1. Juni 2012

"Ihr könnt es einfach nicht abwarten, oder?"

Interview geführt von

Seit nunmehr zwanzig Jahren bewegt sich Stone Gossards Zweitkapelle Brad im Windschatten von Pearl Jam. Mit dem aktuellen Longplayer "United We Stand" gehen mittlerweile fünf Alben auf das Konto des illustren Quartetts.Fernab von Stadionkonzerten und Millionen verkauften Tonträgern fristen Brad seit zwei Dekaden eher ein Dasein im Bewusstsein eingefleischter Szenekenner. Das stört den in Seattle aus der Taufe gehobenen Vierer aber keineswegs, auch wenn man sich darauf geeinigt hat, die Zügel in Zukunft wieder etwas strammer zu ziehen und das Projekt mehr in den Vordergrund zu stellen.

Wie das genau aussehen soll, was "United We Stand" von den bisherigen Outputs der Band unterscheidet und natürlich den aktuellen Stand der Dinge im Hause Pearl Jam verriet uns Stone Gossard im Interview.

Hi Stone, ihr seid gerade auf Tour in eurer Heimat. Wie läuft's bisher?

Es fühlt sich toll an. Wir sind gerade in Los Angeles. Alles läuft super. Wir sind sehr zufrieden.

Wie sieht es vor und nach den Konzerten aus? Fragen die Leute dich mehr über Brad aus, oder wollen die meisten eher wissen, wie es um das neue Pearl Jam-Album bestellt ist?

(lacht) Es gibt natürlich viele, die mich auf Pearl Jam ansprechen, ganz klar. Ich bin auch keiner, der sich permanent abschottet und die Leute im Regen stehen lässt. Also erzähle ich, was ich zu erzählen habe. Den meisten ist das aber viel zu wenig (lacht). Grundsätzlich kommt der überwiegende Teil der Zuschauer aber, um Brad live zu sehen. Das ist wirklich schön, denn wir hatten noch nie so ein stimmiges Bandgefühl wie dieser Tage, und der Austausch mit den Leuten pusht das Ganze noch zusätzlich.

Woher rührt diese plötzliche "Aufbruchsstimmung", schließlich gibt es die Band schon fast genauso lange wie Pearl Jam?

Das ist schwer zu beantworten. Wir haben bei Brad immer ohne Druck gearbeitet. Es ging uns stets um den Spaß an der Sache. Den hatten wir diesmal natürlich auch, aber es war dennoch etwas anderes. Wir haben während der Aufnahmen gemerkt, dass wir das Projekt weiter nach vorne treiben müssen und diese Erkenntnis hat uns noch enger zusammengeschweißt. Ich meine, wir hatten uns davor, zwischen "Best Friends?" und "Welcome To Discovery Park" acht Jahre Zeit gelassen. Dieses Mal sind wir sechs Jahre früher dran, und an dieser Entwicklung wollen wir auch in Zukunft festhalten.

Erzähl uns ein bisschen vom Entstehungsprozess des neuen Albums. Die letzten Alben habt ihr immer innerhalb weniger Wochen eingespielt. Für "United We Stand" wart ihr hingegen mehrere Monate im Studio. Wie kam es dazu?

Wir haben uns diesmal einfach den Luxus erlaubt, ohne Zeitdruck zu arbeiten. Wenn man nicht gerade ein komplettes Paket bereits fertig im Kopf oder auf Band hat, ist es immer von Vorteil, mehr Zeit zu haben. So hast du die Möglichkeit, sowohl spontan als auch langfristig zu arbeiten. Wir konnten uns diesmal entspannt zurücklehnen und wirklich von Null anfangen.

Wir hatten genug Zeit, um letztlich fünfzig oder sechzig rohe Songskizzen anzufertigen, an denen wir immer wieder feilen konnten. Manche landeten komplett auf dem Müll, andere wurden fast unbearbeitet übernommen. Dazwischen gab es unheimlich viele Aufnahmen, von denen nur einzelne Basics später verwertet wurden.

Es war ein bisschen wie in einem großen Kaufhaus, verstehst du? (lacht) Überall glitzert und funkelt es, aber man weiß, dass man am Ende nur ein paar Taschen tragen kann, also sucht man sich die schönsten Dinge aus und geht dann glücklich nach Hause. Das war dann Ende 2011 der Fall, als wir aus diesem Potpourri die für uns aufregendsten zehn Songs herausgefiltert haben.

Klingt spannend.

Absolut. Die erste Phase der Aufnahmen stand komplett unter dem Motto: alles ist erlaubt. Es gab kein Konzept und keinerlei Regeln. Wir haben einfach alles in einen Topf geworfen. Während der zweiten Phase haben wir dann das Puzzle zusammengesetzt. Es war wirklich ein Segen, so arbeiten zu können. Die Möglichkeit, ohne Zeitdruck und Terminstress aufnehmen zu können hat man nicht immer.

"Ich habe mehr Freiräume, wenn ich mit Brad auf der Bühne stehe"

Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber dürfte 2011 nicht mit das stressigste Jahr deiner bisherigen Laufbahn gewesen sein?

Du meinst in Bezug auf Pearl Jam?

Ja.

Ja, wir hatten ziemlich viel um die Ohren. "Live On Ten Legs", der Film, der Soundtrack: Da kam natürlich einiges zusammen. Aber irgendwie hat es trotzdem gepasst. Frag mich nicht wie, aber es hat funktioniert (lacht).

Auf euren vorherigen Alben gab es immer einzelne Songs, die sich mir sofort aufdrängten. "United We Stand" überzeugt hingegen primär aufgrund einer durchgehenden Homogenität. Wie siehst du das?

Freut mich, dass du das so empfindest. Natürlich ist es immer schön und natürlich auch vom kommerziellen Aspekt her von Vorteil, wenn du eine Single hast. Darum ging es uns diesmal aber überhaupt nicht. Wir wollten etwas Komplettes. Das haben wir meiner Meinung nach auch ganz gut hinbekommen, auch wenn es trotzdem den einen oder anderen Song für mich gibt, der etwas 'über den Dingen' steht.

Und zwar?

"A Reason To Be In My Skin" and "The Only Way" sind zwei Songs, die das Gesamtpaket besonders ausdrucksstark repräsentieren. Vor allem Shawns Stimme kommt hier eindrucksvoll zur Geltung. "The Only Way" ist beispielsweise ein Track, der völlig aus dem Bauch heraus entstanden ist und gleich beim ersten Take im Kasten war.

Im Gegensatz zu Pearl Jam bist du bei Brad alleine verantwortlich für die Gitarren-Parts. Hand aufs Herz: Wo fühlst du dich wohler?

(lacht) Es hat beides seinen Reiz. Sicherlich stehe ich bei Brad etwas mehr in der Verantwortung, was etwas herausfordernder ist. Ich habe wesentlich mehr Freiräume, wenn ich mit Brad auf der Bühne stehe, was für einen Gitarristen, der sich hin und wieder auch mal ganz gerne austobt, natürlich eine tolle Sache ist. Aber der Spaßfaktor ist bei beiden Bands derselbe. Es ist unheimlich aufregend, mich bei Pearl Jam mit Mike auszutauschen, denn er ist in meinen Augen einer der besten Gitarristen der Welt. Auf der anderen Seite ist es aber auch spannend, die Zügel alleine in den Händen zu halten.

"Es gibt nichts Langweiligeres, als sich zu wiederholen"

Inwieweit unterscheidet sich der Arbeitsprozess von beiden Bands?

Das Schöne ist, dass es keinen großen Unterschied gibt. Sowohl bei Brad als auch bei Pearl Jam ist jedes Bandmitglied komplett in den Songwriting-Prozess involviert. Jeder ist offen und empfänglich für die Ideen eines anderen. Das ist großartig, auch wenn es ja manchmal heißt, dass zu viel Demokratie im Chaos endet. Du brauchst natürlich starke Charaktere, damit diese Arbeitsweise funktioniert. Zum Glück verfügen beide Bands über echte Persönlichkeiten, die eher an externem Input wachsen, als dass sie sich entmündigt fühlen.

Obwohl beide Bands in etwa zur gleichen Zeit aus der Taufe gehoben wurden und der musikalische Hintergrund zu Beginn ähnlich war, haben sich beide Combos in punkto öffentlicher Wahrnehmung unterschiedlich entwickelt. Ist die "Ruhe" bei Brad für dich eine willkommene Abwechslung zum Hype-Alltag bei Pearl Jam?

Es ist eine andere Atmosphäre, aber für mich persönlich macht es keinen großen Unterschied, denn ich bin immer nervös; egal ob ich vor 100 oder vor 30.000 Leuten spiele. Ich kenne die Jungs in beiden Bands schon seit fast dreißig Jahren. Wir sind keine Kollegen, sondern Freunde, und beide Bands wollen sich weiterentwickeln und haben den inneren Druck, die Leute da draußen von ihrem Schaffen zu überzeugen.

Dementsprechend engagiert sind auch alle bei der Sache. Da gibt es keine Unterschiede. Bei Brad ist halt alles eine Nummer kleiner. Aber die künstlerische Motivation und der selbst auferlegte Druck, das Beste aus einem herauszuholen, ist identisch.

Ich habe kürzlich gelesen, dass es für dich keine Altersgrenze gibt hinsichtlich musikalischer Aktivitäten. Was glaubst du, mit welcher Band stehst du in fünfzehn oder zwanzig Jahren noch auf der Bühne? Mit Brad oder mit Pearl Jam?

Oh, ich hoffe doch mit beiden (lacht). Musik zu machen, Songs zu schreiben und sie live zu spielen ist mein Leben. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann an den Punkt gelange, wo mir das keinen Spaß mehr macht. Vielleicht treibt mich höhere Gewalt irgendwann einmal zur Aufgabe, wenn ich merke, dass ich nicht mehr vom Stuhl hochkomme oder meine Gitarre nicht mehr halten kann. Aber bis es soweit ist, werde ich weiter musizieren.

Es müssen ja auch keine endlosen Touren mehr sein. Es würde mir vollkommen reichen, wenn ich abends ins Bett falle und wüsste, dass Musikmachen den größten Teil meines Tages beinhaltet hätte. Und wenn ich mir überlege, wie der Großteil meiner Bandkollegen drauf ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass keine der beiden Bands irgendwann einfach so das Handtuch wirft. Dafür sind wir alle zu besessen von dem, was wir machen (lacht).

Ganz im Stile der Stones und Co. also?

Ja, warum nicht? Viele Bands erreichen erst im hohen Alter ihren künstlerischen Zenit. Ich bin auf jeden Fall noch weit entfernt davon, mich zur Ruhe zu setzen.

Zum Schlafen hast du gerade auch wenig Zeit. Ein neues Pearl Jam-Album ist in der Mache. Wie ist der Stand der Dinge?

Ich würde sagen, dass wir die Hälfte hinter uns haben. Es gibt schon einige fertige Songs, aber noch massenhaft Ideen.

Du musst schon detaillierter werden.

(lacht) Ihr könnt es einfach nicht abwarten, oder?

Nicht wirklich.

Wo bleibt denn da der Überraschungseffekt?

Es geht mehr um die Vorfreude, die du mit einigen Interna steigern könntest.

Also gut. Ich denke, es wird einige Leute etwas vor den Kopf stoßen, so wie seinerzeit "No Code". Ich würde jetzt nicht zwingend von einer ähnlichen Richtung sprechen, aber wir probieren definitiv viel aus. Es gibt doch nichts Langweiligeres, als sich zu wiederholen, und genau mit dieser Einstellung werkeln wir gerade an dem Album. Es ist sehr aufregend, denn alles ist möglich.

Jeder versucht tolle Songs zu schreiben. Wir stecken noch mittendrin und die Richtung ändert sich mit jedem neuen Treffen. Wir hoffen natürlich, dass es den Leuten gefallen wird, aber es ist noch nicht abzusehen, wie das Resultat klingen wird. Wir werden sehen. Die Leute, die in die bisherigen Songs reingehört haben, hatten zumindest ein Grinsen im Gesicht, auch wenn es nicht viele Menschen waren. (lacht).

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