laut.de-Kritik

Deutschlands Indie-Held remastert sein vergriffenes Meisterwerk.

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Wer das berühmte Sprichwort vom Propheten im eigenen Lande nachschlägt, könnte gut und gern auf Caspar Brötzmann stoßen. Sonic Youths Thurston Moore hält ihn für den besten Gitarristen, den er je kennen lernte. Helmets Page Hamilton gelingt dank Brötzmanns Mitwirkung mit "Zulutime" das womöglich beste Album des eigenen Katalogs. Im nicht gerade deutsch-affinen England lobt u.a. das renommierte The Wire-Magazin den Wahlberliner als einen der größten Rock-Avantgardisten weltweit und nahm "Koksofen" in seine Jahrescharts von 1993 auf.

Andere UK-Gazetten stufen die Platte als eine der besten Veröffentlichungen der 90er ein. Ein Doku-Film über Brötzmann wird sogar offizieller Berlinale-Beitrag. Und dennoch: Den allermeisten einheimischen Musikfreunden ist der dunkelmähnige Hüne kein Begriff.

Das ändert sich hoffentlich mit der vorliegenden Serie von Remastern, die sowohl auf Doppel-Vinyl wie auch als Silberling längst vergriffen waren. Es passt ins Bild: Keine heimische Plattenfirma sondern ausgerechnet ein amerikanisches Label zerrt finstere Kleinodien wie "Der Abend Der Schwarzen Folklore" oder "Black Axxis" endlich wieder ans Licht. Southern Lord Records passt künstlerisch perfekt, handelt es sich doch um die Plattenfirma von Greg Anderson und Stephen O'Malley alias Sunn O))). Als Diamant unter Perlen steht das abgründige "Koksofen" im Zentrum der Reihe. Schillernde Kaputtheit, dichte Atmosphäre und die durchweg präsente Aura des Unheils ergeben ein einzigartiges Klangerlebnis jenseits von Zeit oder Mode.

Also kopfüber hinein in des Caspar Brötzmann Massakers absoluten Übersong "Wiege". Zweifellos einer der packendsten, rätselhaftesten und intensivsten Tracks, die die deutsche Populärmusik in den letzten gut 50 Jahren gebar. Im Kern ist es Ritualmusik, eine schwarze Messe, deren fieses Naturell die meisten Black Metal-Satanisten zu albernen Clowns degradiert. Dabei fängt alles scheinbar harmlos an. Sachte pulsiert ein betont archaischer Beat. Dazu haucht Brötzmann "Aus dem Nichts: Geteerte Teufelin, schwarz, halb gespalten. Ihr Atem deine zarte Seele streift."

Wie ein Egel das Blut saugt ein im Hintergrund erschallendes Mantra "Komm!" den Sukkubus durchs Höllentor ins Diesseits. "Warum ich dich so quälen muss? Mein Kind, weil ich dich liebe. Ich habe dafür gesorgt, dass ich deine einzige Geliebte bin." Auf einmal explodieren alle Schranken, und der Sound tost als ohrenbetäubender Strudel heran. Was man zunächst für berstende Kakophonie halten mag, entpuppt sich rasch als wuchtig konstruierte Öffnung aller Klangschleusen. Das Ergebnis ist reine Ekstase finsterster Natur, bis hin zum lästerlichen "Amen!". Schlagartig endet das Inferno mit einem gemeinen "Ich warte auf dich!"

Neben der okkulten Interpretation gäbe es – typisch für Brötzmann-Texte – immer auch Raum für weitere Deutungen, die von SM-Sex bis hin zu wahnhaftem Exorzismus oder Schizophrenie reichen. Genau diese Mehrdeutigkeit zeigt sich auch im musikalischen Bild. "Hymne" etwa baut sich zum Monster aus derbem Industiral, mutiertem Hardcore, sinistrem Gothic, Postpunk und eigentümlichem Psychopathen-Freezazz auf.

Trotz dieses Sammelsuriums wirkt alles weder eklektisch noch verkopft auf den Hörer. Im Gegenteil: CPM haben ein unfehlbares Gespür für Dramatik und hypnotischen Spannungsaufbau. Alle Kontraste greifen trotz ihres eruptiven Charakters mühelos ineinander wie Zahnräder. Das Ergebnis gebiert eine von Anfang bis Ende der Scheibe kafkaeske Klangmaschine.

Besonders im "Kerkersong" zeigt sich Brötzmanns musikalische Sozialisation mit Jimi Hendrix. Ohnehin vermittelt "Koksofen" den Eindruck, als träfen Hendrix, die Swans und Throbbing Gristle einander zum deftigen Jam. Caspar Brötzmann und Michael Gira wären ein musikalisches Traumpaar. Den teilweise sehr frei anmutenden Stil hat er wohl von Vater Peter Brötzmann, dem berühmten Avantgarde-Jazzer. Nicht von ungefähr kollaborierten beide bereits.

Wer am viertelstündigen Schlusskapitel des Titelsongs anlangt, hat mindestens so viel schweißtreibende Rock-Detonationen hinter sich wie nach drei konventionellen Alben. Doch statt in den Seilen zu hängen, kauert man längst ehrfürchtig zwischen den Lautsprechern. Jetzt zieht das Trio noch einmal alle Register; nimmt direkten Bezug auf die "Wiege". "Ein Versprechen wartet schon lange in der Wiege, die das Böse schaukelt." Brillant kreieren sie mittels Gitarre, Bass und Schlagzeug einen akustischen Kriegsschauplatz zwischen Mordor und Stalingrad, durch den sich alle Verdorbenheit der Menschheit Bahn bricht. "Koksofen heiß gemacht, das Lied der Kriegsschmiede die Welt zum Glühen bringt und dir die zarte Seele streift."

Trackliste

  1. 1. Hymne
  2. 2. Wiege
  3. 3. Kerkersong
  4. 4. Schlaf
  5. 5. Koksofen

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