laut.de-Kritik
Perfekt kann so langweilig sein.
Review von Philipp KauseEinige gute Songs bahnen sich aus Carly Rae Jepsens Album "Dedicated" ihren Weg in die Gehörgänge. Doch dort bleiben sie nicht. Für eine starke, gar erinnernswürdige oder unterhaltsame Platte fehlen berührende Momente, besondere Kniffe und Abwechslung.
Am meisten beeindruckt "For Sure". Auf der Standard-Version findet man diesen Track nicht; nur auf der Deluxe-Ausgabe. Hier stößt Carly lasziv, mit Naivität und Unschuld im Ausdruck ihre Zeilen ins Beat-Gewitter. Halleffekte lassen die Sängerin aus allen Winkeln des Raumklangs zurückpiepsen. Die Leichtigkeit des Titels steht im Kontrast zu einer ansonsten dick aufgetragenen Klangpaste.
Für einzelne Tunes wäre es ja durchaus okay, alle Sound-Wucht aus den Synthesizern herauszukitzeln. Hier wiederholt sich aber zu vieles. Die Texte kreisen fast ausschließlich um Liebe in den Phasen Verführung ("I'm spinning around in your head (...) feeling so intoxicated" in "No Drug Like Me"), Anbandeln ("I just want to get a little bit closer" in "Want You In My Room"), Verliebtsein ("We had a chemical rush / And now we're just drea-ea-ming" in "Automatically In Love") Euphorie ("We had a morning / we had a summertime" in "Julien") und eventueller Trennung ("I'm afraid that I will break / Only want me when I'm leaving you" in "Right Words Wrong Time"). Ausnahmen bilden "Too Much" und "The Sound", die lyrisch allgemeiner sind, metaphorisch letztlich aber wieder ans Liebesthema anschließen. In "Too Much" übertreibt die Heldin es mit allem, trinkt zu viel, macht zu intensiv Party und liebt natürlich auch zu viel.
Wer von der kanadischen Songschreiberin in ihrem 34. Lebensjahr eine Art Weiterentwicklung erwartet, verlangt zu viel. Carly Rae Jepsen macht ihre Sache handwerklich gut. "Dedicated" eignet sich aber bestenfalls als Soundtrack zum Vorglühen am Samstagabend und überzeugt als ganzes 'Album' nicht.
Gut möglich dennoch, dass Carly Rae mit ihren 18 (!) Co-Producern einzelne Tunes für zahlreiche Spotify-Playlists sogar zu experimentell gestaltet hat. Besonders "Want You In My Room" steigert sich in peitschende, kunstvolle Disco-Beats und Vocoder-Stimmen-Passagen. Madonnas "Holiday"-Phase klingt gesanglich nicht fern, und die Moog-Spielereien von Frankie Goes To Hollywood tauchen hier wie in "Everything He Needs" auf. So erzeugt diese Popmusik stellenweise Atmosphäre. Überwiegend zieht sie aber so uninteressant und berieselnd vorbei wie das letzte Album von Zaz. Monothematische Alben über Liebesglück bieten natürlich wenig Grundlage für Reibung und Überraschung.
Die Glätte der Produktion und das Schrille im Sound erinnern heftig an die 80er Jahre, leider an die zweite Hälfte. Auch in ihren schwächsten Momenten hält "Dedicated" zwar mit den ganzen massentauglichen und langweiligen Alben von Kylie Minogue gut mit oder überbietet sie. Dagegen ruft zum Beispiel die Funkyness von "Feels Right (feat. Electric Guest)" Jamiroquai ins Gedächtnis.
Ausgetüftelt und durchdacht wirkt das Album einerseits. Andererseits gibt es keinen Song, der langfristig als Ohrwurm haften bliebe oder etwas Besonderes wäre, vom eingangs erwähnten "For Sure" abgesehen. Wenn "Dedicated" anders als der zeitgleiche Release von Ciara weiche Soundfarben statt Clap-Beats und Tempo statt Ballade auffährt freut man sich zwar. Unterm Strich bleibt es Instant-Pop für den Kurzgebrauch, der mit viel Aufwand hergestellt wurde.
1 Kommentar mit 4 Antworten
An der Stelle ziehe ich mal musikalischen Flak auf mich. Dachte zuerst, ich mach mal ne Runde Guilty Pleasure und werfe "Call Me Maybe" an. Dann tauchte plötzlich "I Want You In My Room" auf, und ich war sofort schwerst verliebt in diesen Song. Besser wurden die 80er in den letzten 10 Jahren nicht getroffen, und Cindy Lauper wäre stolz wie Oskar.
Flugs Tiny Desk angeschmissen, und siehe da: Die Jepsen hats einfach drauf. Intensiver und gleichzeitig lockerer Vortrag, mit einer ansteckend naiven, absolut positiven, teenagerischen Laune.
Hatte nie vor, das wirklich gut zu finden. Aber für mich ist sie die Queen des Pop - gerade weil sie von den großen Labels fallengelassen wurde, und seitdem sehr kontaktfreudigen, abwechslungsreichen, ungefaketen Pop macht. Auch ihre Videos zeigen, wie gut es sein kann, nicht unter den üblichen Zwängen von dem zu stehen, wie eine Popsängerin zu sein hat ♥
Ihren Spirit kann man nicht leugnen. Trotzdem finde ich ihre Stimme und Songs aggressiv durchschnittlich.
Bin allerdings gerade wieder in meiner Joanna Newsom Phase, und ohne da jedweden musikalischen Vergleich anstellen zu wollen - was die an Musik und Lyrics darbringt, von so einer Tiefgründigkeit können die meisten Poptrullas doch eh nur träumen.
Danke für den Tipp!
Habe keinen besonderen Stimmenfetisch, es sei denn, sie nerven oder machen "zu viel". Meistens sind CRJ-Songs tatsächlich "durchschnittlich" im Sinne von "nicht außergewöhnlich". Reinste Pop-Essenz eben. Auf einer Stufe mit Madonna, Lauper, den Pop-Songwriting-Größen der 90er und 2000er. Kann nur empfehlen, Tiny Desk oder andere Livemitschnitte anzumachen. Sie sollte eigentlich da stehen, wo Taylor Swift heute steht (hat auch die um Welten besserrn Songs), und das einzige Hindernis ist, daß Jepsen quasi sofort von Labels fallengelassen wurde.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Joanna Newsom finde ich erstaunlich gut. Dabei finde ich diese ultra knuffigen, quirky Kleine-Mädchen-Stimmen eigentlich überhaupt nicht gut. Die nerven mich sonst innerhalb weniger Takte.
Sie scheint aber das Musizieren aufgegeben zu haben, oder macht sie einfach keine Platten mehr?
Von der Carly Rae kann ich ihr letztes auch sehr empfehlen, "The Loneliest Time". Wie "Emotion" und "Dedication" wurde sie quasi überall zu den Popalben des Jahres gehandelt. Insbesondere der Titeltrack mit Rufus Wainwright ist super. Aber auch ihre andere Single hat ihre Stammband auf Glastonbury schick präsentiert: https://youtu.be/VIXgyO-tOIE