3. Juni 2020

"Plötzlich hörst du auf zu duschen"

Interview geführt von

Mit "Local Honey" hat Brian Fallon die Platte gemacht, die er immer schon machen wollte: Ein reduziertes, bodenständiges Singer/Songwriter-Album ohne Bombast, Gitarrenwände oder Pomp. Dass das mit seiner auf Eis liegenden Band The Gaslight Anthem nichts zu tun hat, kann man dennoch nicht behaupten: Denn sowohl Fallons Stimme als auch sein Songwriting haben eben großen Wiedererkennungswert.

Musikalisch geerdet mit Joe Strummer und Bruce Springsteen, zwischen Punkrock, Stadionrock und Americana, zeigt sich Fallon auf "Local Honey" ganz als Blue-Collar-Songschreiber. Es geht meist um die alltäglichen Dinge: um Kinder, um den Alltag und die Zukunft. Ach ja: Und um einen Mord.

Weil wir Brian nicht wie geplant vor seiner Berlin-Show (die wegen der Corona-Pandemie verschoben werden musste) treffen konnten, riefen wir bei ihm in seiner Heimat New Jersey an und sprachen mit ihm über Musik, Alltag, neue Projekte, die Vergangenheit und Bruce Springsteen.

Brian, du hattest das Pech, das du derzeit mit vielen Musikern teilst: Du hast eine tolle Platte veröffentlicht, kannst aber wegen der Pandemie nicht touren. Wie verbringst du gerade deine Zeit?

Die meiste Zeit bin ich zuhause. Ich habe hier meine Familie, aber ich versuche auch die Platte online zu promoten. Wir können ja nicht touren, um diese Platte zu bewerben, also schaue ich jetzt eben, was ich online tun kann. Ich mache zweimal die Woche auf Instagram diese Songwriter-Show, spreche mit den Leuten – und spiele eben Online-Konzerte.

Nutzt du die Zeit auch zum Schreiben?

Ja, das tue ich – und daneben nehme ich Stunden. Online-Kurse für Musik, fast wie auf der Uni.

Stimmt es, dass du für "Local Honey" Klavier spielen gelernt hast?

Ich habe mit dem Klavierspielen nach der letzten Platte begonnen. Ich hatte das Gefühl, das ist etwas, das ich unbedingt tun sollte. Mein ganzes Leben wollte ich das machen – und ich fühlte, als wäre der Zeitpunkt gekommen. Und dann ging es sogar recht schnell.

Hattest du einen Lehrer oder nahmst du dir Online-Klassen?

Ich hatte einen Lehrer. Was für mich immer funktioniert, wenn man etwas neues lernen möchte: Online-Kurse sind toll, aber etwas von Grund auf zu lernen ist schwer, weil niemand fundamentale Fehler korrigiert. Ich finde es immer am besten, beides gleichzeitig zu machen – du lernst die Grundlagen von einem Lehrer und dann kannst du online auch noch zusätzliche Infos holen.

Welche Online-Kurse machst du denn?

Das wird jetzt nicht zwangsläufig Teil meiner Musik werden, aber: Ich studiere Voice Leading – etwas, das du unter anderem im Jazz findest. Dabei spielst du die Gitarre wie ein Klavier und nicht wie eine Gitarre.

Klingt so, als wäre da viel Theorie dabei.

Ja, sogar sehr viel. Ein gutes Beispiel ist Nina Simones Song "I'm Feeling Good" und die Art, wie ihr Gitarrist oft spielt. Auch Tom Waits nutzt diese Art, zu spielen. Es ist eine andere Art, die Gitarre zu betrachten. Meistens nehmen Leute die Gitarre her und spielen wie Duane Allman oder Slash. Das ist cool, aber das interessiert mich nicht. Mich interessiert die Musikalität und die Möglichkeiten dieses Instruments — denn ich denke, die Gitarre kann mehr. Ich sehe sie mehr wie eine Sinfonie, wie ein Orchester. Die tiefen Saiten sind die eine Sektion des Orchesters, die hohen Saiten eine andere. Und die Frage ist, wie bekomme ich diese Sektionen zusammen? Die Gitarre hat ein immens breites Spektrum und einen großen tonalen Umfang. Sie ist einzigartig, aber oft auch limitiert. Es ist cool, wenn man wie Jimmy Page spielen möchte. Aber das ist nur ein Aspekt von dem, was möglich ist. Die Gitarre hat eine Menge Aspekte. Für mich ist das wie eine Suche. Eine Suche nach Kunst, nach der Frage, ob es etwas anderes gibt.

Warst du immer schon einer, der sich für die theoretische Seite der Dinge interessiert – beispielsweise beim Songwriting?

Nein, das ist so komisch: Als ich jung war, hat mich das nie auch nur im Geringsten interessiert. Damals wollte ich einfach nur wie Joe Strummer klingen. So auf: Gib mir eine Gitarre, gib mir drei Akkorde, und wenn es nach den Ramones oder The Clash klingt, ist alles in Ordnung. Und das finde ich immer noch toll. Ich höre mir diese Sachen an und bin immer noch begeistert. Aber wenn du auf einem Instrument weit kommst, legst du es irgendwann mal gelangweilt zur Seite – oder du denkst dir: Was ist darauf noch möglich?

Ich finde das bei vielen großen Gitarristen oder Musikern im Allgemeinen immer faszinierend: Dass sie sich selbst als Schüler sehen, die immer etwas Neues entdecken.

Ja, mich fasziniert das auch. Es gibt zwei Leute, die mir extrem geholfen haben. Der eine ist Julian Lange, ein Gitarrist aus Brooklyn. Der andere ist Harrison Whitford, er ist Phoebe Bridgers' Gitarrist. Ich habe mich mit ihnen online viel unterhalten und auch Stunden bei ihnen genommen. Sie sind Meister in dem, was ich gerade beschrieben habe. Sie sind beide wirklich großartig und haben mir sehr großzügig weitergeholfen.

"Eine ganz klare Straße ohne Ablenkungen"

Auf "Local Honey" ist die Produktion ja viel spärlicher als auf deinen Alben zuvor. War das eine bewusste Entscheidung oder zeichnete sich das erst ab?

Das war eine bewusste Entscheidung. Ich habe mit dem Produzenten Peter Katis gesprochen und wir wollten beide etwas versuchen, das nicht so dicht war. Das hatte ich ja bereits zuvor gemacht. Bei diesen Songs und Lyrics brauchte ich eine ganz klare Straße ohne viele Ablenkungen.

Es war deine erste Zusammenarbeit mit Peter Katis. Wie lief die ab?

Ich nahm zuhause Demos auf und schickte sie ihm. Er sammelte Ideen – und als wir uns im Studio trafen, nahmen wir ganz rudimentäre Versionen auf, so, als würde man es live einspielen. Nur Gitarre und Stimme. Dann schauten wir, was wir so daraus machen konnten.

Welche Rolle nimmt denn der ideale Produzent für dich ein?

Für mich ist der ideale Produzent jemand, der sich deine Songs, deine musikalische Vision hernimmt und sie in Höhen bringt, die du selbst nicht erreicht hättest. Entweder dadurch, dass er neue Sounds hinzufügt oder den Songs neues Leben gibt. Ich mag es nicht, wenn Leute einfach nur auf den Aufnahmeknopf drücken. Das sind dann einfach nur teure Demos.

Ist dir das mal passiert?

Nein, jeder mit dem ich gearbeitet habe, war wirklich gut. Aber es ist Leuten passiert, die ich kannte. Die sagten dann eben: "Oh Mann, das war ein teures Demo". Das ist schlecht.

Wie war denn die Zeit, als die Platte entstand?

Die meiste Zeit verbrachte ich damals zuhause. Es war einfach ein alltägliches Leben. Ich war nicht auf Tour, brachte die Kinder zur Schule und tat einfach die normalen Dinge. Ich hatte einen stetigen Tagesablauf, auch beim Schreiben. Ich machte mich zu einer bestimmten Zeit an die Arbeit, manchmal kam etwas dabei raus, manchmal überhaupt nichts.

Warst du immer schon strukturiert – oder kam das erst mit dem Eltern-Dasein?

In den ganz frühen Tagen schrieb ich eben dann, wenn ich etwas zu sagen hatte oder eben fühlte, einen Song schreiben zu müssen. Das war eher zufällig damals. Als ich dann aber älter wurde, sogar schon bevor ich Kinder hatte, entwickelte ich eine Routine. Ich mag das: Früh aufstehen, erstmal einen Kaffee trinken und dann ein paar Stunden schreiben. Man schaut, was dabei rauskommt – und legt es dann den Rest des Tages weg und erlaubt sich selbst nicht mehr, daran zu denken. Das ist wie ein Trick für deinen Geist: Du brichst inmitten einer Idee ab und lässt es bis zum nächsten Tag liegen. Es bringt dein Unterbewusstsein dazu, an diesen Ideen weiterzuarbeiten.

Ist das schwer?

Manchmal ist es das, manchmal aber auch nicht. Es ist ja auch keine in Stein gemeißelte Regel. Du kannst die Idee ja auch fertig machen, wenn du wirklich musst. Du kannst aber auch ganz schön komisch werden, wenn du ununterbrochen schreibst. Plötzlich hörst du auf, dich zu rasieren und zu duschen.

"Where's Brian?"

Im Februar wurdest du 40 Jahre alt. Würdest du sagen, das hatte einen Einfluss auf das doch sehr kontemplative, oft melancholische Album?

Ja, ich denke, dieses Alter macht genau das mit dir. 18 ist ein großes Alter, du kannst deine eigenen Entscheidungen treffen. Mit 21 kannst du legal trinken. Und mit 40 erkennst du: 'Oh, ich bin gar kein Kind mehr'. Das ist, glaube ich, universell.

Du bist ja seit einigen Jahren solo unterwegs – gibt es Dinge, die du am Leben als Teil ein Rockband vermisst? Und welche Dinge sind als Solokünstler ganz klar besser?

Als ich als Solokünstler begonnen habe, wusste ich nicht, was ich darf. Musste ich wie die Band klingen? Durfte ich etwas ganz anderes machen? Ich durchlief diesen Prozess, bis mir klar wurde: Als Solokünstler darf ich machen, was ich möchte. In einer Band zu sein ist cool, aber ich finde es besser, nicht immer mit vielen Leuten Entscheidungen treffen zu müssen. Alles ist immer eine Entscheidung – das ist bei allen Bands so, nicht nur bei meiner. Jede Entscheidung muss von allen abgesegnet werden und es gibt immer vier verschiedene Meinungen. Alleine geht es einfach schneller. Ich sage nicht, dass es alleine besser ist, es geht einfach schneller. Vermisse ich es in einer Rockband zu sein? Nein, nicht wirklich. Ich habe es ja bereits gemacht und das, so gut ich konnte. Und ich denke, ich habe es gut gemacht. Ich könnte es jetzt nicht mehr besser machen, denke ich. Und ich finde, wenn du etwas so gut gemacht hast, wie du es eben konntest, solltest du keine schwächere Version dessen nochmal machen, nur weil du es eben weitermachen möchtest. Ich könnte viel mehr Geld machen, wenn ich sagen würde: Ich spiele mit der Band diese viel größeren Venues. Ich bin sehr stolz auf das, was wir getan haben. Aber etwas zu machen, das nicht mehr an das alte heranreicht? Es geht in dieser Sache einfach nicht ums Geld. Wenn dein Herz nicht mehr drinsteckt, wenn es nicht mehr um Kunst, Kreativität und darum geht, die Welt besser zu machen, wenn man es nur noch macht, um es eben zu machen: Dann kann man gleich irgendeinen großen, fancy Produzenten nehmen, der einem für viel Geld Hits schreibt. Das macht für mich keinen Sinn. Wenn es nicht deine Passion ist, dann wird’s einfach schwierig.

Hast du deswegen auch dein eigenes Label Lesser Known Records gegründet?

Ja, einerseits deswegen und andererseits, weil ich das Gefühl habe, nicht mehr in die Welt der Major-Labels zu passen. Ich möchte Songs schreiben, die mich inspirieren. Mir geht nicht um Radio-Airplay. Und das ist das Gegenteil von dem, was ein Major-Label von dir möchte: Radio-Airplay, Erfolg. Das ist ja okay und auch kein Geheimnis: Major-Labels heißen deswegen Major-Labels, weil sie groß sein wollen. Und ich habe kein Interesse daran, 'groß' zu sein. Ich möchte kreativ sein. Deswegen dachte ich mir: Anstatt das System zu bekämpfen, kann ich es auch gleich auf meine eigene Art machen. Ich enttäusche dabei niemanden.

Wahrscheinlich hast du jetzt eine ganze Menge mehr Arbeit.

Oh ja, es ist viel mehr Arbeit. Aber das schöne ist, dass es viel lohnender ist. Ich entscheide alles, jedes kleine Detail, bis zum Font auf dem Frontcover. Natürlich helfen mir Leute, machen die Artworks, die Entscheidung liegt aber bei mir.

Lass uns über den Song "Vincent" sprechen – ein Song, der textlich aus der Reihe tanzt. Darum geht es um eine Frau, die ihren Mann ermordet.

Ich habe "On Writing: A Memoir of the Craft" von Stephen King gelesen, in dem er von seinem Schreibprozess erzählt. Zur gleichen Zeit sah ich eine Doku über Nick Cave, der erklärte, wie er Songwriting nutzt, um Geschichten zu erzählen. Ich hatte das so noch nie gemacht, ich habe noch nie eine fiktionale Geschichte geschrieben. Ich wollte wissen, was passieren würde, wenn ich das tue. Ich wollte etwas schreiben, das weit von mir entfernt war, aber sich interessant anfühlte. Ich habe nie in Texas gelebt, ich weiß nichts von Rodeos – aber es hat mich fasziniert. Also schrieb ich diesen Song über eine Frau, die in Texas lebt und auf Rodeos geht. Sie hat eine schwere Zeit – und während des Schreibens wurde es zu etwas ganz anderem. Es ist so, wie Stephen King sagt: Man muss die Charaktere zu sich sprechen und sie erklären lassen, was sie tun wollen. Je mehr Zeit du mit ihnen verbringst, desto mehr zeigt sich einem die Geschichte.

In “When You’re Ready” gibst du Lebensratschläge an deine Kinder.

Jeder möchte, dass seine Kinder jemanden finden, der sie liebt, der sie gut behandelt und der sich um sie kümmert. Aber als Eltern kann man sich das nicht aussuchen. Du ziehst deine Kinder auf so gut es eben geht — und tust alles, damit sie später ihre eigenen Entscheidungen treffen können, die mit dir einfach nichts zu tun haben. Es geht darum, loszulassen, die Kinder ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Und ich hoffe, dass ich meine Kinder darin bestärke, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und sich von der Welt nichts reinreden zu lassen.

Ich habe dich 2009 zum ersten Mal live gesehen – auf dem London Calling Festival mit The Gaslight Anthem im Londoner Hyde Park. [Bruce Springsteen kam beim Auftritt von The Gaslight Anthem für einen Song auf die Bühne – und holte bei seiner Show später Brian für ein Duett auf die Bühne, Anm.]. Das war für euch ja international ein großer Sprung nach vorne. Was sind deine Erinnerungen an diese Show?

Das war für uns ein Wendepunkt. Wobei, der Wendepunkt war schon eigentlich am Tag vorher auf dem Glastonbury Festival. Es war die Zeit, als wir bekannt wurden. Wir hatten gerade The '59 Sound veröffentlicht, die Leute mochten es, wir bekamen gute Reviews, die Shows waren gut ... aber nichts passierte so wirklich. Und dann spielten wir Glastonbury und Bruce spielte mit uns! Plötzlich wusste die ganze Welt, wer wir waren. Für uns gab es vor Glastonbury und nach Glastonbury. Ich wusste, dass etwas passieren wird. Bruce veröffentlichte die Hyde-Park-DVD ja sogar und ließ unseren gemeinsamen Song drauf. Ich war überzeugt, dass er den Song rausschneiden würde, aber er ließ ihn drauf. Er hat ihn gerade auf iTunes wiederveröffentlicht. Das ist schon verrückt.

Ich erinnere mich gut, als Springsteen während seines Sets rief: "Where's Brian?"

Ich war so nervös. Ich wusste, dass meine Mutter das sehen würde und ich konnte sie nicht enttäuschen. Meine Mutter ist ein riesengroßer Springsteen-Fan. Ich wusste, dass ich eine gute Figur machen musste. Als ich sang, fühlte ich mich umgeben von Brüdern und Schwestern, die das gleiche fühlten wie ich. Bruce Springsteen hat diese Community, es waren 180.000 Leute im Publikum. Aber als ich rauskam, fühlte ich mich von der Band und den Leuten in der Menge umarmt. Ich hatte das Gefühl, dass das meine Leute sind, die das gleiche lieben wie ich, die zu hundert Prozent das gleiche fühlen wie ich. Ich habe so etwas auf der Bühne vorher und nachher nie mehr gefühlt.

Eine letzte Frage: Wer deine Musik von früher kannte, war wohl nicht überrascht, dass du irgendwann mal ein Album wie "Local Honey" machen würdest. War das für dich auch immer schon klar?

Ich wusste sogar schon vor der Zeit mit der Band, dass ich so eine Platte machen will. Ich wartete nur auf die Chance, aber wusste am Anfang nicht, ob sie mir jemand geben würde. Ich hatte die Band schon mal auf eine Stripped-Down-Platte angesprochen und alle meinten "Ja, vielleicht". Nur wurde nie mehr daraus. Aber ich wollte es immer machen. Ich glaube, das ist meine Bestimmung: Ein Songwriter zu sein.

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