laut.de-Kritik
Die Rockroots reichen tiefer denn je.
Review von Yan VogelSchreibblockaden von Sänger Ben und Gitarrist Ian sowie eine kurzfristig anberaumte Herz-Op von Drummer Aaron strapazierten die Deadline des vierten Albums von Billy Talent gehörig. Die Nerven der Fanscharen, die zu "Surrender" ihre ersten Zungenküsse austauschten und zu "Red Flag" nach einer misslungenen Klassenarbeit Mamis Interieur zerlegten, dürften nach dem Release noch weiter drangsaliert werden.
Metallische Finesse, ausgeklügelte Arrangements und mehrstimmige Gesänge bilden nicht mehr nur die Erlebniswelt juveniler Draufgänger ab. Die Authentizität ist nicht mehr wie auf dem Debüt in lauten Lettern an die Villen der oberen Zehntausend geschrieen. Chromatische Unschärfe und modulatorische Wendungen wie in "Crooked Minds" oder "Cure For The Enemy" zeugen zudem von einem subtileren musikalischen Verständnis.
Wie um einen Schlussstrich zu den mit "Billy Talent", "II" und "III" symbiotisch bezeichneten Platten zu ziehen, lautet der Titel des neuen Outputs nicht etwa "Four" oder "IV", sondern "Dead Silence".
Totenstille herrscht allerdings nur zwischen den Pausen der Songs. Bereits die vorab veröffentlichten Singles "Viking Death March" und "Surprise Surprise" punkten mit Metal-Riffs, hyperaktiven Drums und manischen Shouts. Gemeinsam mit "Running Across The Tracks" und "Love Was Still Around" bilden diese beiden Vorabsongs ein unwiderstehlich und vielseitig rockendes Quartett, das nach kurzem Intro-Geklimper sämtliche Midtempo-Zugeständnisse von "III" pulverisiert.
Die Wurzeln reichen auf "Dead Silence" tiefer denn je in die Rock-Geschichte und sind nicht nur wie auf "III" ein unbeholfenes Zitat, sondern Selbstbekenntnis. Wenn die Band in "Don't Count On The Wicked" wiederholt "This Anger Turns Into Hope" skandiert, dann ist das bei aller Untergangsthematik, die bereits auf dem Artwork umgesetzt ist, die Losung des Albums. Dem 2009 geäußerten Wunsch erwachsener zu klingen, folgt nun eine Platte später die Entsprechung.
Hinzu kommt, dass Billy Talent auf die Äußerung megalomanischer Ansprüche, die größten Stadien der Welt rocken zu wollen, verzichten und stattdessen die sauer verdiente Kohle in einen eigenen Studiokomplex stecken, um fortan autark und ohne Druck aufspielen zu können.
Hymnische Alternative-Nummern wie "Don't Count On The Wicked" und "Show Me The Way" sind Zucker für die Ohren und fügen sich mit den unverkrampften und unkitischigen Halbballaden "Stand Up And Run" und "Swalloped Up By The Ocean" gut in das düstere Gesamtbild ein und lockern dieses gleichzeitig etwas auf.
Manch einem Fan dürften das zu viele Stilrichtungen auf einmal sein. Selbst klassische Trademarks wie die Riffs in "Man Alive!" und "Hanging By A Thread" sind nur eine Facette von vielen. Dem Rest sei gesagt, dass Billy Talent nach wie vor eine vierköpfige Rockband ist, die auf ihrem neuesten Output ihren "Viking Death March" durch die Institutionen ohne Scheuklappen fortsetzt und sich in ihrem Genre ambitioniert wie zuletzt Green Day auf American Idiot präsentiert. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Kanadier in Zukunft ihre Grundaggressivität beibehalten und nicht wie ihre amerikanischen Nachbarn die Grenzen zu Pomp und Pathos einreißen.
18 Kommentare
Na hoppla! Vier Punkte für Billy Talent kommt (hier) doch recht unerwartet. Nach den ersten zwei Durchgängen des Albums sind die aber durchaus berechtigt. Selbiges bricht nicht komplett mit den alten Alben aber klingt trotzdem um einiges reifer als Billy Talent III. Eine gute Rockplatte, wer über die Stimme heulen will tuts halt .
Offtopic: Und holy fuck, die neue von The Heavy (The glorious dead) braucht unbedingt eine Review!! Die schockt richtig.
Doppelpost
Meiner Meinung nach das beste Album von Billy Talent. Endlich mal neue Sounds und endlich mal Entwicklung der Band. III war mir einfach nur ein Abklatsch von II mit zu viel Anteil von Mid-Tempo. Aber Dead Silence haut wieder nett auf die Fresse, auch wenn nicht so brachial wie in Red Flag. Aber eine Platte, die man gut und gerne den ganzen Tag durchhören kann, ohne langweilig zu werden. Das liegt zum Teil an der Länge des Albums von 52 Minuten, die heutzutage nicht mehr selbstverständlich sind. Das wichtige ist aber, dass bei diesen 52 Minuten genug Abwechslung geboten wird, wie noch nie bei Billy Talent. Ich wiederhole mich: Dead Silence ist meiner Meinung nach das beste Album von Billy Talent
Was ein Brett!
neben "The Connection" wohl das beste Album bis jetzt für das Jahr 2012. Green Day enttäuscht mich, Papa Roach überrascht mich und Billy Talent gibt mir das was Ich erwartet habe. Top 5/5