laut.de-Kritik

Warum wirkt der afrikanische Riese so unsicher?

Review von

In den vergangenen fünf Jahren wurde Burna Boy erst zum größten nigerianischen, dann zum größten afrikanischen Export-Musiker. Sein Tape "African Giant" steht für den globalen Durchbruch aus der Afrobeat-Szene - ein Präzedenzfall. Inzwischen verkauft er in Europa Stadien aus, DJs in Atlanta beschweren sich, dass afrikanische Musik die Leute eher zum Tanzen animiert als der Rap der eigenen Stadt, und Superstars wie Justin Bieber, Drake und Ed Sheeran stehen für Kollabos an. Wie kann es dann trotzdem sein, dass er auf seinem neuen Album "I Told Them..." wie verzweifelt nach Bestätigung sucht?

Auf den ersten Blick macht das Tape nicht viel anders als andere Projekte des Afro-Fusion-Pioniers. Wir hören seine tiefen, einschlägigen Vocals mal gelassen und tanzbar, mal ernst und spirituell über ein wildes Potpourri an Sounds. Und er kann sie alle und setzt sie alle um: Der Neunziger-R'n'B-Throwback auf "Sittin' On Top Of The World", die Lagos-Dance-Ideen auf "City Boys", klassisch afrikanischer Pop auf "Big 7", aber auch britischer ("Cheated On Me") oder amerikanischer ("Thanks") Conscious-Rap.

Was herauskommt, ist prädestiniert dafür, einen fantastischen Ersteindruck zu hinterlassen. Burna Boy ist ein Performer mit einer unglaublichen Aura, der genauso sehr locker wie sehr ernst wirken kann, aber alles mit dermaßen viel Charisma und Präsenz unterfüttert, dass man kaum drumherum kommt, seinen Status als Ausnahmekünstler zu anzuerkennen. Dazu kommt die Produktion durch die Bank exzellent, die Basslines sind sauber und crisp, die Pianos und Drums komplex und verwoben: mitreißend, größenwahnsinnig, angefressen und tanzbar.

Aber je mehr man versucht, herauszuhören, um was es auf diesem Album eigentlich geht, desto mehr schält sich ein irgendwie frustrierendes Motiv heraus. Zum Beispiel im Quasi-Outro "Thanks" mit J. Cole, hier könnte man vielleicht einen Danke-an-alle-Song erwarten, einen Uplifter. Aber nichts da: "And i gave you Afrofusion", singt er, "and these are the motherfucking thanks I get?", bevor ein J. Cole im seinem besten Diplomaten-Modus auftaucht, um mitzuteilen, dass Burna Boy in der Tat ein geiler Typ ist.

Und dies zieht sich wahrlich durch das ganze Album. Der RZA und der GZA tauchen an mehreren Stellen mit nicht besonders motiviert eingeflochtenen Kung-Fu-Geräuschen auf, um ein bisschen Rückenwind zu geben, Designer Virgil Abloh erklärt in mehreren Skits das Albumcover-Design und spittet ein bisschen generelle Weisheit. Dave beteuert, wie toll sich das Leben mit dem nigerianischen Superstar anfühlt, selbst das angeflirtete Girl auf "Sittin' On Top Of The World" scheint nur Prop zu sein, um gegen das Brandy-Sample doppelt und dreifach zu erklären, dass dieser gerade ganz oben steht.

Schon im Intro heißt es: "Put me on your song, it's a hit record / If I put you on, you a rich n*gga / Yes, I told them, I told them I'm a born winner" - und grundsätzlich: Alle sollen ihren Shit reden, besonders die, die so unglaublich viel erreicht haben wie Burna Boy. Aber unter der fantastisch klingenden Erdkruste dieses Albums liegt eine alles durchziehende, schwer zu erklärende Unsicherheit. Und gerade für einen Typen, der sich auf seinem Come-Up noch damit gerühmt hat, lokales Talent über das mögliche Drake-Feature zu stellen, versteckt er sich hier irgendwie ein bisschen hinter seinen internationalen Kontakten.

Sieht man sich das Zane Lowe-Interview von vorletzter Woche an, wird klar, warum: Nachdem der populäre Softball-Fragen-Steller Lowe da versucht, ihm ein bisschen Wohlfühl-Talk über die eigenen Wurzeln zu entlocken, lässt Burna Boy eine Tirade vom Stapel, wie eindimensional, dämlich und undankbar die Musiker*innen in Nigeria doch heute sind. Man kann sich vorstellen, wie vor Ort wahrscheinlich der 'Ist er vielleicht doch überschätzt?'-Diskurs einsetzt. Man spürt, dass der Mann verletzt ist und unsicher bezüglich seiner Position im lokalen wie globalen Game.

Es wirkt so, als stünde "I Told Them..." für zwei Dinge: Einserseits sein Bekenntnis zum internationalen Superstar mit R'n'B-Hits und den Hype Williams-Videos, der in New York dreht und mit Busta Rhymes, J. Cole und Dave chillt. Aber gleichzeitig auch eine Mahnung an die Day Ones, ihn nicht für zu garantiert zu halten. Und hier kommen all diese kleinen Skits und Schmückungen ins Spiel, die wie ein Albumkonzept wirken, die Wu-Tang-Einlagen, Virgil, ein ihn anhimmelnder J. Cole.

Burna Boy schichtet relativ transparent eine Mauer großer Fans zwischen sich und die Selbstzweifel. Dass man ihn in Nigeria nicht mehr mögen würde, bleibt aber absoluter Humbug. Er ist der größte Star seiner Nation, auf der Spitze seiner Macht. Da trifft es Vultures Kommentar genau: Seine Boasts wirken ein bisschen wie bei Drake – verfolgt, paranoid, gegen Strohmänner kämpfend, statt den Status zu genießen, den er sich erarbeitet hat. Was übrig bleibt, ist musikalisch trotzdem eine große Arbeit - wenn auch begleitet vom bitteren Nachgeschmack einer eigentlich völlig ungerechtfertigten Unsicherheit.

Trackliste

  1. 1. I Told Them (feat. GZA)
  2. 2. Normal
  3. 3. On Form
  4. 4. Sittin' On Top Of The World (feat. 21 Savage)
  5. 5. Tested, Approved & Trusted
  6. 6. Cheat On Me (feat. Dave)
  7. 7. Virgil
  8. 8. Big 7
  9. 9. Dey Play
  10. 10. City Boys
  11. 11. Giza (feat. Seyi Vibez)
  12. 12. 12 Jewels (feat. RZA)
  13. 13. If I'm Lying
  14. 14. Thanks (feat. J. Cole)
  15. 15. Talibans II - Bonus Track (feat. Byron Messia)

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