laut.de-Kritik

Tom Morello macht dem Boss Beine.

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Selbst der größte Bruce Springsteen-Fan bekommt beim Anblick des Covers des mittlerweile 18. Studioalbums des Sängers erst einmal einen gehörigen Schreck. Da posiert Amerikas Working Class-Hero breitbeinig mit aufgestelltem Kragen in hautenger Denim-Garderobe. Klischeebehafteter geht es kaum noch. Doch wer, wenn nicht der Boss, darf auch als 64-Jähriger noch den High Energy-Jungspund mimen, der mit langem Atem und erhobenem Zeigefinger in den Wunden einer Nation bohrt, in der auch heute noch das größte Loch zwischen Größenwahn und purem Überleben klafft.

Beweisen muss der zwanzigfache Grammy-Preisträger keinem mehr etwas. Das Einzige, was in der jüngeren Vergangenheit wie ein nicht abzuschüttelnder Schatten an den Fersen des Sängers heftete, war der Vorwurf, der unermüdlichen Ausbeutung sämtlicher Stadionrock-Ressourcen.

Zwar versuchte Springsteen während der vergangenen Dekade wahlweise mit seichten Folk-Erinnerungen ("Devils And Dust", "We Shall Overcome") oder auf Hochglanz Poliertem ("Working On A Dream") vom eingebrannten Arena-Pfad abzulenken, doch blieb bei aller Wendigkeit das Standbein stets beharrlich stehen ("The Rising", "Magic", "Wrecking Ball").

Der in den vergangenen Jahren von vielen Kritikern geforderte befreiende und differenziert präsentierte Sprung über den Tellerrand blieb aus – Bis jetzt; denn mit "High Hopes" stopft Bruce Springsteen die letzten Löcher einer musikalischen Laufbahn, vor der der Großteil der Musikwelt wohl auch in hundert Jahren noch ehrfurchtsvoll niederknien wird.

Mit einer kunterbunten Mischung aus Neuem und Altbekanntem blickt der Boss zurück auf eine über 40 Jahre lang währende Reise voller Hoffnung, Glaube, Schmerz, Liebe und Wut. Dabei steht vor allem eines im Vordergrund: Die nahtlose Verbindung zwischen Antike und Moderne.

So findet sich das hibbelige Potpourri aus Blues, Soul, Gospel und Rock der Anfangstage, als die Koteletten im Gesicht des Songwriters noch länger waren als die Haare auf dem Haupte ("High Hopes"), ebenso wieder, wie der wabernde Springsteen-Vibe der Achtziger ("Harry's Place", "Down In The Hole").

Angestachelt vom befreiten Enthusiasmus ihres Maestros sorgen die verschiedensten E-Street-Konstellationen, die dem Sänger bei den Songs zur Seite standen, mit groovenden Percussion-Wänden ("Heaven's Wall"), immer wieder eingeworfenen Fidel-Spielereien von der grünen Insel ("This Is Your Sword") und kraftvollen Rock-Schüben ("Frankie Fell In Love") für den ultimativen Background eines musikalischen Konzepts, das eigentlich gar keins ist.

Alles ist erlaubt – sogar der Einsatz skurrilster Breitwand-Klänge. Für die ist Tom Morello zuständig. Der hochqualifizierte Page des Arena-Ritters aus Long Branch, New Jersey, der sich nicht erst seit Van Zandts Ausfall während der Australien-Tour im Frühjahr 2013 im Schatten des Background-Fundaments des E-Street-Kollektivs tummelt, spielt im Laufe des Albums all seine Trümpfe aus.

Dabei gipfelt Morellos unkonventioneller Mix aus flirrenden Wah Wah-Sounds und extraterrestrischen Fingerspielen in drei bahnbrechende Soli für die Ewigkeit ("The Ghost Of Tom Joad"). Allein für diese wohl vollkommenste und emotional aufwühlenste Neu-Interpretation eines Songs, der vor knapp zwanzig Jahren bereits im balladesken Gewand hohe Wellen schlug, zieht der Freund erdigen Treibens ehrerbietig seinen Hut.

Trackliste

  1. 1. High Hopes
  2. 2. Harry's Place
  3. 3. American Skin (41 Shots)
  4. 4. Just Like Fire Would
  5. 5. Down In The Hole
  6. 6. Heaven's Wall
  7. 7. Frankie Fell In Love
  8. 8. This Is Your Sword
  9. 9. Hunter Of Invisible Game
  10. 10. The Ghost Of Tom Joad
  11. 11. The Wall
  12. 12. Dream Baby Dream

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