laut.de-Kritik
Selten klang Dylan versöhnlicher als hier.
Review von Holger GrevenbrockBob Dylan interpretiert Klassiker aus dem Great American Songbook. Ein wenig schizophren mutet das schon an, war er doch eine der zentralen Figuren, die der goldenen Ära ihren Grabstein meißelte. Doch der Weg, den er mit "Shadows In The Night" einschlug, setzt er in "Fallen Angels" konsequent fort und führt seine Verbeugung vor den Großen des Genres zu einem würdigen Ende. Selten klang Dylan versöhnlicher, aber auch sentimentaler als hier.
Die Tracklist setzt sich wie schon beim Vorgänger aus Songs zusammen, die mit Ausnahme von "Skylark" allesamt auch in Sinatras Repertoire zu finden sind. Doch während Mr Ol' Blue Eyes die Songs so interpretierte, als wäre er selbst der Leidtragende der bittersüßen Liebeslieder, wirkt Dylan zuweilen wie der altersmilde greise Onkel, der sich ein Schmunzeln über die junge liebestrunkene Generation nicht verkneifen kann. Die Rolle des bedingungslosen Romantikers nehme ich dem Meister der Anti-Lovesongs ohnehin nicht ab, viel eher versteht sich dieses Album als nostalgisch-verklärter Rückblick auf die noch ganz jungen Tage seines Musikerlebens.
Die überaus sehenswerte Doku Scorseses, "No Direction Home", thematisiert mehrfach den prägenden Einfluss, den das Radio dieser Tage besaß, und es fällt leicht sich auszumalen, wie einst der junge Robert Zimmermann vor dem Küchentisch saß und bis spät in die Nacht den Songs lauschte, die in "Fallen Angels" nun neu zum Leben erwachen. In diesem Sinne schließt sich wohl der Kreis, der nun Gealterte bedankt sich bei seinen jungen Helden, allen voran Sinatra. Hakuna-Matata oder so ähnlich.
Für Ernüchterung sorgt jedoch erstmal der Beginn. "Young At Heart", wohl der Klassiker unter den Klassikern, mag in der Version Dylans für den Strandurlaub auf Hawaii mit Strohhalm in der Kokosnuss genügen, den Drive Sinatras lässt sie jedoch völlig vermissen. Der Song, eigentlich eine Ode an das Jung-bleiben, lahmt wie ein altersmüder Ochse, der die Spitze des Berges nicht mehr erreichen wird. Grund dafür ist auch die sonst so viel gelobte Instrumentierung. Die Slide Gitarren ziehen dem Song den Zahn und machen ihn noch harmloser als er ohnehin schon ist.
"Maybe You'll Be There" begeistert dagegen mit wunderschöner Streichmusik - das Gefühl lässt einen nicht los, dass dieser Titel ebenso der Feder Dylans entsprungen sein könnte. Hier zeigt sich, wie perfekt die Band harmoniert. Wenn dann noch die Bläser einsetzen, ist der Zauber perfekt.
Einen ersten Höhepunkt erreicht das Album mit "All The Way", in das Dylan seine ganze Erfahrung hineinlegt und fast, aber nur fast die Intensität Sinatras erreicht. Den Zeilen "Taller than the tallest tree / That how it feels / Deeper than the deep blue sea is / that's how it goes" gibt er eine solche Unbedingtheit mit auf den Weg, dass es Gänsehaut verursacht.
Ein einziges Mal verlässt Dylan das von Sinatra so favorisierte Feld der Balladen und swingt in "That Old Black Magic" wie ein, ähem, junger Hüpfer. Noch dem melancholischen Sog der Vorgängertracks verhaftet, kommt dieser Stil-und Tempowechsel doch ziemlich überraschend, gestaltet sich aber zugleich als willkommene Abwechslung.
In "Come Rain Or Come Shine" begibt sich Dylan in die Fänge des Blues. Der vor Lebensmut strotzende Vortrag Sinatras steht dazu im krassen Gegensatz. Dylan verleiht dem Song eine intime, verletzliche Note, wodurch er spürbar an Dramatik gewinnt.
Ein waschechter Crooner wird His Bobness in diesem Leben wohl nicht mehr. Sinatra, mit dem Charisma eines Kosmopolits gesegnet, brachte es mit den Songs über die Landesgrenzen und Ozeane hinaus zu Weltruhm, Dylan holt sie nun zurück und gestaltet sie zu etwas uramerikanischem. Seine Versionen profitieren von der intimen Atmosphäre während der Aufnahmen und pendeln sich irgendwo zwischen Country, Blues und Folk ein.
Egal wie oft sich der Meister der Verwandlung eine neue Maske aufsetzt, seine Wurzeln ziehen sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk, so auch hier. Für die nächsten 75 Jahre bleibt allerdings zu hoffen, dass sich Bob Dylan wieder verstärkt auf die eigenen Qualitäten als Songwriter besinnt.
1 Kommentar mit 7 Antworten
Leider verströmen hier nicht alle Dylan-Variationen die Intensität bereits existierender Interpretationen. Wer von “Come Rain Or Come Shine” etwa die definierenden Versionen Billie Holidays, Art Peppers oder Ray Charles kennt, dem ist die vorliegende Annäherung höchstens nettes Gedudel zum bügeln.
Es interessiert halt auch einfach niemanden, oder? Kann ich mir zumindest nicht vorstellen. Auf ein "richtiges" neues Album von Dylan wäre ich spitz wie Speedi auf seine Mutter, aber die tausendsten Interpretationen irgendwelcher Standards juckt mich 0, zumal wenn sie so einfallslos sind. Dass er sich mal vor Sinatra verbeugen wollte, ist okay, aber noch ein Album in dem Stil hätte es doch wirklich nicht gebraucht.
Das war die Mutter meines Freundes, bin doch nicht pervers. Ausserdem hab ich die so rein im Kopf mir 20 Jahre jünger gemacht. Mangeld es mal wieder an Fanta Santi? Geh in Deckung, da kommt ein Stück Scheiße geflogen! Jetzt hab ich dich sogar gerettet. Auf die Knie und wälze dich im Staub deiner Ahnen.
@Anwalt sorry zu Dylen fällt mir nichts ein, das mag daran liegen das er wirklich fast alles in seiner Karriere beantwortet hat. Da bleiben nicht viele Fragen offen. Ich gönne ihm seine Rente.
Ich traue Dylan aber durchaus zu, noch einmal neue Fragen aufzuwerfen, du nicht? Mit langweiligem Second-Hand-Material wie hier wird das allerdings nichts, da hast du recht.
Ich weiß so wenig, ich weiß es nicht mit Dylan. Ein American Recordings ala Cash ist nicht in Sicht. Ob ich ihm das gönne? Ja logisch. Eventuell haben aber zu viele Begleiter mittlerweile das Zeitliche gesegnet und so fehlt es an Inspiration. Muss ich aber erst mal nach schauen.
Kann schon sein, dass er einfach müde geworden ist oder ihm die Inspiration fehlt, aber das hat man früher auch schon mal gedacht und dann kam plötzlich "Time Out of Mind" usw. Dylan traue ich jederzeit einen großen Wurf zu, er müsste nur wollen und sich mal wieder Mühe geben.
Santi ohne Witz, ich würde mir an deiner Stelle einfach eine gemütliche Havanna gönnen, mich auf meinen Balkon hocken, die Sonne, Mond und Sterne genießen und ein wenig durch die dicken Rauchringe schauen.
ich mag ja diese verweigerungskonzeption.
mein senf:
Ich gestehe freimütig: Mein Eindruck von “Fallen Angels” ist zwiegespalten. Wer auf frische eigene Songs und Lyrics für unsere ethisch wie ökonomisch abgefrühstückte Gegenwart hofft, der hat verloren. Studioalbum Nr 37 setzt – wie sein Vorgänger – erneut auf Tracks, die fast ausnahmslos auch von Frank Sinatra aufgenommen wurden. Allesamt Schätze des American Songbook, der Tin Pan Alley, der Zeit des großen Jazz, Swing & Soul. Doch Enttäuschung wäre ohnehin nur das Ende der auf subjektiver Erwartungshaltung beruhenden Selbsttäuschung und mithin nicht angebracht. Er hat sein entlarvendes Wort doch längst zu allem Unbill und jeglichem Misstand der Menschheit gesagt.
Entsprechend setzt er einen großen Haufen auf die seit 50 Jahren erdrückenden Forderungen zu vieler Fans, alle paar Jahre als kathartischer Heilands-Hampelmann funktionieren zu müssen. Insofern sind Dylans letzte CDs schelmische Akte verdienter Sebstverwirklichung; ein großes “Love it or fukk you!”. Die Rache des Künstlers am eigenen Image! Dafür muss man ihn einfach lieben. Zumindest ich tue das. Aus diesem Blickwinkel erscheint sogar sein vor Jahren erschienenes Weihnachtsalbum als mehr Punk als manch einschlägige Kombo.
Wir wissen nun also: Konzeptionell kann man Herrn Zimmerman nichts vorwerfen. Aber taugt das Teil auch? Hat er den 100fach gecoverten Tracks etwas hinzuzufügen oder ist das Ganze dennoch öde Langweilersoße? Onkel Bob macht einfach beides. Auf der Habenseite steht zunächst die großartige, erfreulich unkitschige Produktion, die smooth angelegten Arrangements und der tadellose Gesang. Dylans berüchtigtes, besonders Live gern eingestreutes Krächzen, als habe er einen Raben unter den Ahnen, existiert nicht. Die Lust am Singen, Croonen und Unterhalten katapultiert ihn zu einer der besten Gesangsleistungen seiner gesamten Karriere. Mal ausgelassen, gelegentlich melancholisch aber immer romantisch, eignet sich die LP hervorragend als beschwingte Frühlingsplatte.
So weit, so gut. Doch leider verströmen nicht alle Dylan-Variationen die Intensität bereits existierender Interpretationen. Wer von “Come Rain Or Come Shine” etwa die definierenden Versionen Billie Holidays, Art Peppers oder Ray Charles kennt, dem ist die vorliegende Annäherung höchstens nettes Gedudel zum bügeln.