laut.de-Kritik

Deutlich mehr als nur alter Wein in neuen Schläuchen.

Review von

Caliban experimentieren auf ihrer aktuellen EP exzessiv mit der deutschen Sprache. In Einzelfällen versah Sänger/Shouter Andreas Dörner auf früheren Alben einzelne Songs mit deutschen Texten. Das Rammstein-Cover "Sonne" markierte die Initialzündung. In der hier vorgetragenen Konsequenz ist das Vorgehen für den neben Heaven Shall Burn erfolgreichsten Metalcore-Export einzigartig. Einen Mehrwert bietet das Quintett, in dem nicht nur die Vocalspur neu aufgenommen wurde. Allen Songs gemein ist eine gehörige Klangpolitur, angepasstes Arrangement sowie mehr oder minder gravierende Eingriffe ins Songwriting.

"Trauma", ursprünglich "Arena Of Concealment", wird als Duett mit Matthias "Matthi" Tarnath aufgemotzt: Der frühe 90er Death Metal-Anstrich klingt nun melodischer und weniger räudig. Trotzdem behalten Caliban den dreckigen Grundgedanken dieses Bastards aus Metal und Hardcore bei. Das Intro, vor 20 Jahren mit midi-gestütztem 8 bit-Charme versehen, kommt nun mit deutlich mehr Hans Zimmer-Bombast aufgehübscht. Die rohe, brutale Ursuppe des über zwanzig Jahre alten Outputs vom Album "A Small Boy And A Grey Heaven" gewinnt so an Kontur.

Die Neufassung von "I Will Never Let You Down" in Form von "Herz" lebt von der bekannten Mischung aus Abgeh-Part, Breakdown und catchy Refrain. Wobei die Ausgangsversion vom 2007er-Album "The Awakening" schnörkeliger geraten ist. Steht "Herz" in der gleichen Tonart und ist metrisch auf ein Level festgezurrt, besticht "I Will Never Let You Down" durch Modulation und Tempiwechsel: Verschlimmbesserung trifft es hier als Bezeichnung ziemlich gut.

"Feuer, Zieh Mit Mir" präsentiert den Refrain hingegen nur einmal und mäandert ansonsten ähnlich wie The Hirsch Effekt auf Math Metal-Pfaden. "Between The Worlds" vom Album "Shadow Hearts" ist in Sachen Gitarrenarbeit dagegen deutlich simpler gestaltet. Hier entpuppt sich die neue Variante als die deutlich stärkere. Der deutsche Titel der Bearbeitung von "My Little Secret" spricht Bände. "Mein Inferno" nennt das Kind beim Namen und spricht direkt aus, was Sache ist.

"Intoleranz" startet mit EDM-Geplucker und entwickelt sich zu einem Industrial-Brett mit vielen dissonanten Voicings. Im Original heißt der Song "Intolerance" und verfügt über eine unverkennbare Slayer-Schlagseite: Reign In Blood" schimmert deutlich durch.

Der Titel "nICHts" ist eine schöne Zusammenfassung des Wettstreits zwischen Individualismus und Kollektivismus: Zuerst komm' ich, dann lange nichts. Der einzige komplett neue Track fügt sich gut ins Gesamtbild ein. Ob der hier zu Ende gedachte Ansatz, in Muttersprache zu mucken, künftig ein Experiment bleibt oder zum Fingerzeig wird?

Die Krachmacher aus dem Ruhrpott flankieren die Veröffentlichung noch mit einer eigenen Weinsorte. Der Riesling 'Zeitgeist' macht die teils textlich wie musikalisch gehaltvolle Kost zusätzlich bekömmlich. Mitnichten bekommt der Fan hier alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Es macht vielmehr einen riesen Spaß in der Welt der Zeitgeister auf Spurensuche zu gehen.

Trackliste

  1. 1. Zeitgeister
  2. 2. Trauma (Arena Of Concealment)
  3. 3. Herz (I Will Never Let You Down)
  4. 4. Ausbruch Nach Innen (Tyranny Of Small Misery)
  5. 5. Feuer, Zieh' Mit Mir (Between The Worlds)
  6. 6. Nichts Ist Für Immer (All I Gave)
  7. 7. Intoleranz (Intolerance)
  8. 8. Mein Inferno (My Little Secret)
  9. 9. nICHts

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