laut.de-Kritik

Dieses Singer/Songwriter-Manifest machte King zur Legende.

Review von

1968 zieht eine 26 Jahre junge, frisch von ihrem Ehemann getrennte Mutter zweier Kinder von New York nach Los Angeles. Unter Geldsorgen muss sie zum Glück nicht leiden: Seit 1960 ist sie die vermutlich erfolgreichste Songschreiberin der USA. Zusammen mit ihrem Ex-Mann George Goffin hat Carole King Dutzende Hits geschrieben.

Der erste, "Will You Still Love Me Tomorrow", landet in der Interpretation der Shirelles auf Platz 1 der US-Charts. Wie auch das eher flache "Loco-Motion", das ihr Kindermädchen Little Eva 1963 an die Spitze führt. Weitere bekannte Nummern sind "Cryin' In The Rain" (The Everly Brothers), "Up On The Roof" (The Drifters), "Take Good Care of My Baby" (Bobby Vee) oder "(You Make Me Feel Like) A Natural Woman" (Aretha Franklin). Er wolle mit Paul McCartney der Goffin-King Großbritanniens sein, soll John Lennon zu Beginn der Karriere der Beatles erklärt haben.

In Los Angeles zieht Klein nicht in eines der Glitzerviertel, sondern ins eher ruhige Laurel Canyon. An einem steilen Hang gelegen, viele seiner Straßen ungeteert, befinden sich hier eher kleine Häuser und ein Tante-Emma-Laden, der den Treffpunkt der kleinen Community darstellt. Die zunehmend aus Musikern besteht. Frank Zappa hat sich hier ein Studio eingerichtet, die Partys des Bassisten der Monkees, Pete Tork, sind legendär. Bald folgt mit Crosby, Stills And Nash, die sich hier kennen lernen, Neil Young, Jackson Browne, Joni Mitchell oder James Taylor eine neue Generation an Folk-Musikern, die das Genre neu definieren.

Nach ihrer Ankunft stellt King eine Band namens The City zusammen. Das gemeinsame Album "Now That Everything's Been Said" (1968) hinterlässt keine großen Spuren, wie auch Kings Solodebüt "Writer" (1970). Zwar erreicht es nur Platz 84 der Charts, doch legt es den Grundstein für ihr nächstes Werk. Einerseits, weil damit die Zusammenarbeit mit Lou Adler und seinem Label Ode beginnt, andererseits weil der gerade berühmt gewordene James Taylor darauf Gitarre spielt und im Hintergrund singt.

Als Taylor im Januar 1971 im Studio sein Album "Mud Slide Slim And The Blue Horizon" aufnimmt, überzeugt er King, parallel einige Stücke einzuspielen. Adler, der sich später als Produzent der Rocky Horror Picture Show einen Namen macht, übernimmt die Regler, während Taylors Musiker gleichzeitig King unterstützen, die singt und Klavier spielt. Mit von der Partie sind auch ihre Mitstreiter aus City-Zeiten: Conga-Spieler Danny Kootch und Bassist Charles Larkey, wenig später ihr zweiter Ehemann.

An Material mangelt es der Songwriterin, nun Sängerin, naturgemäß nicht. Kurzerhand interpretiert sie zwei Goffin-King-Hits, nämlich "Will You Still Love Me Tomorrow" und "(You Make Me Feel Like) A Natural Woman". Dazu gesellen sich ein unveröffentlichtes Stück aus jener Zeit, "Smackwater Jack" und zwei Tracks, die sie mit der Songwriterin und Dichterin Toni Stern geschrieben hat, "It's Too Late" und "Where You Lead".

Der Opener, wie auch die restlichen Stücke, stammen von King selbst. Die das Album mit ihren angerauten Stimme und ihrem Piano schwungvoll beginnt. "I feel the earth - move - under my feet / I feel the sky tum-b-ling down - tum-b-ling down / I feel my heart start to trem-b-ling - Whenever you're around", kündigt sie rhythmusbetont an. Wüsste man nicht, dass King eine jüdische Frau aus New York ist, würde man vermuten, dass es sich um eine schwarze Soul-Sängerin handelt.

Sogleich fällt auf, wie entspannt es bei den Aufnahmen zugegangen sein muss. Die Arrangements sind einfach, aber nicht simpel. So "duellieren" sich Piano und Gitarre kurz, während im zweiten Stück "So Far Away" ein blubbener Bass und eine Flöte dem eher melancholischen Text eine fröhliche Note verleihen.

"It's Too Late" bietet den ersten Nummer 1-Hit der Platte. Ob King darin ihre Trennung von George Goffin verarbeitet oder Co-Songwriterin Stern ihre Affäre mit James Taylor – fest steht, dass er das Bild einer Frau vermittelt, die selbstbewusst eine Liebesgeschichte beendet, weil es nun zu spät sei. "Something inside has died and I can't hide / And I just can't fake it / Oh no, no, no".

Danke für die schöne Zeit – und tschüss. Schließlich hat man ja Freunde. Ein Stück, das Kings Karriere prägt, aber noch mehr Taylors, der es parallel für sein Album aufnimmt und damit den größten Hit seiner Karriere landet. Die Vermutung liegt nahe, dass das "You've Got A Friend" gerade von Taylor handelt, der große Gockel im damaligen Folk-Stall, doch King verneint. Praktisch gleichzeitig und fast mit den selben Musikern aufgenommen, heimsen beide Künstler 1972 einen Grammy ein: Taylor für die beste männliche Interpretation, King für den Song des Jahres.

Bei Taylors Version wirkt im Hintergrund seine Partnerin Joni Mitchell mit, die mit "Blue" bald selbst ein großartiges Werk veröffentlicht. Wie freundschaftlich die Beziehungen in der Musikerszene des Canyons gewesen sein muss, zeigt sich daran, dass sie auch auf Kings Album zu hören ist – als Teil des "Mitchell/Taylor / Boy-And-Girl Choir" in "Will You Still Love Me Tomorrow", wie die Liner-Notes verraten.

Auch wenn "You've Got A Friend" der Überhit des Albums ist, stellt er die restlichen Stücke nicht wirklich in den Schatten. Das fröhliche "Beautiful" bietet gute Ratschläge fürs Leben ("You've got to get up every morning with a smile on your face / And show the world all the love in your heart / Then people gonna treat you better / You're gonna find that you're beautiful as you feel") und im neuen Jahrtausend die Vorlage für ein erfolgreiches Broadway-Musical, das Kings Leben zum Thema hat.

Die Suche nach Glück führt sie erst nach Hause ("Home Again"), dann in die Ferne ("Way Over Yonder"), auf jeden Fall ist es in der Liebe zu finden ("Where You Lead"). Doch natürlich kommt nicht jeder in Frage, insbesondere nicht Smackwater Jack, der in gleichnamigen Rock'n'Roll-Stück wild um sich schießt und schließlich selbst zur Strecke gebracht wird. "You can't talk to a man with shotgun in his hand", eben.

Zum Schluss zeigt King, dass sie kaum mehr als ihre Stimme, ihr Klavier und natürlich ihre Lieder braucht, um den Hörer in ihren Bann zu spielen: Der Titeltrack und das abschließende "(You Make Me Feel Like) A Natural Woman", beides Balladen, bestreitet sie fast im Alleingang.

Alles freundschaftlich, alles easy. Und günstig. Gerade mal 15.000 Dollar habe die Produktion gekostet, freut sich Produzent Lou Adler später. Passend dazu das Cover, das King mit Katze und dem namensgebenden, handgefertigten Wandteppich in ihrem Wohnzimmer im Laurel Canyon zeigt.

Eine Summe, die beide in wenigen Augenblicken nach der Veröffentlichung wieder reingeholt haben dürften. "Tapestry" verkauft sich im ersten Jahr 15 Millionen Mal (bis heute sind noch mal 10 Millionen Exemplare dazugekommen), heimst vier Grammys ein und macht King zum Vorbild späterer Singer/Songwriterinnen und zur Legende.

Auch wenn sich ihre folgenden Werke ordentlich verkaufen, muss sich King am Einfluss und Erfolg von "Tapestry" heute noch messen lassen. Als sie das Album zum ersten Mal in voller Länge live spielt, strömen trotz teils horrender Eintrittspreise 64.000 Zuschauer in den Londoner Hyde Park. Das war im Juli 2016.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. I Feel The Earth Move
  2. 2. So Far Away
  3. 3. It's Too Late
  4. 4. Home Again
  5. 5. Beautiful
  6. 6. Way Over Yonder
  7. 7. You've Got A Friend
  8. 8. Where You Lead
  9. 9. Will You Love Me Tomorrow?
  10. 10. Smackwater Jack
  11. 11. Tapestry
  12. 12. (You Make Me Feel Like) A Natural Woman

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LAUT.DE-PORTRÄT Carole King

Mit 18 Mutter, mit 23 als Songwriterin eine zuverlässige Hitschmiede, mit 29 die bis dahin (und für weitere 22 Jahre) weltweit erfolgreichste Solo-Künstlerin.

9 Kommentare, davon 8 auf Unterseiten

  • Vor 8 Jahren

    Keiner hat ne Meinung zu einer der schönsten Scheiben der 70er??? O.k. ich mach dann mal den Anfang...
    Ein MUSS für jeden Seventies Fan, tolle Songs von Anfang bis Ende...toller Stein!!!

    So und nun fehlt noch ein weiterer 70er Stein mit weiblichen Stimmen: Fleetwood Mac - Rumours!!