laut.de-Kritik
Neue Wege geht das schwarze Land.
Review von Franz MauererSo wie das flirrende "Intro" schlägt auch das Leben gerne Haken: Erst nimmt mir Corona die Möglichkeit Black Country, New Road live zu sehen, dann steigt Sänger und Gitarrist Isaac Wood aus, da ihm der psychische Zoll, die Stimme einer erfolgreichen Band zu sein, zu hoch wird. "Ants From Up There" wirkt da fast schon prophetisch. Nur wer sind die Ameisen? Die Belastungsprobleme eines erfolgreichen Musikers, die Pandemie und alles drumherum? Und wer schaut eigentlich nach unten?
"Chaos Space Marine" gibt die Antworten nicht, etwas dahinplätschernder, konstruierter Folk-Pop, der an den Karrieretiefpunkt eines anderen hervorragenden Londoners erinnert. "Concorde" könnte, nicht nur wegen seiner Mandoline, auch von Beirut stammen und das ist selten eine schlechte Sache. Ein schöner Song, der aber sehr bewusst auf sein Finale zusteuert und dadurch stark an Haltbarkeit beim mehrfachen Durchhören verliert. Bei diesen beiden Singles drängt sich ein Stück weit die Frage auf, ob das erklärte Interesse der Band, mehr für den "Mainstream" zu schreiben, zu Songs führte, die auf dem Erstling der Band noch in einen größeren Kontext eingebettet worden wären.
Die Schroffheit von "For The First Time" ist passé, der Klezmer, der Math-Rock, alle weichen einem im Detail komplexen, zusammen aber eingängigen Folk-Indie-Pop-Rock-Amalgam. Einfaches ist bekanntlich am schwersten und schon "Bread Song" zeigt, wie hervorragend das Septett diese für sie neue Spielart beherrscht. Der tieftraurige Brotsong schlängelt und mäandert vielstimmig und melodisch um den verbitterten und schlicht großartigen Gesang herum, dem jederzeit die Hauptbühne gehört. Isaac Wood, dessen neu gefundene, melodischere Singstimme angenehm an Paul Smith erinnert, trägt nicht nur diesen Song, sondern ist das Rückgrat des ganzen Albums. "Ants From Up There" fühlt sich wesentlich weniger demokratisch an als der frühere Output der Band, Wood gibt des Öfteren den Will Butler zu "Funeral"-Zeiten. Diese Verbschiebung gerät der Band nicht unbedingt zum Nachteil, der Art-Anteil schwindet etwas gegen eine unmittelbarere, greifbarere Form von Musik.
Auf "Good Will Hunting" fließt Woods zitterndes Organ ein in traurige, sehnsüchtige Gedankenströme über Wegzug, Verlust und Wiedergewinnung, die das ganze Album prägen: "Moving to Berlin for a little while/ trying to find something to hold on to". Spätestens hier wird auch das Songschema klar erkennbar: Ein komplexes Heranrobben an einen mal mehr, mal weniger zaghaften Ausbruch, wobei die Engländer aufgrund der Aufgabe des Sängers, den Song voranzubringen, an Protomartyr erinnern. Wenn sie auch an deren Songwriting nicht heranreichen, haben Black Country, New Road dafür eine ungleich größere Variation in den Mitteln. So duellieren sich in "Haldern" Geigen und Saxophon, bevor sie im Abspann des Lieds in einen grandiosen Trilog mit dem Piano einsteigen.
Quantitativ hat "Ants From Up There" ein Ungleichgewicht wie eine Kardashian; die letzten drei Songs umspannen knapp 30 Minuten. Und wie bei den US-armenischen Powerfrauen sind die auch der beste Teil des Ganzen und der Grund, warum das Album richtig interessant wird. Im kürzesten der drei, "The Place Where He Inserted The Blade", gibt Wood höchst überzeugend den Gescheiterten, Verlassenen, Eifersüchtigen, Manischen in einer offenkundig nicht ganz sauberen Beziehung, in der Woods seinen Band-Weggang vorwegnimmt mit den Worten "Show Me The Fifth Or The Cadence You Want Me To Play". Das wie warmer Regen trickelnde Piano, das anstürmende Saxofon, die Backgroundstimmen, sie alle werden locker von Woods eingesteckt.
Wenn "Ants From Up There" das musikalische Vermächtnis von Isaac Woods sein sollte, dann hat er ein ausgesprochen gelungenes hinterlassen. Es wäre eine Schande, ihn nicht solo oder in kleinerer Besetzung erneut zu erleben. Mit "Snow Globes" folgt das zweite, nun fast neunminütige Highlight, das in der ersten Hälfte den dem Jazz huldigenden und zum ersten Mal prominent auftretenden Drums gehört, in der zweiten den Geigern, bevor das Saxofon einen sanft nach draußen begleitet. Dazwischen geht es - wiederum - um eine gescheiterte Beziehung, von der Woods herzzerreißend fabuliert, auf diesem Album voller Köche, das sich doch so wahnsinnig persönlich anfühlt. Der letzte Song "Basketball Shoes" war von Live-Shows schon lange bekannt und erinnert in der Wall of Sound seiner zweiten Hälfte vielmehr an Black Country, New Road, wie wir sie bisher kannten. Die neuen gefallen mir noch besser. Schade, dass es sie schon nicht mehr gibt.
5 Kommentare mit 19 Antworten
Langweilig.
Mutig.
Danke, Alex.
Schwinger kann diese Pennerfrisur überhaupt nicht leiden.
Alter ich höre noch viel beschissenere Sachen
Selten das en Album meine Erwartungen so dermaßen erfüllt. 5/5
93/100 bei Metacritic. Krass und wohl jetzt schon ein Klassiker des Jahrzehntes einer Band, die der Konkurrenz um Meilen voraus ist. Das ist Jazz, der vom Nerdtum und Mathematik befreit ist.
"Das ist Jazz, der vom Nerdtum und Mathematik befreit ist."
Oy vey, solche Sprüche kommen i.d.R. von Leuten, die Jazz weder verstehen noch ihn spielen können.
Kann nicht jeder Autist, weiß und männlich sein. Einmal bei nem Jazz-Act gewesen: Publikum zu 100 % weiß, männlich, um die 40 und auf der Bühne erklang Musik, die so spannend wie Fahrstuhlmusik war.
So viel Getrolle am Wochenende muss doch nun wirklich nicht sein.
So ein Unsinn
Während seiner Troll-Episoden besteht c452h nun mal traditionell darauf, dass für den Zeitraum der gesamten Show der Trollfaktor-Regler an seinem Verstärker stets bei über 9000 eingepegelt bleibt - somit gibt er aber seine Deckung meist schon ab der Hälfte des zweiten Satzes zugehöriger Beiräge völlig auf.
Naja, er hat ja schon recht. Jazzpublikum hält man wirklich im Kopf nicht aus.
Oooookay, und wie ist dann deine Meinung zu z.B. so (ehem.) eindeutig linkspolitisch agitierenden Chaos-Core-Akteur*innen wie (sehr frühe) Dillinger Escape Plan oder die gesamte Karriere von Converge?
Konnte ich nie was mit Anfangen. Den Hype um Converge hab ich nie verstanden. Aber um Missverständnissen vorzubeugen: ich mag Jazz. Coltrane, Mingus, coleman etc. laufen regelmäßig bei mir. Ich finde halt nur das Publikum schlimm.
Ich möchte hiernur kurz meine Empörung über"von [...] Mathematik befreit" kundtun. Schämen möge sich c452h dafür.
Weshalb?
Weil Musik und Mathematik untrennbar miteinander verbunden sind. Aber nicht in dem Sinne, dass Musik aus Mathematik entsteht, sondern weil aus der Beobachtung der Musik Mathrmatik als Beschreibung der Musik entsteht. Jede Musik als Abfolge von Tonfolgen kann vollständig durch Mathematik beschrieben werden. Musik ist ohne die zugrundeliegende Mathematik undenkbar, weil die zugrundeliegende Mathematik aus der Existenz von Musik folgt.
Witzigerweise hat sich Pythagoras exakt mit dieser Musikwissenschaft beschäftigt.
https://www.mathi.uni-heidelberg.de/~roque…
Und natürlich möchte ich erneut betonen, dass Jazz in der Regel nicht anders klingt wie das Geräusch von 13 Instrumenten, die gleichzeitig die Treppe runterfallen!
"13 Instrumenten, die gleichzeitig die Treppe runterfallen!"
Ja, aber nur Freejazz. Läuft Swing unter Jazz? Sowas ist doch gut hörbar.
"Läuft Swing unter Jazz?"
Bringt mich um.
Jedenfalls geht es bei diesem Album hier nicht um Jazz.
Die Instrumentation ist der Wahnsinn. Ein echt trauriges Album insgesamt, aber lässt mich bei jedem Hören nicht enttäuscht oder gelangweilt zurück. Ich entdecke bei jedem Hören etwas neues, was mir vorher nicht aufgefallen ist. Die Stimme des Frontsängers ist so unbeschreiblich emotionsvoll, die Musik hilft generell sehr gut die Emotionen zu transportieren, die Texte fühlen sich so qualitativ an. Es ist für mich unbeschreiblich, 5/5 und definitiv mein Highlight Album bisher dieses Jahr.
Was ein langweiliger Kram. Leiden hier alle an Geschmacksverwirrung?