laut.de-Kritik
Er will doch nur fühlen!
Review von Connor Endt"Reggae ist tot, Jazz ist tot, Hip Hop ist tot, Funk ist tot, Schlager ist tot, Klassik auch tot, merkt aber keiner!" Tobias Jundt alias Bonaparte dagegen ist höchst lebendig und liefert mit "Was Mir Passiert" ein Mammutwerk von einem Album ab.
Vorbei ist die verrückte Punkphase der Anfänge in Berlin. Für sein neues Album hat es den Musiker nach Abidjan an der Elfenbeinküste verschlagen. Daraus resultieren ziemlich sperrige Pop-Songs, unterlegt mit jeder Menge Synthesizern, Percussion und Afro-Beats. Mal bedient sich Jundt bei Trap ("Jaja", "Apotheker Apotheker"), dann kommen plötzlich Kinderchor oder Akustik-Gitarre zum Einsatz. Allein die Instrumentierung gerät schon so vielschichtig und teilweise wirr, dass man beim Hören kaum hinterher kommt.
Um die Verwirrung komplett zu machen, hat sich Jundt eine ganze Armada an Gastmusikern eingeladen: Zusammen mit dem afrikanischen Rapper Bop de Narr wartet er darauf, dass es Geld regnen möge ("Warten"). Farin Urlaub und Bela B sammeln "Big Data". Zusammen mit Landsfrau Sophie Hunger wagt Jundt eine Neuinterpretation von Mani Matters "Dene Wos Guet Geit". Der Song mit Fatoumata Diawara entstand notgedrungen in der Besenkammer des Tonstudios, weil im Hauptgebäude gerade Werbe-Jingles aufgenommen wurden. Bei einem Schalk wie Bonaparte verwundert eine solch skurrile Geschichte wirklich nicht.
Neben der prominenten Besetzung fällt am meisten auf, dass Jundt für sein mittlerweile fünftes Album auch sprachlich neue Wege geht: Außer bei "Cameroon" sind alle Texte auf Deutsch verfasst. Die Art und Weise, wie der Künstler schreibt und vorträgt, weckt direkt eine ganze Reihe an Assoziationen. Manchmal schwingt Bilderbuch mit, wenn er seine Zeilen lässig ins Mikro nuschelt ("Warten", "Was Mir Passiert").
"Ichbittedichmonamibleibnocheinwenigda", heißt es da. Oder so ähnlich. Oft hat man Schwierigkeiten, jedes Wort zu verstehen. Auch die Lyric-Foren im Netz sind sich uneinig, was genau sich Bonaparte da für Worte zusammendenkt. Zeilen wie "Techno nicht tot, riecht aber komisch" erinnern dann wiederum ziemlich an Deichkind.
Mit den fast schon inflationär genutzten Afro-Beats, Trash-Synthesizern und Halleffekten gibt Bonaparte musikalisch eine gewisse Rahmung vor, die Texte verhandeln aber wohl so ziemlich jedes Thema, das in den letzten Jahren im Kopf des Musikers herumgegeistert ist. Wenn Bonaparte sich fragt "Wann ist ein Mann ein Mann, wann ist eine Frau eine Frau?" schwingen Geschlechterrollen und die Genderdebatte mit.
Post-Kolonialismus behandelt der titelgebende Song: "Komm' rein in mein' Palast aus Stroh, habe Loco für die Late-Night-Show." Immer wieder geht es außerdem um die Einsamkeit jedes Einzelnen, versteckt hinter der Fassade: "Ist das Haus größer, ist die Zeit kleiner" zum Beispiel, im "Château Lafite". Um die eigene Taubheit zu verdrängen, versinkt man dann im Rauschgift: "Apotheker, Apotheker, gib mir was für später, ich will doch nur etwas fühlen" ("Apotheker, Apotheker").
Immer sind die Lyrics, ganz Bonaparte-typisch, mit kleinen Referenzen und Querverweisen gespickt: "Big Data" zitiert George Orwell, in "Das Lied Vom Tod" ist von Kanye West und Nietzsche die Rede. Easter Eggs findet man bei jedem Hördurchgang mehr. Egal ob auf Englisch oder auf Deutsch: Bonaparte gibt sich weiterhin schräg, unerwartet und rätselhaft. Am Ende bleibt man völlig erschlagen und ratlos zurück.
Wenn Jundt in "Das Lied Vom Tod" gleich zu Beginn der Platte herausfordernd gefragt hat: "Wo ist das Lied, das noch nicht jeder kennt?", ist am Schluss klar: Das hier muss es gewesen sein, und zwar nicht nur eins davon, sondern gleich ein ganzes Album. "Was Mir Passiert" lässt sich nicht einordnen, klingt an manchen Stellen klebrig-poppig, an anderen mit seinen fast schon dadaistischen Texten komplett irre. "Was Mir Passiert" lässt sich entweder lieben oder hassen - wenn man überhaupt Worte dafür findet, was man sich da gerade angehört hat.
1 Kommentar
Ein Album, das mehr Aufmerksamkeit verdient hätte! Größtenteils echt gute Texte und gute Vibes.