laut.de-Kritik

Ergründungsversuch der amerikanischen Seele.

Review von

Auch wenn etliche deutsche Politiker seit Jahresbeginn vermehrt von "Verteidigungsfähigkeit" sprechen, ist dies doch kein allzu gängiger Begriff in unserem Sprach- und Kulturraum. In den USA ist er so wichtig für die Geschichte und kollektive Psychologie, dass Charley Crockett eine Platte über "Widerstandsfähigkeit" macht: "$10 Cowboy" nahm er in Texas auf, der Heimat des oft als Cowboy und Weltpolizist verspotteten George W. Bush. "$10 Cowboy" erscheint zum Auftakt des US-Wahlkampfes. Die Texte zum Beispiel über die Glücksversprechen der USA in "America" sind wichtig, denn Crockett sieht sich in der Tradition Bob Dylans, als dessen "lebenslanger Schüler".

Mit seiner charismatischen Stimme und den großartigen Kompositionen macht der Singer/Songwriter es auch den not-native speakers leicht, ein bisschen auf die Texte zu achten. Wenn das angesichts der guten Musik überhaupt notwendig ist. An mancher Stelle erinnert die schöne Scheibe an Kris Kristofferson. Wer den mag, dem wird wohl bei "Diamond In The Rough" wohlig ums Herz. Hört man gerne eiernde Story-Balladen mit Lapsteel oder hat man mal die sonore Erzählerstimme Kristoffersons ins Herz geschlossen, sorgen diese Nummer wie auch das tolle "Good At Losing" für ein coming home-Gefühl.

"Good At Losing" und ebenso der mit großen Pferdeschritten herbei eilende "Midnite Cowboy" greifen aufs Stilmittel des überstrahlenden Bassgitarre-Riffs zurück, wie es in Johnny Cashs "I Walk The Line" dominiert. Wenn Country und Rhythm-and-Blues in Jukebox-Zeiten gemeinsame Wege gingen, was definitiv nicht Queen B. erfand, nannte man das seinerzeit Crossover. In Crocketts "Spade" ist es wieder so weit. Man könnte ebenso Southern Rhythm'n'Rock dazu sagen.

Dieses Yin und Yang weiß und schwarz akzentuierter amerikanischer Identitäts- und Wohlfühl-Musik setzt sich fort. Einerseits bedient das lakonische "Hard Luck" die Mellencamp-Fraktion des Storytellings, andererseits reiht sich "Gettin' Tired Again" als Soul-Folk in die Tradition Gil Scott-Herons ein. Mit Vibraphon, Streichern und kratzigen Vocals wählt Charley eine geschmackvolle Gestaltung. Kiwanuka-Fans werden sie lieben. Auch beim eleganten "America" mit grandiosen Bläsersätzen sollten sie wohl anbeißen.

Während gerade der Titelsong und Opener deutlich hinter der Qualität des weiteren Albums zurück fällt, helfen das stringente Alltags-Singalong "Ain't Done Losing" übers Pech der 'kleinen' Leute im Casino und das ruhige, gleichmäßige "Lead The Way" beim Runterkommen. "Lead The Way" handelt von Dankbarkeit, mit der Message "I'm thankful for every day".

Zugegeben, der erzählerische Ansatz bleibt dabei etwas auf der Strecke, mit der Zusammenfassung aus dem kurzweiligen Pressetext kommt man schneller auf die Essenz des Longplayers: "In der Gründungsmythologie des Landes und in den meisten populären Kunstwerken kämpft und triumphiert der mutige Außenseiter über große Schwierigkeiten. In der Country-Musik und auf Crockett's "$10 Cowboy" wird der Sieg nur selten errungen; die Widerstandsfähigkeit liegt im Kampf selbst und im Trotz, den er hervorruft."

Über-Highlight der Scheibe ist das eins A georgelte "Solitary Road". Das melancholische, majestätische wie auch beschwingte Lied stapft in die Tradition großer Kaliber wie "The Night They Drove Old Dixie Down" oder Dylans "All Along The Watchtower", ahmt den Groove dieses Klassikers nach. Der anschaulich singende Crockett moduliert hier quasi mit dem Kieks im Schlund, den Shakin' Stevens einst zu seinem Markenzeichen machte. Crockett klingt dadurch aufgeweckt und verleitet zum weiteren Hinhören.

Wer so flexibel ist, 'Americana' als Bottich für Folkrock, Westcoast-Sunshine, Soul-Einflüsse, Nashville-Country und Heartland-Songwriting zu sehen, also ein bisschen so, wie bei Jackson Browne üblich, dürfte mit dieser Platte viel Freude haben. Wirklich neue Erkenntnisse übers US-Lebensgefühl bietet Crockett nicht. Und die Stärken des Albums liegen letztlich mehr im Handwerk, in den Arrangements und in der Performance als im Songwriting. Mit "Solitary Road", "Ain't Done Losing", "Good At Losing" (so viele Loser...) oder "Gettin' Tired Again" glückt aber doch die Ernte einiger wirklich sehr guter Tracks. Von Charley Crockett gibt es übrigens auch ein empfehlenswertes Live-Album aus dem letzten Herbst. Guter Mann - bitte merken oder gleich ausprobieren!

Trackliste

  1. 1. $10 Cowboy
  2. 2. America
  3. 3. Hard Luck
  4. 4. Good At Losing
  5. 5. Gettin' Tired Again
  6. 6. Spade
  7. 7. Diamond In The Rough
  8. 8. Ain't Done Losing
  9. 9. Solitary Road
  10. 10. City Of Roses
  11. 11. Lead The Way
  12. 12. Midnite Cowboy

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