laut.de-Kritik
Entrückte Alptraumscapes aus dem Dauer-Lockdown.
Review von Michael SchuhIsolation zwingt dich, gewohnte Lebensumstände zu verändern. In Cate Le Bons Worten: "Sich von allen Dingen loszulösen, die dich erden und ablenken, während du versuchst unsichtbar zu werden." Sowas wie: Ein Album alleine aufzunehmen, während man sich ein Jahr lang in einem fernen Landhaus einmietet. Nachts an den Songs arbeiten, tagsüber in einem Anfängerkurs Holzmöbel schreinern. Den Alltag neu denken.
Problem: Die Waliserin hatte diese Idee schon 2018 und nicht im März 2020. Da war ihr Bedarf an sozialer Abkapselung vielmehr gedeckt und sie wollte für die Studioaufnahmen des "Reward"-Nachfolgers eigentlich in eine neue Umgebung reisen, nach Norwegen oder Chile. Letztendlich entstand "Pompeii" dann aber in der verregneten Heimat Cardiff, wo die 38-Jährige jede Ecke kennt.
Ein musikalisches Antidot zu "Reward" ist "Pompeii" unter diesen Umständen natürlich nicht geworden. Im Gegenteil: "Dirt On The Bed" greift mit Galeerenbeat und diesen schreckhaften Geisterduellen zwischen Saxofon und Klarinette exakt jene Stimmung auf, die vom damaligen Album-Closer "Meet The Man" noch nachhallt. Willkommen zurück in Cates entrücktem Reich der Alptraumscapes und ewigen Lockdown-Vibes.
"Pompeii" klingt dennoch an einigen Stellen optimistischer. In diesen raren Momenten fühlt man das Kribbeln und die Wärme einer innigen Umarmung, während ihre Songs sonst eher das Gefühl nachzustellen scheinen, diese herbeizusehnen. In "Moderation" und "Remembering Me" etwa öffnet sie sich wieder ihrem von 80s-Synths durchtränkten Art-Pop-Konzept. Im Mittelpunkt dieser melancholischen Midtempo-Songs stehen beeindruckend durchdachte Arrangements, unorthodoxe Harmonien und Le Bons filigrane Stimme: Zutaten, die bei Formatradiosendern ob ihrer Sonderlichkeit Entsetzen hervorrufen würden, führen auf einem Cate-Le-Bon-Album freilich zu Hitsingles.
Cate Le Bon nutzt für ihre impressionistischen Popsongs außergewöhnliche Bilder ("sipping wine through a telescope"), die ihren Alltagsbeobachtungen einen gewohnt surrealen Anstrich geben. Eine gewisse Traurigkeit schwingt immer mit, auch wenn sie sich wie im großartigen "Harbour" der Romantik annähert: "What you said was nice, when you said my face turned a memory / What you said was nice, when you said my heart broke a century".
Die Hinzunahme von Warpaint-Schlagzeugerin Stella Mozgawa erwies sich als kluger Schachzug. Das von Minimalismus gekennzeichnete Spiel der Australierin fügt sich Cates Elektronik wunderbar an und setzt in "Running Away" und dem schleppenden "Wheel" sogar eigene, kleine Akzente.
Ihre Historie fantastischer Cover setzt Le Bon ebenso fort. "Pompeii" ziert ein Ölgemälde ihres Lebensgefährten Tim Presley, das sie überhaupt erst stimulierte, neue Songs zu schreiben. Sie bezeichnet das Bild als ihren "Lichtstrahl" inmitten der düsteren Zeit der Pandemie. Im starren, festen Blick der Figur habe sie eine Zuflucht gefunden - für sie als Person und für ihre Musik. Das kunstfertige Songwriting auf "Pompeii" könnte ihren Hörer*innen nun eine ähnliche Erfahrung bescheren.
Noch keine Kommentare