18. Juli 2023

"Als reine Rockband habe ich uns nie gesehen"

Interview geführt von

Blur-Gitarrist Graham Coxon über den größten Exzentriker in Blur, die Magie der Natur und das erste neue Studioalbum seit 2015.

Nur ein paar Tage zuvor kündigten Blur im Mai ihr neues Album "The Ballad Of Darren" an, da bietet sich kurzfristig die Gelegenheit, mit Graham Coxon darüber zu sprechen. Einmalige Sache für einen großen Britpop-Fan. Nachteil: Viel Zeit bleibt nicht, um das neue Album zu hören, auf dem die Rock-Momente deutlich in der Minderheit sind. Nun hat der Gitarrist nicht unbedingt das Image eines einfachen Gegenübers. Graham taut auch in unserem Zoom-Gespräch erst nach einigen Fragen auf, murmelt häufig leise in breitem südenglischen Dialekt und wirkt scheu. Bei Blur haben eben alle ihre liebenswerten Eigenheiten.

Hi Graham, lass uns über euer neues Album sprechen. Was kannst du mir über den Entstehungsprozess von "The Ballad Of Darren" erzählen?

Oh, Damon kam mit einem Haufen Demos rüber und wir haben dann zusammen überlegt, welche Songs am besten passen. Es gab diesmal sehr viele sentimentale Momente. Normalerweise komme ich ja mit den Gitarren-Riffs um die Ecke, aber diesmal stand die Atmosphäre und die Stimmung im Vordergrund. Bei vielen Songs gab es anfangs gar keine Lyrics und ich habe mich sehr am Vibe orientiert. Es ging mir mehr darum, die Emotion des Songs und nicht einen Gitarreneffekt zu verstärken.

Viele Songs wurden vorher auf Synthesizer oder Piano entworfen und ich finde, dadurch klingt es nun voller, mal abgesehen von "St. Charles Square". Ich fand das wirklich spannend. Damon hat sich auch ziemlich geöffnet. Ich mag diese Seite an ihm, weil ich dadurch auch mehr Freiheiten habe. Die meisten Songs sind ziemlich melancholisch aufgebaut und da wäre ein hartes Riff einfach fehl am Platz. Es hätte eine einfach diese besondere Stimmung zerstört.

Ich konnte das Album vor dem Interview nur kurz anhören. Es klingt aber tatsächlich anders als eure früheren Sachen. Glaubst du, dass die Fans, die mit euren rockigeren Sachen in den Neunzigern aufgewachsen sind, damit ein Problem haben könnten?

Die Fans waren dahingehend eigentlich immer sehr respektvoll. Ich denke, wir haben früher auch schon ähnliche Sachen wie "Ballad Of Darren" geschrieben, aber dieses Mal ist es eben besonders ruhig, ziemlich stripped down und minimalistisch. Wir sind nie stehen geblieben, haben uns ständig verändert. Leider wurden wir in den 90ern mit diesem Britpop-Kram in einen Topf geworfen. Im Gegensatz zu all diesen angesagten Bands haben es Blur geschafft, in jedem Jahrzehnt zu bestehen. Wir hatten immer einen eigenen Sound.

In vielen Lyrics geht es um Probleme in einer Beziehung oder zwischenmenschliche Probleme allgemein. Das ist ja eigentlich ein roter Faden bei euch. Als ob man irgendwie nie in diese Gesellschaft heinein passt und aus ihr verschwinden möchte.

Ich würde uns als skeptisch bezeichnen. Wir beobachten die Dinge, die um uns herum passieren, immer mit einer gewissen Vorsicht. Und viele Dinge, die wir in den Neunzigern beschrieben haben, sind auch leider eingetroffen. Wir haben uns dann zusehends aus dem Mainstream verabschiedet, in dem wir uns eh nie wohlgefühlt haben. Ich persönlich schaue schon auf Sachen wie Künstliche Intelligenz und habe die Befürchtung oder die Angst, dass die Menschheit gar nicht richtig auf diese Sache vorbereitet ist. Ich sehe soziale Medien ziemlich negativ, aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich der große Technik-Feind bin und alles Neue komplett verteufle. Ich habe auch kein Vertrauen in echte Menschen wie Politiker, die schlecht mit ihrer Macht umgehen und diese nicht zum Wohl der Menschheit nutzen. Der Brexit ist einfach ein absolutes Desaster.

Woher glaubst du kommt diese Melancholie in euren Texten und der Musik?

Ich denke schon, dass unsere Melancholie besonders englisch ist, vor allem wenn du in der Nähe zum Wasser aufwächst. Aber eigentlich ist sie fest in unserer Mentalität verwurzelt, sie ist überall. In unseren Landschaften, Bäumen, in der Natur oder den Flüssen. Und gerade kreative Menschen beeinflusst diese Umgebung. Die gegenwärtige Weltlage ist natürlich auch nicht besonders hoffnungsvoll, das fließt dann eben auch in so einen Prozess mit hinein.

Kannst du mir schon deinen Favoriten von eurem Album verraten?

Puh, lass mich nachdenken. Ich würde mich für "Goodbye Albert" entscheiden, aber ein anderer großer Favorit von mir ist "Russian Strings".

"Wir sind alle ziemliche Exzentriker in der Band"

Dazu passt das Artwork. Es hinterlässt bei mir einen subtilen, bedrohlichen und beängstigenden Eindruck. Ich würde auf Schottland tippen?

Ja genau, Glasgow. Das Wetter ändert sich dort jede Minute und man könnte beobachten, wie die See sogar in diesen Swimmingpool einschlägt. Dass du morgens zum Pool gehst und dort ein Hai schwimmt. Das Foto hat einfach sehr gut gepasst. Die Person befindet sich zwar in einer Art Sicherheitszone im Swimming-Pool, aber es kann jederzeit etwas in diesen Ort hinein brechen, am Horizont lauert die Bedrohung. Das ist eine Gefühlslage, die uns derzeit alle betrifft. Das soll nicht so klingen, als ob wir allem Unbill hilflos ausgeliefert sind. Wir tragen auch ziemlich viel Kraft in uns und können Dinge auch positiv verändern. Wenn wir eben wollen. Irgendwann.

Aber nochmal zurück zu dem Foto: Ich persönlich mag es sehr, auch wenn ein paar Leute gemeckert haben, dass es wieder ein See-Thema hat. Ich hatte ja mit meinem Projekt The Waeve kürzlich erst ein paar solcher Motive. Irgendwie schaut man als Engländer wohl häufig mit grüblerischen Gedanken aufs Wasser. Hinzu kommt noch dieses einsame Insel-Ding, was uns von anderen Ländern unterscheidet.

Aber Distanz ist ja allgemein und gerade auch bei Blur nicht unbedingt schlecht. Gerade auf Tour.

Ach, das Tourleben ist gar nicht so schlimm. Wir haben eh schon eine Distanz untereinander, da wir alle unsere eigenen Leben führen mit unseren Familien, Hobbys und Bands. Wir haben uns damals über die Musik gefunden und so ist es auch heute. Sie ist unser Kommunikator und unsere Verbindung. Damon und ich kennen uns nun schon ewig und wir wissen nach all den Jahren, wie wir ticken und bringen nun auch das Verständnis auf, wenn jemand von uns einen "cocky morning" hat. Es stehen keine unausgesprochenen Dinge mehr zwischen uns. Wir haben unseren Frieden miteinander gefunden und das fühlt sich gut an. Früher haben unsere verschiedenen Charaktere zu Problemen geführt, aber jetzt weiß man die jeweilige Eigenart des anderen sogar zu schätzen. Heute mag ich gerade diese speziellen Unterschiede. Wir sind ja alle ziemliche Exzentriker in der Band, Damon sogar mehr ich. Aber im Grunde sind wir eher ruhige, liebenswerte, introvertierte Charaktere, die in Blur manchmal komische Sachen machen und ansonsten eine sehr starke Verbindung zueinander spüren.

Gibt es solche Momente auch im Studio, wo man einfach still da sitzt und spürt, was in dem anderen gerade vorgeht?

Im Grunde genommen sind wir da extrem auf den Arbeitsprozess an sich und weniger mit uns als Personen beschäftigt. Aber klar sitzt Alex manchmal in sich versunken in einer Ecke des Studios, nickt mir kurz zu und probiert etwas am Bass. Ich hole mir dann einen Tee und lausche einfach. Wir brauchen alle solche Momente.

"Als reine Rockband habe ich uns nie gesehen"

Mit der Ruhe wird es bald vorbei sein, es wird ernst. Ihr habt am Freitag eure Tour in Colchester eröffnet. Genau an diesem Ort, wo du Damon damals an der Uni trafst und die Geschichte von Blur begann.

Ja, ich habe viele Erinnerungen an diesen Ort und es war sehr schön, dorthin zurückzukehren. Als Teenager bin ich im Colchester Art Centre häufig tanzen gegangen. Der Gig war wirklich richtig großartig. Die Proben verlaufen ja immer so unfassbar eintönig und langweilig, aber dann endlich auf der Bühne, in dieser besonderen Location, das war einfach unfassbar. Der Saal sieht ja aus wie eine Art Kirche und ein paar Tage später haben wir dann in Eastbound gespielt. Da war der Raum noch größer und nochmal alles heftiger. Es kamen Familienmitglieder, Freunde und alles war einfach sehr herzlich. Der Sound war satt und voll. Leider auch das Essen, ähem. Dank des fantastischen Caterings haben wir wahrscheinlich allein an diesem Tag ordentlich Kilos drauf gelegt.

Ich hatte das schon vor kurzem schon im Interview mit Dave angerissen: Ich habe den Eindruck, dass Rockmusik derzeit etwas out of style bei den Jüngeren ist. Wie sieht bei euch das Publikum heute aus?

Ich weiß nicht, ob Rock so out ist. Zu unseren Konzerten kommen alle Generationen. Eltern feiern mit ihren Kindern. Ich habe überhaupt den Eindruck, dass Blur derzeit wieder ziemlich bei den Kids angesagt ist. Sie haben uns gerade erst neu entdeckt und die Teenager sind wieder total auf diesem 90er-Fashion-Trip. Ich habe ja selber sogar noch ein paar Klamotten aus dieser Zeit und trage sie ab und zu ganz gerne. Allerdings hat die nun auch meine Tochter entdeckt und klaut sie mir ständig aus dem Schrank. Allgemein würde ich sagen, dass die Neunziger wieder ziemlich im Trend liegen. Aber als reine Rockband habe ich uns auch nie gesehen, da waren wir doch immer breiter aufgestellt.

Manchmal kommt man an einen Ort von früher zurück und denkt: Puh, hier ist die Zeit stehen geblieben und nichts hat sich geändert.

Ich muss sagen, dass viele Änderungen einen Ort häufig eher besser machen. Wo ich in den Achtzigern groß geworden bin, war alles nicht so besonders schön und auch ziemlich schmutzig. Wenn die Pubs schlossen, wurde es auf der Straße oft ziemlich gewalttätig. Es ist übrigens nicht gerade die beste Idee, die Pubs schon um 23:30 Uhr zu schließen. Heute sieht es dort schon lebenswerter aus und mein guter Freund Mick ist in der Stadtplanung aktiv. Natürlich gibt es auch heute noch weniger schöne Ecken und diese Testo-Halbstarken, aber ich sehe mittlerweile vor allem die schöne Landschaft drumherum. Das ist einfach magisch.

In "Country House" auf "The Great Escape" habt ihr euch noch darüber lustig gemacht, dass sich euer Manager ein Haus im Grünen gekauft hat. Ziehst du jetzt auch die stille Provinz der lauten Metropole vor?

Nee, ich habe kein Haus auf dem Land und habe auch nicht vor, das zu ändern. Ich lebe in einem ziemlich ruhigen Viertel in Nord-London und das ist gar nicht weit von der Grafschaft Kent und seiner Landschaft entfernt. Ich gehe nur ein paar Schritte und bin direkt in der Natur, wo ich meine Ruhe habe.

Wir müssen leider zum Ende kommen. Sehen wir uns bald in Deutschland?

Ja, ganz bestimmt. Ob mit Blur oder The Waeve, das wird sicherlich klappen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Blur

So verschwommen ("to blur") sind die Mitglieder von Blur gar nicht. Alles beginnt damit, dass der Sänger und Songwriter Damon Albarn Anfang der 80er …

Noch keine Kommentare