach dazu, was dir 2016 so durch den Kopf gegangen ist, während du im Studio sitzt. Du bist Mitte zwanzig und hattest Erfolg mit einer Platte, die eigentlich karikiert und zeichnet, wie wir sein wollen. Aber schon mit so einem morbiden Charakter, dass du dir denkst: "Okay, alles was da geschrieben wird, bricht jeden Moment ein. Es bricht schon in dem Moment ein, in dem es gesungen wird." Ob das jetzt ein Lamborghini ist oder dieses "OM" oder "Plansch" oder "Gigolo" – des is wuascht. Es ist alles so: "Huh?" Nicht ganz real. Und dann passieren Dinge ... die Prophecy ist quasi echt geworden. Es hat sozusagen einen Knall gemacht.

"Magic Life" ist gewissermaßen eine Reaktion auf "Schick Schock". "Investement 7" ist der "Gigolo", der sich verliebt hat und sich endlich die Frage stellt: "Boah, vielleicht sollte ich doch mal in die Liebe investieren." Gleichzeitig kommt aber heraus, er ist ein hilfloses Opfer, denn es ist nur sein siebtes Investment und eigentlich könnte es ein achtes, ein neuntes, ein zehntes geben. Es ist nur ein weiterer Schritt in seiner Agenda. Ein weiterer Move, den er sowieso irgendwie nicht ganz ernst nimmt – auch wenn er es gern wollte. Er verliert sich sozusagen in dieser Welt. Das sind die Momente, in denen sich ein bisschen die Gedanken- und Gefühlswelt verändert hat. Und das ist glaube ich ziemlich nahe an der Realität. Wenn man es erfühlen will. Aber das muss man nicht. Das ist nur das, was ich gefühlt habe.

Was könnte die Reaktion auf "Magic Life" sein?

Ich glaub' wieder das krasseste Gegenteil. Diesmal war es ja auch ganz lustig: wir hatten mehrere Demos und im Grunde gab es zwei Möglichkeiten. Die eine war "Magic Life" und die andere war komplett anders. Letztendlich leimt Bilderbuch das irgendwie in der Mitte zusammen. "Magic Life", "Schick Schock" ... am Ende klingt alles nach Bilderbuch. Aber für uns war es allein von der Philosophie her ein anderer Weg. Irgendwo haben wir uns entschieden, ob wir diesen oder jenen Liederpfad beschreiten. Und wenn du mich fragst, arbeiten wir in nächster Zeit krass in die andere Richtung, weil es eben die Alternative war. Die mögliche nach außen gerichtete Utopie. Das will ich nicht teasen, weil es ja noch nicht fertig ist und nur eine Idee. Ideen haben viele. Ein fertiges Album ist was anderes.

Kommen wir nochmal auf "Bungalow" zurück. Das ist ja mehr oder weniger der safe Hit des Albums. Im Video fahrt ihr auch eine klare Linie. Wie ist denn eigentlich das Life so als Sexsymbol deiner Generation?

Haha, das ist natürlich ein Spiel damit. Um das Gendergame noch ein bissl weiterzutreiben. Nicht nur auf eine androgyne 90er-Art, sondern man versucht sozusagen Bruce Springsteen mit Brian Molko zu verbinden. Auf gewisse attitudesmäßige Art und Weise. Wie darf sich ein Mann geben, um gewissermaßen in einer Woman's World, nicht einer Man's World zu bestehen? Deswegen bin ich auch grad so happy, dass ich mit der Regisseurin Elizaveta Porodina so gut zusammengekommen bin. Eine Frau als Gegenpart in der Rolle des Poledance-Menschen hat mir einfach das richtige Gefühl gegeben. Das hat nichts mit machoeskem Shit zu tun, sondern ...

So kommt es auch nicht rüber.

Genau! Und ich glaube, das ist der Punkt. Das ist ein Drahtseilakt in unserer Zeit. Wenn eine Frau im neuen Ariana Grande-Video an einer Poledance-Stange tanzt, dann interessiert das theoretisch keinen Schweinshund. Oder es sagt halt jeder: "Jaja, ist geil." Und jedes Mädel sagt: "Cooool. Die tanzt cool." Der Punkt ist: Es wird so hingenommen. Ich glaube, das ist auch ein Verdienst, damit in der deutschsprachigen Musik gewisse Grenzen einzureißen. Es muss nicht nur humoristisch sein, keine Parodie auf Poledance sein, sondern es kann auch ernst gemeint sein. Es kann auch ernst probiert sein. Ich hab' mir Mühe gegeben! Ich hab' geschwitzt, ich hab mich ins Zeug gelegt und wollte eine gute Figur machen. Nicht à la 257ers mich nur lächerlich machen. Das ist der feine Unterschied, der längerfristig zu etwas Gutem führt.

Wo sind denn sonst die Feelings? Wir versuchen einen Fehler zu konservieren, ihn mit reinzunehmen ins Boot und diesen charmanten Moment mitzunehmen, obwohl uns das vielleicht rein technisch die Möglichkeit nimmt, was draus zu machen. Fast jede Autotune-Stimme auf dem Album zum Beispiel ist ein First-Take. Bei "Sneakers4free" ist dieser Part drin: "Seit ich ein Kind bin ... whuiii". Ohne Witz: Das war die letzte Zeile, die mir noch gefehlt hat, die Idee hab' ich mir in einem Restaurant aufgeschrieben, mich dann daheim an meinen Laptop gehockt und ohne es vorher einmal laut zu singen aufgenommen. Und die Spur hab' ich genommen. Das hat dann natürlich einen Character! Es würde ja nix bringen, wenn man sagt: "Okay, das machen wir jetzt neu. Und besser." Dazwischen wird es interessant!

Was lässt du liegen, was nimmst du mit? Das höre ich in Deutschland nicht sehr oft. Dass jemand den Fehler überstilisiert. Weißt, wie ich mein'? Den Fehler nehmen und als das Prunkstück des Songs verkaufen. Mach einen Popsong und zerstör' ihn. So ist das auch bei "Bungalow" mit dem Gitarrensolo in der Mitte. Wir haben nen Beat, nen Refrain und wir alle sagen: "Joa, aber des is fad oder?" Also: Bäm! Dann werden halt kurz verschiedenste Parts ausprobiert, das Gitarrensolo bleibt und der Song geht wieder weiter. So macht man Nummern strange. Strangeness ist extrem wichtig. Wenn du was hast, was funktioniert, dann zerstörs! Machs einzigartig!

Ich wollte ohnehin noch auf die deutsche Musikszene zu sprechen kommen ...

Sie lässt sich momentan für mich schwer zusammenfassen. Vor drei Jahren war deutscher Hip Hop noch einfach zu erfassen, jetzt wird alles ein bissl diffuser. Aber um die deutsche Szene auch einmal in Ruh' zu lassen, sag ich einfach nur: Der spielerische Umgang zwischen Witz und Ernsthaftigkeit ist nicht so ihre Stärke. Das gelingt uns auch nicht hundertprozentig, aber wir finden, gerade dort findet der Charme statt. Das hatten wir ja grad schon: Es gibt Sachen, die wollen nur lustig sein. Es gibt Sachen, die wollen nur intellektuell sein. Und dann gibts halt Sachen, die wollen Pop sein.

Ist eh ein Wahnsinn, was gerade in den Radios passiert: Computergenerierte Songs laufen auf und ab, mit Saxophon und tschick tschick tschick. Das heißt dann Alle Farben und er selber macht nichts, sondern lässt sich Songs schreiben, obwohl er Producer ist. Was da für ein Schindluder getrieben wird mit den Zuhörern, denen irgendeine Marke verkauft wird.

Früher dachte ich: "Die werden das schon irgendwie selber machen." Aber naaa, das tun sie nicht! Das ist einfach ein riesen Beschiss. Irgendwann kriegt mans halt mit und sitzt erst mal fassungslos da. Und plötzlich wird's immer spezieller, was man selbst macht. Wir hocken uns in einen scheiß weißen Raum und überlegen uns, wie das nächste Album ausschauen könnte. Wir raufen uns zusammen für einen einzigartigen Moment. Und dann gibt es Acts, die stellen sich hin und sind Marionetten von irgendwas. Ich würd' durchdrehen! Und die Leut' fressen das, weil es ihnen nicht offenliegt. Aber das ist wahrscheinlich das Showbusiness.

Deswegen bin ich aber auch stolz drauf, dass wir sind, was wir sind, und verzeihe uns jeden Fehler. Ich bin eigentlich happy darüber. Mit amerikanischer Musik kann man das auch schlecht vergleichen. Das ist inzwischen auch fast ein organisiertes Hollywood-Verbrechen sozusagen. Frank Ocean zum Beispiel: Ich mag dieses Album extrem, aber es gaukelt einem Melancholie vor, obwohl es gar nicht melancholisch ist! Es ist eine konstruierte Idee von Melancholie, die von ungefähr 150 Leuten kontrollgelesen wurde und kontrollproduziert. Dort macht der James Blake ein "Riiii", da schreibt der ein bisschen Text, da spielt der und da tut der noch ... Ja eh. Super. Danke für euren extrem genialen Entwurf von Chaos. Den hätte man eigentlich alleine auch machen können.

Man glaubt ja, der talentierte Frank Ocean, der in sich geht. Aber eigentlich ist es ein bisschen Verarsche. Das nervt mich. Man kann auch Pop machen, der ans Limit des Scheiterns geht. Es ist schon okay, wenn man in sich perfekt sein will, aber dann soll man das bitte auch als Perfektion verkaufen. Dann soll das selbstbewusst rüberkommen. Deshalb ist "Schick Schock" auch so selbstbewusst. Weil es ein ziemlich perfektes Album ist. Weil wir uns Mühe gegeben haben, richtig perfekt zu arbeiten. Natürlich mit Abstrichen da und dort, aber es war schon so ein Michael Jackson-Gedanke: Hit, Hit, Hit.

Unser erstes Album war Song-by-Song, das zweite war ein Gefühl, das wir konserviert haben, nach dem Motto: Wir jammen in einem Raum, drücken auf Play und was dabei rauskommt, schauen wir uns nachher an. Das dritte war Hit, Hit, Hit und jetzt wollten wir uns wieder ein bisschen fallen lassen. Das brauchts auch. Wir haben halt nicht diese zehn Produzenten, die sagen: "Hey, euch gehen noch die drei Hits ab."

Hat euch jemand schon mal angeboten oder nahegelegt, sowas auszuprobieren?

In der Regel kriegst du nichts, weil die Leute checken, wie wir funktionieren. Wir waren einmal eine Woche auf Austausch und sind zu den Krauts gefahren, einfach um unseren Horizont zu erweitern. Das sind super nette Typen, die Seeed-, Marteria- und Peter Fox-Produzenten. Wir wollten schauen, ob die auch nur mit Wasser kochen oder das wirklich eine andere Welt ist. Es war eine super Woche und wir haben auch was Sinnvolles gemacht. Rein theoretisch: zwei Wochen länger und wir hätten nen fertigen Song gehabt. Trotzdem war am Ende der Konsens: "Hey, ihr braucht keinen Produzenten." So wie die Band funktioniert, mit unserem Wir-Gefühl, ist das eher die Frage eines Mental-Trainers, der uns ein bisschen unter Kontrolle hält. Wie so einen Energieball.

"Retro bringts nimmer!"

Ich würde noch gern kurz auf die anstehenden Live-Shows zu sprechen kommen. Warum veranstaltet ihr das Releasekonzert eigentlich in Berlin und nicht in Wien?

In Wien haben wir gerade erst im Volkstheater gespielt und damit den Witz quasi schon verbraten. Zwar nicht als Release-, sondern Vorab-Show, aber trotzdem. Dementsprechend wäre es nicht soo sexy gewesen, am 17. Februar nochmal irgendein Theater in Wien zu bespielen. Das ist ein Grund. Und der andere ist, dass die geilste Location, die man in Wien spielen kann, eine Outdoor-Location ist. Klar hätte man auch irgendwas im Gasometer oder der Stadthalle announcen können. Aber es ist ja auch eine Geschmacksfrage. Und wir haben das Gefühl, wenn die Leute uns als Arena-Open Air anschauen, dann kriegen sie einfach ein geiles Konzert. Das weiß ich. Wenn ich sie ins Gasometer oder die Stadthalle locke, dann werden 30 Prozent der Leute sagen: "Naja, der Sound... Naja, die Halle... Ich hab' nix gesehen..." Oder was weiß ich für an Schaaß.

Vielleicht haben wir am Ende mehr "Arbeit", wenn wir das zwei- oder dreimal in der Arena machen, aber das ist ja keine Arbeit: Lässt halt alles aufgebaut, kommst am nächsten Tag wieder, zockst nen geilen Gig. Und die Leute haben auch ein besseres Erlebnis. Sie müssen sich nicht unter 10.000 Leute in eine Halle stellen. Im Moment entspricht das glaube ich auch besser unserer Musik. Das ist der Grund, warum wir nicht schon früher in Wien spielen. Wir wollten es einfach ein bisschen aufteilen. Und natürlich ist Berlin eine Perle, wo man schon mal vorbeischauen kann, haha.

Habt ihr vor, die Elemente der Wien-Show im Dezember jetzt auch für die Tour zu übernehmen?

Na, na. Warst du dort?

Nein, leider nicht.

Sie war in zwei Akte unterteilt und wir haben uns das Licht alles zugemietet. Aber das war nur für eine Show, ohne großes Konzept. Es war mehr so hier ein bissl, da ein bissl. Unser Lichttechniker hat uns da einen einfachen Entwurf gemacht, dass man nicht das gleiche Licht wie auf der "Schick Schock"-Tour mitnimmt, sondern was losgelöstes hat. Das eigentliche Bühnenbild und die Idee "Magic Life"-Bühnenshow gibts zwar schon länger, aber die entwickelt sich immer noch. Wir basteln noch rum und diskutieren relativ viel. Die wird dann schon nochmal anders und konkreter sein.

In welchem Bilderbuch wärst du selbst gerne?

Hmm. Naja, eigentlich wär' ich nicht gerne drin in so einem Struwwelpeter, weil dann hieße es ja, ich müsste meine Lektion noch lernen.

Welche Lektion wäre das in deinem Fall?

Geduld. Zumindest ist mir schon als Kind immer vorgeworfen worden, dass ich immer alles gleich jetzt will. Aber wenn man älter wird, sieht man auch: Man kann nicht nur ein Album machen im Leben, sondern man kann auch vier machen. Und vielleicht ein fünftes. Man kann sich auch mal Freiheiten nehmen. Wir haben das Glück, dass wir echt nice Fans haben, die langsam gecheckt haben, dass das, was wir machen, etwas uniques ist. Und dass ihnen nicht jedes Lied zu tausend Prozent gefallen muss, um Bilderbuch als großes Ganzes zu empfinden. So, dass wir Musik machen können. Sie geben uns die Freiheit zurück, dass wir uns probieren können. Weil wenn wir was bleiben sollten, dann mutig. Keiner braucht eine sich wiederholende Band in dieser Zeit.

Wenn du auf Spotify gehst, kannst du dir alles anhören. Zu jeder Zeit. Retro bringts sowieso nimmer. Das ergibt heutzutage keinen Sinn mehr. Wieso sollte ich Retrosachen machen, wenn ich das Original in einer Sekunde im Internet da habe? Retro hat ausgedient. Die Schlagworte heißen "Zitat" und "Eklektizismus". Wenn ich schon was nehme, dann muss ich es neu einkleiden. Ich muss schauen, dass das irgendwie nach unserer Zeit klingt. Natürlich inspiriert von dem, was da ist.

Wie sähe "Magic Life" als Bilderbuch aus?

Es wäre wahrscheinlich ein Buch voller Folien, die man übereinanderlegt und hindurchschaut. Und man weiß nicht, wo das Buch anfängt und wo das Buch aufhört.

Könnt ihr eigentlich mal machen.

Ja, stimmt. So als Booklet. Übrigens: Unser Booklet ist eine Fahne. Ziemlich geil. Du ziehst dann aus der Vinylpackung ein Stück Stoff, wo die Texte draufstehen. Was ziemlich nice ist.

Es wird echt Zeit, meinen alten Plattenspieler zu ersetzen ...

Ja, du ich hab auch noch so einen alten. Ich hab' immer noch den geerbten von meinen Eltern. Und die haben sich als wilde Jugendliche auch nur so einen Plastik-Sony geleistet. Aber er läuft und läuft. Trotzdem wär' wahrscheinlich eine Investition mal nicht verkehrt, haha.

Würdest du lieber als Bild oder Ton in Erinnerung bleiben?

Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Es wäre ja traurig, wenn man sich entscheiden müsste. Ich glaube, das hat man bei Bilderbuch auch nicht mehr nötig. Denn wenn man sich an Bilderbuch erinnern sollte, dann erinnert man sich eher an die Kombination von beidem. Das ist wie bei David Bowie oder Prince. Bei den Eagles wärs schon ein bisschen anders. Da kennt man "Hotel California", hat vielleicht noch die Neonschrift auf dem Cover im Kopf, aber mehr schon nicht mehr.

Ich glaub', Bilderbuch geht eher in Richtung Prince oder Bowie: "Ach, das ist doch das. Ich glaub' ich kann mich erinnern wie die waren.“ Und nicht nur wegen des einen Liedes. Aber natürlich erinnert man sich gleichzeitig ans Lied. Nur an das, wie wir ausgesehen haben, wird man sich sicher nicht erinnern. Wir sind ja nicht die Sex Pistols, die sozusagen die Fashion World gecrasht haben.

Könnte ja noch werden.

Könnte noch passieren. Aber da müsste schon nochmal gscheid was passieren.

Früh sterben ist auch immer eine Möglichkeit.

Ja, aber da muss ich mich beeilen. Vielleicht ist das mein letztes Interview. Wer weiß.

Hoffentlich nicht.

Hoffentlich nicht. Aber dann sollte man noch irgendwas bedeutungsschwangeres sagen: Die Wöd steht nimma lang!

Schönes Schlusswort.

Genau. Naa, sie wird noch lang stehen. Wir müssen uns nur damit auseinandersetzen. Man sollte ein bissl positiver mit dem ganzen Scheiß umgehen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Bilderbuch

"Herr Tiger, Herr Tiger, was ist geschehen?": Diese Formulierung bleibt hängen und bringt ganz gut auf den Punkt, was sich nicht wenige 2009 fragen, …

3 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Ui, sehr ...ungebremst :D
    Aber auf jeden Fall lieber so als andersrum, schönes Interview. Hab gerade auch nochmal die Album-Vorboten im Hintergrund laufen lassen - doch, doch, ich glaub schon, dass das was sehr feines werden kann.

  • Vor 7 Jahren

    Jeder andere hätte zum Schluss wenigstens ne Entschuldigung für diesen Redeschwall gefordert. :D

    Ich mag den Maurice, v.a. seit er Arroganz und Größenwahn als Stilmittel für seine Interviews entdeckt hat. Die Manager-Sprech-Anglizismen! Die selber eingebrachten und ziemlich unverhohlenen Vergleiche mit Bowie und Prince! Gleichzeitig ist er halt schon auch einer der wenigen jüngeren im deutschsprachigen Business, der sich reflektiert und druckreif ausdrücken kann und dabei tatsächlich noch den ein oder anderen nachhaltigeren Gedanken beim Leser provoziert.

    U.a. dieses Interview hat mir mehr Lust auf diese Platte gemacht als die audiovisuellen Appetithäppchen.

  • Vor 7 Jahren

    Nicht zu ertragen das Geschwall, vor allem wenn die innere Stimme unwillkürlich auf breiten österreichischen Akzent schaltet beim Lesen.