laut.de-Kritik

Unbändiger Country-Powerpop, der fast schon überfordert.

Review von

Dass Charlotte Brandi über eine wunderschöne Stimme verfügt, weiß man bereits von ihrer früheren Band Me And My Drummer. Drei Jahre sind seitdem verstrichen, die Erwartungen entsprechend hoch. Auch auf "The Magician" lässt sich ihr Gesang als warm, zutraulich, charismatisch und jung geblieben beschreiben, selbst wenn sie haucht, klingt es kraftvoll und nah. Verführerische und elfenhafte Momente stehen auf der Habenseite dieses 50 Minuten langen Albums. Das Songmaterial ist prinzipiell gut, ein paar wunderschöne Stücke ragen heraus ("Veins", "A Sting", "New Linen"), aber der Haken ist die instrumentelle Darbietung. Hier hört man von allem zu viel, und das fast durchgängig.

Googelt man Charlotte, ploppt oft der Begriff Dream-Pop auf. Doch damit ordnete man die Wahlberlinerin falsch ein. "A Sting" etwa benutzt eine Rock-Dramaturgie, zu der man headbangen und herumhüpfen kann. "Aliferous" und "My Days In The Cell" zücken Western- und Desert Rock-Effekte, etwa mit Tex-Mex-Mariachi, wie von Chuck Prophet in die Rockmusik eingeführt. In "Where The Wind Blows" läuft Kammermusik am Klavier. Alle Songs sind am Piano entstanden, und es ist gut, diese "Quelle" der Komposition auch zu spüren. In allen anderen Songs decken dicke Klangschichten die Leitmelodie des Pianos zu. Bei "New Linen" begleitet sich Brandi an der Akustikgitarre und singt gegen einen dröhnenden Bass an, in den sich von Ferne hohes Tastenklimpern einschaltet. Dann swingt sie hymnisch und country-soulig zu choralen Harmonien. Dream-Pop greift daher zu kurz, obwohl über vielen Liedern gewiss etwas Verträumtes liegt.

Insbesondere der Country-Einfluss in "New Linen" bricht mit dem Me And My Drummer-Sound völlig. Auch der Text des Schlusstracks lohnt eine nähere Betrachtung: Die Songwriterin entwirft ein infernales Tragik-Szenario: "You dance with fire, you're in control / and the flames they grow higher / you got a lucid soul / the band keeps playing at your command / so don't you bite into the wrong hand". Die Sängerin selbst benennt Vivaldi als Einfluss. Etwas sympathisch Altertümliches haftet der Platte in der Tat an.

"New Linen" scheint eine Verwandlung in mehreren Stufen zu thematisieren, erzählt von Mut, Angst und einer "Hand", an der man sich festhalten oder in die man beißen kann (um sie abzuschütteln). Hände sind ein Schlüsselmotiv: "The palms of my own hands" (in "Defenseless"), "Your soft hands" ("My Days In The Cell"), "With splinters in your hands" ("Aliferous"), "With two bloody hands" ("A Sting"), "Folded hands" ("Where The Wind Blows") etc. Für eine Deutsch-Muttersprachlerin fährt Charlotte lyrisch Überwältigend auf. Auch die Themen überzeugen: "My Days In The Cell" handelt von eingeschliffenen Gewohnheiten eines Paares, "A Sting" von Machtgebrauch zu egoistischen Zwecken.

Leider ersaufen die Texte teilweise in der Klangdichte und viel zu großzügiger Instrumentierung, wobei manchmal genau das Üppige passt: In "Where The Wind Blows" zündet am Ende voller Knacken, Spratzen und Knistern ein Feuerwerk. Ansonsten hätte etwas weniger Drama in der klanglichen Verzierung Brandis Storytelling vielleicht gut getan. "Sitting Bull" wirkt da als kurzes Instrumental wie eine nötige Verschnaufpause. Dennoch ist "The Magician" musikalisch ausgefeilt und begeistert mit theatralem Flair. Es dürfte spannend sein zu beobachten, wie Charlotte Brandi ihre Stücke ohne Orchestergraben live umsetzt. Eine "The Magician"-Unplugged-Vorstellung wäre ein sicherer Hit - denn so könnte sie ihre außerordentlichen Songs leichter erfassbar machen.

Trackliste

  1. 1. Veins
  2. 2. Defenseless
  3. 3. My Days In the Cell
  4. 4. Two Rows
  5. 5. Jenny In Spirit
  6. 6. Sitting Bull
  7. 7. Aliferous
  8. 8. A Sting
  9. 9. A Word
  10. 10. Where the Wind Blows
  11. 11. New Linen

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 5 Jahren

    Die Kritik vergisst zu erwähnen auf welch unfassbar hohem Niveau hier musiziert und gesungen wird. Davon können andere Künstler nur träumen.
    Ich mag dabei an Brandis Stimme, dass sie völlig unverstellt klingt und mit sich im Reinen zu sein scheint. Wo andere Sängerinnen, gerade aus Deutschland, verzweifelt versuchen schwarz und soulig zu klingen, hören wir hier einfach Brandi, die ihren Sound gefunden hat. Die Stimme klingt jung, die Sängerin jedoch erfahren. Mir gefällts.

  • Vor 5 Jahren

    Meine Meinnung trifft meiner Vorgänger, aber kein Soul !