laut.de-Kritik

Das Wunderkind ist tot, es lebe der geniale Songwriter.

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"Getting rid of the old feelings": Eindeutiger könnten die ersten Worte das Leitmotiv von "Cassagada" gar nicht formulieren. Der gefeierte spokesman of a disorientated generation hat endgültig genug von Tristesse und Selbstzweifel. Schon "I'm Wide Awake, It's Morning" brach mit der alten Weltsicht, die Liebe zog Oberst damals aus dem emotionalen Abgrund. Nun verabreicht sich der Bright Eyes-Kopf das nächste Antidepressivum. Einer der hervorragendsten Songschreiber unserer Zeit baut sich vor jedermanns Augen selbst neu zusammen.

Es ist ein festes Vertrauen auf eine ewige Balance zwischen Schwarz und Weiß, das ihn nicht länger mit sich und seiner Umwelt hadern lässt. Ist der Mann mit 27 zum Relativisten geworden? Vorzeitig altersweise und genügsam gar? Textzeilen wie "Better find yourself a place to level out" oder "Everything it must belong somewhere" mögen ein solches Bild zeichnen. In wieweit hier noch eine ironische Brechung vorliegt, lassen die Lyrics interessanterweise offen.

Greifbarer gibt sich der aktuelle Oberst in musikalischer Hinsicht. War es bis in die "Lifted"-Periode hinein dieses Gefangensein in der eigenen Trauer und Wut, das in der brüchigen Stimme und den Stream-of-Consciousness-Geschichten das passende Äquivalent fand, will ein neues Ich auch musikalisch neu unterfüttert werden. Resultat: Lo-Fi ist Geschichte. Stattdessen: Orchester. Flöten. Klaviere. Streicher, Streicher, nochmals Streicher. Und die längste Liste an Bright Eyes-Mitmusikanten ever.

Satter, häufig mehrstimmiger Bandsound ersetzt die narzisstische Ein-Mann-Reduktion. Das sechste Album versammelt euphorische Uptempi, "Digital Ash"-Reminiszenzen und zuckrigen Schlager erstmals ohne ein einheitliches Klangkonzept. Nur die unbeirrbare Zuversicht in den Lauf der Dinge verbindet. Was mancher bedauern mag: Jene unmittelbare Intimität früherer Tage geht im Pomp verloren. Seine persönliche Lichtung im Dschungel der Negationen gefunden zu haben, sollte Oberst aber sicher nicht verübelt werden. Das Folk-Wunderkind ist tot, es lebe der geniale Songwriter.

Trackliste

  1. 1. Clairaudients (Kill Or Be Killed)
  2. 2. Four Winds
  3. 3. If The Brakeman Turns My Way
  4. 4. Hot Knives
  5. 5. Make A Plan To Love Me
  6. 6. Soul Singer In A Session Band
  7. 7. Classic Cars
  8. 8. Middleman
  9. 9. Cleanse Song
  10. 10. No One Would Riot For Less
  11. 11. Coat Check Dream Song
  12. 12. I Must Belong Somewhere
  13. 13. Lime Tree

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