24. September 2007
"Kronstädta ist ständig im Knast ..."
Interview geführt von Andreas HierlingWas kann man noch machen, nachdem man Teil des vielleicht genialsten Hip Hop-Projektes Deutschlands war und für unzählige große Namen produzierte? Nicht weniger als die Weltrevolution voranzutreiben...Mit seiner Band Gunjah frönt er dem Hardcore, er produziert einen extrem tanzbaren Grimecore für die Joseph Boys, hatte bei Daddy Freddys 2004er Release die Hände im Spiel und veröffentlicht zumindest hin und wieder mal eine Platte im Duo Bruder & Kronstädta: Danny Bruder ist ein sehr umtriebiger Musiker aus dem Herzen Berlins, der seit den frühen 90ern in zahlreichen Projekten aller musikalischen Stilrichtungen aktiv ist und vor allem mit dem zeitweise eingestampften, mittlerweile jedoch reaktivierten Hip Hop-Projekt "Das Department" einige Bekanntheit erlangte. Wir wollten herausfinden, was ihn zur Zeit beschäftigt und begaben uns kurzerhand nach Berlin, wo er sich geduldig unseren Fragen stellte.
Du bist Teil des Künstlerkollektivs/Label p-pack aus Berlin, das bereits seit 1993 existiert. Wann bist du dazu gestoßen?
Ich habe das p-pack damals mit meiner Band CPS gegründet. Eigentlich bereits 1991, allerdings kam erst 1993 die erste Single auf dem Label heraus – Man kann also sagen, das Kollektiv gibt es schon länger als das Label.
Wir wollten damals in erster Linie eigene Strukturen schaffen, innerhalb derer wir eine größere Kontrolle über unsere Veröffentlichungen, die ganze Promotion und die Arbeitsbedingungen der Musiker haben, und dachten uns eben, es wäre schön, ein Label zu haben, das auch von den Leuten, die die Musik machen, selbst betrieben wird.
Den Vertrieb habt ihr dann auch komplett selbst organisiert?
Wir haben damals mit zwei Berliner Plattenläden zusammengearbeitet, Coretex-Records und Noise International. Noise hat dann mit Scenario noch einen weiteren Laden gegründet und in der Folge auch einen richtigen Vertrieb, für den sie selbst Künstler unter Vertrag genommen haben. Das war dann allerdings alles erst gegen Ende der 90er Jahre, und die Veröffentlichungen waren eher Berlin-basiert. Außerdem wurden unsere Sachen über Mailorder angeboten. Zusätzlich hatten wir einen Vertriebsdeal mit EFA, der ziemlich cool für uns war. Wir sagten ihnen genau, wie wir uns das alles vorstellen, und sie haben das dann auch so durchgezogen. Das lief eigentlich alles ganz gut.
Das p-pack Label ist zu der Zeit etwas eingeschlafen, was vor allem auch durch die Auflösung von CPS bedingt war, und wurde von mir dann erst ein paar Jahre später, sozusagen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit anderen Leuten neu gestartet. Seitdem erfreut es sich auch einer gesteigerten Beliebtheit und Aktivität.
Was waren die ersten Releases nach der Neugründung?
Das waren Tolcha und Bruder & Kronstädta bzw. Das Department. Bruder & Kronstädta ist ein Projekt, das noch immer aktiv ist und das es auch schon vor Das Department gab. Zusammen mit Hinnack haben Kronstädta und ich damals das Department gegründet und unsere erste EP über p-pack rausgehauen. Wir sind allerdings mit unserer Veröffentlichung trotz unserer eigentlichen Ablehnung der herrschenden Strukturen des Musikmarktes den klassischen Weg gegangen, erst bei Jive gelandet und haben dann einen Plattenvertrag mit V2 abgeschlossen – aber nur um dann letztlich wieder festzustellen, warum wir das Ganze eigentlich Scheiße finden. Die Plattenfirma hat uns ständig überall rein gelabert und entschied z.B. auch, welcher Track unseres Albums als Single erscheinen soll. Wir ließen dann Remixe von bekannten und befreundeten Musikern anfertigen und hatten soweit alles für die Veröffentlichung vorbereitet, was natürlich einiges an Zeit und Kohle verschlang. Das Problem war dann, dass V2 zu dieser Zeit noch gar nicht das ganze Album kannte, und als es ihnen dann vor lag, ist ihnen natürlich aufgefallen, dass sie doch lieber eine andere Single hätten. Sie haben somit gleich vor Release des Albums ein paar Tausend Euro in den Sand gesetzt.
Ich glaube, die haben damals insgesamt mehrere Hunderttausend in die Band und das Album investiert, obwohl eigentlich klar war, dass wir diesen Betrag niemals einspielen würden, da wir doch eindeutig im Underground verwurzelt waren. Wir haben dann zwar immerhin so um die 8.000 Platten verkauft, aber das deckte natürlich nicht annähernd die Produktionskosten, womit dann auch klar war, dass das so mit uns nicht weiter laufen würde.
Und euer Vertrag ist dann ausgelaufen? Oder habt ihr euch in beidseitigem Einverständnis voneinander getrennt?
Wir sind damals immer häufiger mit den Leuten von V2 aneinander geraten. Das ging dann soweit, dass wir ständig bei den Produktmanagern und dem A&R zu Hause anriefen, weil sich niemand mehr um uns kümmerte. Als die aber nie rangingen, begannen wir irgendwann, ihnen Sachen wie "Hey pass mal auf, wenn wir dich nicht bald an die Strippe kriegen zünden wir dir die Hütte unterm Arsch an" aufs Band zu sprechen. Natürlich immer mit einem zwinkernden Auge, aber die haben dann tatsächlich als Kündigungsgrund angegeben, dass wir ihre Mitarbeiter physisch bedrohen würden.
Huar, das ist echt hart.
Ja, ziemlich bescheuert. (lacht)
Bisher bleibt aber das Department euer bekanntestes Projekt.
Das hängt natürlich mit den riesigen Promoetats zusammen, die V2 damals für uns rausgeballert hat. Überall hingen Plakate an Ampeln und Stromkästen, und unsere Videos liefen auf MTV und Viva. Das hatte natürlich einen großen Werbeeffekt.
Ich muss da übrigens gerade an ein Zitat denken – leider weiß ich nicht mehr, von wem es stammt, aber es lautet: "Bescheidene Leute werden von den meisten Menschen bewundert, falls diese jemals von ihnen hören." So ist es natürlich schwierig, größere Bekanntheit zu erreichen, wenn man nur auf Mundpropaganda und Independent-Veröffentlichungen setzt. Man hat einfach nicht die entsprechende Reichweite. Mittlerweile hat sich das zwar durch die weite Verbreitung des Internets verbessert, aber damals war das Kräfteverhältnis einfach noch um einiges unausgewogener.
Direkt nach der Trennung vom Label ist Das Department dann aber auch auseinander gegangen.
Ja, wir haben uns untereinander nicht mehr so richtig gut verstanden. Kronstädta und ich hatten unser Projekt ja bereits vorher schon gehabt, aber mit dem Hinnack und uns hat das einfach nicht mehr so gut funktioniert. Der ist dann auch wieder in sein altes Metier zurückgetaucht.
Hinnack konnte sich einfach irgendwann nicht mehr mit unseren extremen politischen Aussagen identifizieren
Waren es rein musikalische Differenzen oder war das kommerzielle Scheitern für eure Trennung verantwortlich?Es ging dabei eher um Grundsätzliches. Hinnack ist halt nicht so der Typ der von der Straße kommt, und konnte sich dann auch irgendwann nicht mehr mit den extremen politischen Aussagen, die wir in unseren Texten machen, identifizieren. Er hatte auch das Gefühl, er könne das nicht weiter vertreten.
Hat Hinnack an den Texten selbst gar nicht mitgewirkt?
Wir haben zu dritt produziert. Er hat vor allem Beats geschraubt. Die Texte haben wir aber zu zweit geschrieben. Hinnack war hauptsächlich ein musikalisch aktiver Teil der Band, soweit ich weiß, schraubt er auch immer noch ab und an ein paar Beats, aber er ist jetzt echt nicht so der Rapper.
Es waren halt vor allem Funk und Jazz Musiker die Anfang der neunziger anfingen, verstärkt mit HipHop-MCs zu kollaborieren, und so habe ich bei einer Session Hinnack kennengelernt. Er meinte, er würde gerne mal ein Hip Hop-Projekt starten, und irgendwann sagten wir dann, O.K., lass uns das mal machen. So ist dann Das Department entstanden.
Aber eure Texte waren ja von Anfang an extrem politisch.
Ja, klar. Das hatte sich aber erst später herauskristallisiert, dass das nicht so sein Ding ist. Nicht, dass er ein unpolitischer Mensch wäre, aber mit dieser eindeutigen anti-imperialistischen, anti-kapitalistischen und anarcho-syndikalistischen Stoßrichtung konnte er sich eben einfach nicht identifizieren. Ist ja auch vollkommen in Ordnung. Wenn man ein Problem hat, sich hinter eine Sache zu stellen, sollte man sich wohl auch davon distanzieren. Die Kündigung des Vertrages mit V2 kam uns dann so gesehen auch gerade gelegen, um die ganze Sache auf Eis zu legen.
Nicht wenige warten ja seitdem auf ein Album von Bruder & Kronstädta, das wohl auch schon angekündigt wurde, soweit ich informiert bin.
Ja das stimmt. Da wir ja wirklich wahnsinnig viele Sachen machen, haben wir dann auch überlegt, ob wir nicht einfach mal eine Zusammenstellung bringen sollten, eine Werkschau quasi, auf die wir noch ein paar von den Remixen drauf packen. Lange Zeit hatte ich mit Kronstädter die Diskussion, ob wir jetzt den klassischen Veröffentlichungsweg mit einem haptischen Tonträger gehen, oder ob wir das ganze exklusiv online veröffentlichen sollen, wie wir das mit unserer letzten Single "Hausalarm/Punkkaufmann" auch schon getan haben.
Ein paar neue Songs habe ich dieses Jahr auch einfach mal als Podcast zum freien Download ins Netz gestellt. Da werden wir wohl bei Gelegenheit mal ein paar Tracks raussuchen und auf ein Album packen.
Material habt ihr also genug?
Auf jeden Fall. Material gibt es reichlich.
Manche befürchten, es sei musikalisch mittlerweile ganz still um Bruder & Kronstädta geworden.
Nein, im Gegenteil. Nur produzieren wir recht viel für andere Projekte. Z.B. haben wir fünf Tracks zu Daddy Freddys letztem Album beigesteuert, einen Track auch unter dem Namen Das Appartment, quasi um an die Aussage des letzten Albums "Brennstoff" von Das Department anzuknüpfen, bei dem wir auf dem Cover die deutsche Landkarte abgefackelt haben. Wir dachten dann einfach wir nehmen den alten Schriftzug, streichen das "De" durch und machen ein Anarchiezeichen drüber.
Darüber hinaus betätigt sich Kronstädta zur Zeit am Projekt "GittaSpitta", einem Projekt mit jugendlichen Insassen aus der JVA Berlin-Plötzensee, wo er im Rahmen eines Resozialisierungsprojektes einen Hip Hop-Workshop anbietet. Daraus hat sich dann eine Band herausgebildet, die nur aus Inhaftierten der JVA besteht, und die nun demnächst eine EP veröffentlicht, die auf p-pack Records erscheinen wird. Es hatten zwar auch noch einige andere Plattenfirmen Interesse an dem Projekt angemeldet, die sind dann aber irgendwie alle kurz vor Abschluss der Vertragsverhandlungen abgesprungen. Vermutlich, weil ihnen die Brisanz der Sache am Ende dann doch zu groß war.
Jedenfalls treffen wir uns beide in letzter Zeit quasi nur noch, um ab und an mal ein Paar Konzerte zu spielen, weil wir mit dem ganzen Zeug, das wir für andere machen, ziemlich viel zu tun haben.
Zudem halte ich mich in letzter Zeit häufiger in London auf, wo ich mich im Rahmen von ESPRA am 24-Weeks-Projekt beteilige. Kronstädta ist ständig im Knast und macht Songs mit den Jungs da drin. Ich hab dann vor Kurzem auch ein Hörspiel zum GittaSpitta-Projekt produziert und Interviews mit den Jungs für eine Radiosendung auf Fritz verwendet, in der ich deren Aussagen gegen Material von Aggro Berlin, Schockmusik und anderen Gangsta-Rap-Sachen geschnitten habe, um das mal gegenüber zu stellen.
Ich würde also schon sagen, dass wir im Moment sehr produktiv sind, nur das Bruder & Kronstädta-Projekt wurde eben ein wenig vernachlässigt.
Das Material von GittaSpitta vertreibt ihr selbst, oder sucht ihr noch einen Vertriebspartner?
GittaSpitta wird über Groove Attack vertrieben und auf CD und Vinyl erscheinen. Wir nutzen dabei den Vertriebsdeal, den p-pack Records schon seit längerem mit Groove Attack hat, wobei das eigentlich kein Deal im klassischen Sinne ist, sondern nur mündlich und per Handschlag vereinbart wurde. Bisher läuft das mit denen aber ganz gut.
Yaneq und Gauner haben ihre letzten Alben über p-pack veröffentlicht und dabei auch auf den Vertriebsdeal mit Groove Attack zurückgegriffen.
Ihr habt das Department mittlerweile reaktiviert. Wie genau kam es dazu?
Wir haben unsere ewig währende Liebe zum Hip Hop zum Anlass genommen, das Projekt zu rebooten. Dazu kam auch noch, dass ständig Leute danach fragten und uns dazu anhielten, mal wieder etwas zu veröffentlichen.
Wie ist die Besetzung?
Im Moment sind wir zu zweit. D.h. Kronstädta und ich aka Duo Infernale Del Department sowie wechselnde DJs. Es ist auch wieder eine Live-Band geplant, welche wir allerdings erst nach Beendigung der Produktionsphase rekrutieren werden.
Habt ihr denn schon neues Material, oder sind gar schon konkrete Releases geplant?
Es gibt einiges an neuem Material, das wir gerade sichten, und es ist ein Release geplant, auf dem das Londoner Trio Nom De Plume und die GittaSpitta sowie Mando von der Betbox-Crew 4XSample gefeatured werden.
Aufbruch in die Open Source-Kultur
Du bist ja aufgrund der reaktionären Haltung der GEMA gegenüber freiheitlichen Strömungen im Musikgeschäft, z. B. im Bezug auf freie Lizenzen, nicht gerade ein großer Freund dieser Organisation und, wie du über die deutsche Mailingliste von Creative Commons bekannt gegeben hast, 2006 aus der GEMA ausgestiegen. Hat sich Kronstädta mittlwerweile ebenfalls zu diesem Schritt entschieden?Nein, Kronstädta ist nach wie vor Mitglied bei der GEMA. Er teilt zwar hinsichtlich dieser Organisation die selbe Meinung wie ich, allerdings sah er sich bisher nicht in der Lage, sich von dieser Geldquelle abzuschneiden, was ich ihm auch vollkommen zugestehe. Schließlich sind es teilweise schon relevante Summen, die da rein kommen, da wir ja auch z. B. schon mit Bands wie H-Blockx zusammen produzierten, die durchaus mal hundert- oder zweihunderttausend Alben verkaufen.
Für mich ist der Ausstieg irgendwann einfach Überzeugungssache gewesen, da ich mich ganz klar von ihren kapitalistischen Auswüchsen und der reaktionären Haltung gegenüber neuen Strömungen distanzieren wollte. Und was Kronstädta mit GittaSpitta verdient, ist halt mehr Aufwandsentschädigung. So sieht er sich auf die Einnahmen durch die GEMA schon angewiesen. Dazu kommt, dass er seit knapp über einem Jahr Vater ist, und da kann ich seine Skrupel verstehen. Ich werde aber natürlich nicht aufhören, ihn zu bearbeiten.
Du hattest über Pledgebank zuerst versucht, zehn weitere Musiker ebenfalls zum Ausstieg aus der GEMA zu überreden und vorgegeben, du würdest nur aussteigen, wenn dieses Ziel auch erreicht würde. Hat sich damals tatsächlich noch irgendjemand dazu bereit erklärt?
Nee, Keiner. (lacht)
Das war ganz schlimm. Zudem sind dann echt auch einige Freundschaften abgekühlt, da ich schon intensiv versucht habe andere dazu zu bringen mit mir gleichzuziehen. Vielen war das vielleicht einfach zu radikal.
Ich hab mich letztens über das Thema mal mit einem befreundeten Programmierer unterhalten, der von mir wissen wollte, ob es meiner Meinung nach zu radikal sei, wenn er sich in Zukunft generell nur noch zur Arbeit an OpenSource-Projekten bereit erklären würde und jedem, der mit seinen Windows- oder Mac-Problemen zu ihm käme, sagen würde, dass er ihnen da leider nicht weiterhelfen könne, ihnen stattdessen aber gerne ein Linuxsystem aufsetze und sie in den Umgang mit OpenSource-Software einweise. Er hat einfach keinen Bock mehr auf diese proprietäre Scheiße. Bei mir ist das ganz ähnlich.
Ich denke aber auch, dass diese Konsequenz einfach notwendig ist, sonst wird sich da auch weiterhin nichts tun. Es müssen Leute radikal voranpreschen. Wenn die anderen dann sehen, dass ihr trotzdem überlebt, werden sie sich früher oder später vielleicht auch trauen.
Denke ich auch. Ich hatte das damals auch gar nicht wirklich davon abhängig gemacht, ob sich jetzt über Pledgebank andere anschließen würden, sondern das Ganze einfach deswegen so gemacht, weil das System Pledgebank eben so funktioniert. Und ich hoffte, auf diesem Wege ein paar Menschen zum Nachdenken bewegen zu können.
Und dann hast du dich dort kurzerhand zweimal eingetragen, um der Sache mehr Gewicht zu geben?
Ja genau (lacht laut). Du kennst ja das alte Prinzip der Kommunikationsguerilla: Ich bin Viele. (lacht)
Du hast dich vor deinem Ausstieg aus der GEMA bereits viel mit Free Culture und freien Lizenzen wie der GPL und Creative Commons auseinander gesetzt. Wann kamst du erstmals in Kontakt mit dieser Materie?
Intensiver damit auseinandergesetzt habe ich mich wohl seit meinem Eintritt in die c-base, einem Kulturprojekt aus Berlin. 2003 dürfte das gewesen sein. Der Kontakt erfolgte zuerst über meine Programmierer-Freunde. So kam ich auch auf Creative Commons. Letztlich schien mir das aber zu halbherzig. Wenn man z.B. Interviews mit Lawrence Lessig (Begründer von Creative Commons. Anm. der Redaktion) liest, dann merkt man, dass er nicht den Eindruck erwecken möchte, er sei ein radikaler Pirat, der das komplette Urheberrecht oder Copyright vom Erdboden tilgen will, sondern gibt sich da eher Mühe, vermittelnd aufzutreten. So war ich recht schnell über die Ziele von Creative Commons hinausgeschossen und habe mit ein paar Freunden aus der c-base und aus London begonnen, darüber nachzudenken, wie man den Schritt in Richtung Free Culture effektiver vollziehen kann.
Aus diesen Überlegungen heraus ergab sich das CopyCan-Projekt. CopyCan ist in erster Linie ein Distributionstool für freie Musik, mit dem Künstler ihre Werke unter freien Lizenzen vertreiben können und dennoch die Möglichkeit bekommen, für ihren Aufwand entschädigt zu werden. Das läuft so, dass ein Künstler eine Ziellizenz bestimmt und einen Geldbetrag festlegt, den er für sein Werk bekommen möchte. Die Öffentlichkeit hat dann die Möglichkeit, das Werk in Auszügen über die Seite an zu hören und einen frei wählbaren Betrag zu spenden. Ist der vom Künstler festgelegte Betrag erreicht, wird das Werk unter der gewählten Ziellizenz freigegeben.
Das soll der Tatsache Rechnung tragen, dass man nun mal als Künstler auch seine Miete bezahlen muss, und so lange Land, Nahrungsmittel und Gebäude noch Eigentum anderer Leute sind, muss man leider in dieser Geldwirtschaft irgendwie überleben. Wir wollen mit CopyCan einerseits also sicherstellen, dass der Künstler von seiner Arbeit leben kann, andererseits aber auch jedem den Zugang zu Kultur unabhängig von seinen finanziellen Mitteln ermöglichen. Es soll also nicht mehr für Kopien der digital sowieso unendlich zu vervielfältigenden Werke bezahlt werden, sondern nur noch für das Werk an sich.
Außerdem soll durch die Verwendung der freien Lizenzen gewährleistet sein, dass andere auf dem Werk aufbauen können, da letztlich die Kreativität eingeschränkt wird, wenn ich eine Melodie nicht mehr verwenden kann, weil sie jemand anderes bereits verwendet hat. Und überhaupt: Wer kann schon behaupten, eine Idee stamme tatsächlich nur von ihm? Man wird von anderen Menschen beeinflusst, unterhält sich, inspiriert sich gegenseitig. Deswegen muss es auch möglich sein, einfach alles zu nutzen was es an sogenanntem geistigen Eigentum gibt. Wobei ich finde, dass diese ganze Eigentumsgeschichte ja eh grundsätzlich fürn Arsch ist.
Du arbeitest zur Zeit intensiv an Espra und dem 24Weeks-Projekt. Seit wann bist du dort involviert und was ist das eigentlich?
Das war auch so um 2003, 2004. Damals allerdings eher in rein beobachtender Funktion, aber 2006, im Zuge der Entwicklung des CopyCan-Projektes, hat sich das dann etwas konkretisiert. Im Verlaufe dieses Jahres war ich längere Zeit in London und arbeitete an Radiosendungen, die die Konzeption und Entwicklung des Espra-Projektes dokumentieren. Dabei geht es um den Aufbau eines Frameworks, mit dem alle möglichen Dienste zur Unterstützung des kollaborativen Arbeitens, die man aus dem Netz so kennt, auf einfache Weise umgesetzt werden können. Wir wollen den Menschen damit Tools an die Hand geben, die es ihnen ermöglichen, effizienter zu leben und zu arbeiten. Wir beabsichtigen damit nicht weniger, als die Welt in der wir leben und die Art, wie wir das Netz benutzen und miteinander arbeiten maßgeblich zu verändern und zu beeinflussen. Das Ganze ist eine Sammlung von Software, die eine effizientere Kommunikation und die Organisation des kollaborativen Arbeitens ermöglichen soll. Aber mein Kollege und Programmierer T hier wird dir da einiges mehr sagen können.
T: Ein wichtiger Punkt bei Espra ist, dass eben nicht von vornherein bestimmt ist, wie und in welchem Rahmen etwas zu funktionieren hat, sondern, dass es in erster Linie eine Plattform, ein Netzwerk von Leuten und eine juristische Struktur darstellt, innerhalb derer Leute arbeiten können, die Social Networking zu mehr nutzen möchten als Pipifax wie Bookmark-Sharing. Bei 24Weeks geht es darum, die Formen und Inhalte des Espra-Projektes zu konkretisieren. Letztlich kann jeder Espra die Bedeutung geben, die es für ihn hat. Einziger gemeinsamer Nenner ist der Wunsch nach dem Aufbau einer frei nutzbaren Struktur für kollaboratives Arbeiten.
Bruder: Wir haben aber auch bereits einige Konzepte definiert. Eines, das sich auf ökologische Aspekte bezieht, ist der "Ecology 1 Million"-Index, in dem wir Organisationen und auch Einzelpersonen verzeichnen, die ökologisch nachhaltige Produktion betreiben. Wir wollen damit ermöglichen, ein größeres Bewusstsein für das eigene Konsumverhalten zu entwickeln, was letztlich nur möglich ist, wenn die Menschen prüfen können, von wem oder was ein gekauftes Produkt stammt, und unter welchen Begebenheiten es produziert wurde.
T: Die Idee hinter "Ecology 1 Million" ist einerseits, dass wir unter diesem Index zusammentragen, was nun unter ökologischen Aspekten "gute" Firmen sind, wofür wir uns vorerst auf eine gemeinsame Bewertungsgrundlage geeinigt haben. In Zukunft soll dieser Index jedoch nach persönlichen Kriterien der einzelnen Nutzer gestaltet werden können. Schließlich hat jeder andere Kriterien, nach denen er etwas als "gut" oder "schlecht" bezeichnet. Nehmen wir z.B. an, jemand ist Moslem. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er vor allem Geschäfte mit Firmen machen möchte, die nach islamischen Grundsätzen handeln. Diese Unternehmen wären in seinem persönlichen Ranking eben grundsätzlich höher gelistet als z.B. Firmen mit christlichem Hintergrund. Die ganze Organisation und alles was wir machen, versucht, absolut undogmatisch zu sein und möchte einfach jedem, ganz unabhängig von seinen persönlichen Neigungen und Überzeugungen Werkzeuge an die Hand geben, die ihm das Leben und Arbeiten in kollaborativen Netzwerken erleichtern.
Gibt es im Rahmen von Espra auch schon konkrete Anwendungen, die sich gezielt an Musiker richten, um sie bei ihren kollaborativen Projekten zu unterstützen?
CopyCan ist natürlich ein solches Projekt, das im Rahmen von Espra weiter entwickelt wird. Außerdem setzen wir auf kollaborative Texteditoren wie Gobby, bei denen man von überall auf der Welt zeitgleich gemeinsam an Texten arbeiten kann. Dasselbe wollen wir für die Arbeit an beliebigen anderen digitalen Objekten umsetzen, also auch Musikdaten, um ein effizientes kollaboratives Arbeiten an Audio-Ojekten zu ermöglichen.
T: Tatsächlich ist es so, dass Espra ursprünglich ein komplett auf Musik und Multimedia bezogenes Projekt war. Das war noch zu einer Zeit, als sogar Napster noch in den Anfängen stand und diese ganze Peer-to-Peer-Networking-Geschichten gerade erst so richtig zu funktionieren begannen. Espra war damals ein OpenSource entwickelter Mediaplayer, der auf dem Freenet Peer-to-Peer Netzwerkprotokoll aufsetzte. Die Besonderheit an diesem Player war, dass man nicht nur Musikstücke aus dem Netz laden und hören konnte, sondern gleichzeitig seine Playlisten öffentlich zur Verfügung stellte, ähnlich wie das jetzt mit dem Audioscrobbler von last.fm geschieht. Zudem implementierte der Player ein ausgeklügeltes Bezahlsystem, mit dem es möglich war, eine Summe zu definieren, die man monatlich für das Hören von Musik ausgeben möchte und diese über flexible Regelungen an die Interpreten der gehörten Musik zu verteilen. So konnte man z. B. bestimmen, dass das eingesetzte Geld an die fünf meistgehörten Interpreten der eigenen Playlist überwiesen werden soll, allerdings nur, wenn diese fünf Künstler nicht zu den 100 meistgehörten der Personen aus meiner Buddylist gehören, da ich eben vor allem Independent-Musik unterstützen möchte.
Das Problem war aber dann, dass sehr wenige Künstler die Möglichkeit nutzten, Profile für Espra anzulegen, wodurch eine Zuweisung der Beträge nicht möglich war. Es fehlte einfach eine breite Nutzerbasis.
Als dann noch die rechtlichen Probleme im Zuge des Kampfes der Musikindustrie gegen die Peer-to-Peer-Netze unter dem Motto "Das ist ganz, ganz böse und die armen Künstler verhungern" auf die Entwickler von P2P-Software zukam, wurde das Ganze erst mal auf Eis gelegt.
Wird dieser Player im Rahmen des Espra-Frameworks wiederbelebt werden?
T: In dieser Form wird es den Player wohl nicht wieder geben. Was Espra jetzt ist, geht einfach weit über die damalige Zielsetzung hinaus und soll alternative Möglichkeiten der Finanzierung nicht nur für die Produzenten von Kulturgütern, sondern von Gütern und Dienstleistungen allgemein bieten. Also auch für "ganz reale" Dinge wie Gemüse pflanzen, Häuser bauen, etc.
Welchen Rat würdest du zum Abschluss Leuten mitgeben, die sich für die weitere Entwicklung von Espra interessieren?
Bruder: Wir haben drei Haupt-Wege für die offizielle Kommunikation gewählt. Einmal ist das über IRC unter irc.freenode.net im Channel #esp, dann haben wir noch unser wiki unter www.espians.com, und natürlich unsere Webseite www.24weeks.com. Außerdem gibt es dann noch etwas spezialisiertere Gruppen auf Facebook z.B. unter www.facebook.com/group.php?gid=2302991138 und auf Collectivex unter http://24weeks.collectivex.com/.
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