14. November 2019

"Ich habe jetzt meinen eigenen Laser mit auf Tour"

Interview geführt von

Die letzten Jahre im Leben von Boy & Bear-Frontmann Dave Hosking waren geprägt von Angst, Schmerz, Leid und Hoffnung. Der Grund: eine lange Zeit nicht erkannte Darmkrankheit, die auch die Zukunft der Band in Frage stellte.

Vier Jahre sind seit dem letzten Boy & Bear-Studioalbum "Limit Of Light" vergangen. Vier Jahre, die Sänger Dave Hosking als schwerste Zeit seines Lebens bezeichnet. Wir trafen den Australier anlässlich des soeben erschienenen Albums "Suck On Light".

Dave, wie fühlt es sich an, nach vier langen Jahren endlich wieder über neue Musik sprechen zu können?

Dave Hosking: Es fühlt sich toll an. Es hat sich auch früher immer gut angefühlt. Aber diesmal steckt schon etwas mehr dahinter.

Welchen Stellenwert hat "Suck On Light" für dich?

Jedes Album ist wichtig. Und jedes neue Album bringt uns als Band und Musiker einen Schritt nach vorne. Aber klar, vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte ist "Suck On Light" sicherlich ein besonderes Werk. In meinen Augen ist es unser bisher stärkstes Album. Das liegt aber nicht nur an den vielen Emotionen, die den kompletten Prozess begleitet haben, und die sich auch auf dem Album wiederfinden. Es liegt auch am Sound und an den Songs. Es klingt unheimlich frisch und kommt der Atmosphäre und Energie unserer Konzerte ziemlich nah.

Ob es überhaupt ein neues Album von euch geben würde, stand lange Zeit in den Sternen. Welche Erinnerungen hast du vor Augen wenn du an die Zeit zurück denkst, als es endlich wieder losging?

Da sind gar keine konkreten Bilder. Aber da sind ganz viele Gefühle. Es war ja nicht so, dass wir einen bestimmten Start-Moment hatten. Das war eher ein Prozess. Wir haben ungefähr ein Jahr lang an neuen Songideen gearbeitet. Und irgendwann war genug Material vorhanden, das uns wirklich überzeugt hat. Dann sind wir nach Nashville gefahren und haben Nägel mit Köpfen gemacht.

Vor rund drei Jahren war an ein neues Album nicht zu denken. Du warst zu der Zeit sehr krank. Wann haben die ersten Symptome angefangen? Wann hast du gemerkt, dass irgendwas nicht in Ordnung ist?

Das ging schon 2011 los. Nach dem "Harlequin Dream" wurde es dann immer schlimmer. Ich erinnere mich an Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass mein Körper ein Eigenleben führt. Ich hatte keinen Zugriff mehr. Ich war verwirrt, hatte Angst und merkte, dass meine Gedanken nicht mehr richtig hinterher kamen.

"Ich war wirklich fix und fertig"

Das war aber erst der Anfang, richtig?

Ja, vor ungefähr vier Jahren wurde es dann richtig schlimm. Ich hatte plötzlich kein Zeitgefühl mehr. Meine Sinne wurden extrem empfindlich. Wenn ich irgendwo ins Licht sah, brannten meine Augen. Und jedes kleinste Geräusch verursachte große Ohrenschmerzen. Ich war wirklich fix und fertig.

Was war in dieser Phase schlimmer: das Leid und die Schmerzen oder die fehlende Diagnose?

Es war der Mix aus beidem. Es gab Tage, da ging gar nichts mehr. Und als wäre das nicht schon genug gewesen, konnte einem auch keiner sagen, wann dieser Zustand endlich ein Ende hat.

Wie tief in den Abgrund zog dich diese Phase?

Es ging nicht mehr tiefer. Ich lebte knapp zwei Jahre in nahezu völliger Isolation. Niemand konnte mir helfen. Und ich konnte mich auch nicht öffnen. Das war ein Teufelskreis. Tagsüber wollte ich einfach nur meine Augen schließen und mich verkriechen. Und nachts konnte ich vor lauter Angst und Schmerzen nicht schlafen.

Irgendwann gab es dann doch eine Diagnose. Bei dir wurde eine chronische Dysbiose, ein Ungleichgewicht der Darmflora, festgestellt. Wie lange hielt das erleichternde Gefühl, endlich zu wissen, was los ist, an?

Naja, zunächst war ich schon sehr erleichtert. Als dann aber Diät-Behandlungen und verschiedene Antibiotika-Therapien nicht anschlugen, war die Freude über das neue erlangte "Wissen" auch schnell wieder vorbei. Ich glaube, ich habe ein ganzes Jahr nur Gemüse und Eiweiß zu mir genommen. Erst als mir ein Spezialist sagte, dass die Dysbiose nicht zwingend das Problem sei, sondern ein Darmbakterium, das mein Nervensystem angreift, erkannten wir alle ein Licht am Ende des Tunnels. Erst nach dieser Erkenntnis konnte ich richtig behandelt werden.

Danach musstest du dich einer Stuhltransplantations-Therapie unterziehen. Hättest du je gedacht, dass dir das große Geschäft eines Fremden zu mehr Lebensqualität verhelfen könnte?

Definitiv nicht. (lacht) Aber so war es und ich bin sehr dankbar. Der Weg dorthin war wirklich nicht leicht. Im Krankenhaus hätte mich jede Sitzung viel Geld gekostet. Und wir wussten alle, dass ich jeden Tag eine brauchte. Ich hab mir dann irgendwann den ganzen Ablauf ganz genau erklären lassen und habe mir daheim quasi mein eigenes Transfusionslabor eingerichtet. Als ich damit fertig war, habe ich überall selbstgemachte Flyer verteilt und an die Briefkästen und Hauswände getackert. Kurz darauf meldete sich ein Typ aus der Nachbarschaft bei mir und meinte, er wolle und könne mir helfen. So hatte ich dann meinen ganz persönlichen Kotspender, meinen "Poo-Roadie" Harry.

"Ich hab jetzt meinen eigenen Laser mit auf Tour"

Der soll wohl auch bei den Aufnahmen in Nashville mit dabei gewesen sein, richtig?

Ja, Harry war auch in Nashville. Es ist unglaublich, wenn man sieht, was manche Menschen bereit sind zu tun, nur um anderen Menschen zu helfen. Das ist schon ziemlich krass. Ich werde Harry immer dankbar dafür sein, dass er uns begleitet hat und mir tagtäglich als Spender zur Verfügung stand.

Du sprichst von Harry in der Vergangenheitsform. Demnach ist die Behandlung beendet?

Ja, die Behandlung mit Harry ist beendet. Ich denke, dass wir beide froh darüber sind, dass sich in der Zwischenzeit eine neue Form der Behandlung ergeben hat. Harry war mir wirklich eine Riesenhilfe in der Vergangenheit. Und ich weiß auch nicht, wie ich ihm für seinen Support und seine Opferbereitschaft angemessen danken kann. Wir haben uns in den letzten Monaten angefreundet. Er war mit der Band zusammen im Studio. Das allein macht mich schon sprachlos.

Welche Behandlung hilft dir jetzt?

Wir mussten eine Lösung für die Live-Situation finden. Harry führt ja auch noch ein eigenes Leben. Wir haben also intensiv geforscht und recherchiert. Und irgendwann hatten wir dann Kontakt zu einem weiteren Spezialisten, der uns eine spezielle Laser-Therapie ans Herz legte. Glücklicherweise funktioniert die prächtig. Ich hab jetzt quasi meinen eigenen Laser mit auf Tour. Das ist schon ziemlich cool.

Ist die Lebensqualität wieder komplett zurück?

Noch nicht ganz. Es gibt immer noch Tage, die mir viel abverlangen. Aber es geht immer besser.

Wenn man so viel durchmacht, so viel erlebt und dabei nicht nur einmal kurz vor dem Abgrund steht ... Was macht das mit einem?

Es rückt die kleinen Dinge im Leben in den Vordergrund. Wie ich schon sagte, ich bin Harry total dankbar. Ich bin aber auch allen anderen, die mich in den vergangenen Jahren auf meinem Weg begleitet haben, total dankbar. Ohne meine Familie, meine Freunde und meine Band wäre ich heute sicherlich nicht hier.

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