laut.de-Kritik

Die Mutter aller Hardcore-Bands.

Review von

Ein Album von Black Flag herauszupicken, wird der Band kaum gerecht. Nicht etwa, weil sie nur Meisterwerke geschrieben hätten – man denke da an "What the..." – sondern eher, weil es ihr Arbeitsethos, ihr unbeständiges und ausuferndes Touren war, das sie bis in die hintersten Winkel Amerikas und Europas brachte. Es waren nicht ihre Platten, sondern die Konzerte, die ganze Scharen von Musikern und einige Genres prägten.

Maynard James Keenan zum Beispiel sah Black Flag 1986 in einem kleinen Schuppen in Michigan. "Es waren vielleicht 50 Leute da, aber jede Band gab 100 Prozent. Das war ein echter Augenöffner", erzählt er in einem Doppel-Interview mit Henry Rollins. Warum an dieser Stelle trotzdem das erste Album "Damaged" steht, ist schnell erklärt: Es trägt all die Trademarks in sich, die Hardcore auszeichnen und später zigmal kopiert und erweitert wurden: die schnellen Riffs, das brutale Geschrei, das heftige Tempo, die kritischen Themen. Es ist der Prototyp für das Genre und – das mag absurd klingen – es gab auch gleich einen Vorgeschmack auf das, was später einmal im Post-Hardcore passieren würde.

Black Flag beschränkten sich schließlich nie auf ein festgelegtes Spielfeld, sondern griffen sich, was ihnen gefiel und bauten viele Einflüsse in ihre Musik ein, etwa Punk, Metal oder Noise. Bands, die direkt von ihnen beeinflusst waren, konzentrierten sich hingegen auf einen bestimmten Aspekt, etwa die New York Hardcore-Szene mit ihren straighten, knackigen und heftigen Songs. Auf der anderen Seite feierten Grunge-Bands wie Mudhoney und Nirvana vor allem das zweite und langsamere Album "My War" ab.

Greg Ginn, Black Flags einziges festes Bandmitglied und deren Haupt-Songwriter, hörte gerne die Ramones, die Stooges und Black Sabbath. Sein Gitarrenspiel war stilprägend – nicht nur für die Hardcore-Szene. Auch ein junger John Frusciante war von Ginns dissonanten Soli beeindruckt. Henry Rollins, der wohl bekannteste Sänger dieser an Sängern nicht armen Band, experimentierte recht bald mit Spoken-Word-Beiträgen, mochte Jazz und war mit seiner intensiven Bühnenpräsenz das Aushängeschild Black Flags.

Das ewige Touren mag zwar ihren Kultstatus zementiert haben, für das Bandklima war es sicherlich nicht förderlich. Lange blieb kein Musiker Teil der Truppe. Sänger, Basser, Drummer wechselten gefühlt alle paar Monate. Viele landeten danach bei anderen Gruppen, wie den Misfits, Circle Jerks oder Descendents und schrieben dort weiter Musikgeschichte.

"Damaged" jedenfalls ist eines dieser Alben, bei denen Cover und Musik kaum besser zusammen passen könnten: Ein grimmig dreinblickender Muskelprotz prügelt blutend auf einen Spiegel ein. Black Flags Debüt ist genauso brutal, voller Energie, kompromisslos, depressiv, gefährlich und ziemlich angepisst. Aus Cover und Songs spricht eine undefinierte Wut auf das System, die Gesellschaft und irgendwie auch sich selbst.

Songs wie die Hardcore-Hymne "Rise Above" oder das knackige "Spray Paint" sprechen diese Wut deutlich aus. "It feels good to say what I want. / It feels good to knock things down. / It feels good to see the disgust in their eyes. / … / There won't be room for people like me. / My life is their disease." In "Police Story" richtet sie sich deutlich gegen die Staatsgewalt: "This fucking city is run by pigs. / They take the rights away from all the kids. / Understand we're fighting a war we can't win. / They hate us, we hate them."

Aber nicht nur gegen die Gesellschaft und die staatliche Macht richtet sich die Wut, sondern auch gegen sich selbst. Diese Perspektivlosigkeit, das Gefühl, keine Kontrolle über sich oder das eigenen Leben zu haben, thematisieren düstere Songs wie "Depression", "Gimme Gimme Gimme" oder "Damaged".

Bei all ihrer Wut behalten sich Black Flag eine gute Portion Humor bei. Ein sarkastischer, regelrecht alberner Humor, der am deutlichsten beim Klassiker "T.V. Party" herauskommt. "We've got nothing better to do, than watch T.V. and have a couple of brews. Don't talk about anything else / We don't want to know. We're dedicated to our favorite shows." Am Ende ist der Fernseher kaputt und die Partygäste haben keine Ahnung mehr worüber sie reden sollen. "No T.V. Party tonight", jammert ein wahnsinnig schlechter Pseudo-Männerchor. Den Jungs bleibt wohl nur noch ein "Six Pack" kaufen, denn "I know it'll be o.k. / When I get a six pack in me".

Mit wenigen Ausnahmen ist es Greg Ginns Gitarre, die bei den Songs den Ton angibt. Seine schnellen Riffs und atonalen Soli prägen das Album noch mehr als Rollins Gekeife. Das wird schon beim Opener "Rise Above" deutlich und zieht sich bis hin zum schleppenden "Damaged I". Ginn hat ein sicheres Gespür für kaputte Töne und fette Soundmauern. Wie selbstverständlich bricht er immer wieder daraus hervor, setzt scheinbar wahllos gegriffene Akkorde und Tonfolge hintereinander nur um wieder in das Riff-Geballer zurückzufinden. Bass und Schlagzeug reihen sich da demütig ein, übernehmen selten eine führende Rolle.

Freilich hat auch Rollins einen großen Anteil am Erfolg dieser Platte und der Band. Er klingt so angepisst und aggressiv wie es nur geht. Jede Silbe, die er zwischen seinen Mandeln hervor quetscht, nimmt man ihm ab. Dabei ist nur ein Song tatsächlich von ihm geschrieben. Der Rest ist teilweise auch schon auf früheren EPs mit anderen Sängern zu finden. Doch erst mit ihm an Bord, wurde aus diesen einzelnen Versatzstücken ein richtiges, ernstzunehmendes Album.

Die tendenziell dunkleren Songs stammen oft aus der Feder von Basser Chuck Dukowski, der zum Beispiel für das rumpelnde "What I See" oder das träge startende "No More" verantwortlich ist. Dez Cadena, der vorher auch mal Sänger der Band war, wechselte mit Rollins Kommen an die Rhythmusgitarre. Das nervte vor allem Producer Spot, dem das Geschrammel von vier Instrumenten zu matschig klang.

Und tatsächlich war "Damaged" schon damals vom Sound her ziemlich Lo-Fi – was aber von der Band durchaus gewollt war. Sehr direkt und nah dran am Hörer klingt die Platte nach einem verschwitzen Club irgendwo in der Pampa. Ein Ort also, an dem sich Black Flag pudelwohl fühlten. Und schließlich waren es auch diese kleinen Schuppen, in denen sie den amerikanischen Hardcore prägten wie keine andere Band.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Rise Above
  2. 2. Spray Paint
  3. 3. Six Pack
  4. 4. What I See
  5. 5. TV Party
  6. 6. Thirsty And Miserable
  7. 7. Police Story
  8. 8. Gimmie Gimmie Gimmie
  9. 9. Depression
  10. 10. Room 13
  11. 11. Damaged II
  12. 12. No More
  13. 13. Padded Cell
  14. 14. Life Of Pain
  15. 15. Damaged I

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