laut.de-Kritik

Verbreitet wohlig-warme Post-Nuklearkriegs-Atmosphäre.

Review von

Laut Duden ist "Evolution" die Weiterentwicklung eines Lebewesens vom Einfachen zum Komplexeren. Eine Lebensform passt sich besser an die Umwelt an oder erlernt neue Fähigkeiten, die ihr dabei helfen, sich besser in ihrem Lebensraum zu behaupten. Seinem neuen Album gab das Frankfurter Techno-Urgestein Chris Liebing diesen Namen. 16 Stücke und ein versteckter Track wollen auf diesem von der musikalischen und menschlichen Weiterentwicklung Liebings erzählen.

Mit dem episch-industriellen Intro "Two And A Half Billion Years", das eine wohlig-warme Post-Nuklearkriegs-Atmosphäre verbreitet und sich auch bestimmt gut im Soundtrack von Terminator 3 machen würde, läutet Liebing sein neustes Werk ein. Metallische Percussion und bedrohliche Strings künden davon, dass es jetzt gleich ordentlich Bums macht. Das geschieht mit Stücken wie "Intruder", "Natural Selection" und "Dark Matter", die, wie man es von Liebings Platten kennt, meist sehr perkussiv, und wie es im Ravervolksmund heißt, "schranzig" daher kommen.

Eine Weiterentwicklung, die man bis jetzt noch nicht von Liebing gehört hat, ist die Verwendung des Shuffle-Rhythmus. Stücke wie "Paradox Behaviour" und "Disorder + Chaos" schauen sich diesen frech bei der Kölner Schule à la Kompakt und Mike Ink ab. Lustig-sponkig grooven sie im Dreivierteltakt hin und her, Shuffle-Schranz, quasi. Schlussendlich wurde noch alles mit jeder Menge Arbeit zu einem Mix zusammen gebastelt, der den Hörer bei der Hand nimmt und fast nahtlos durch das Album führt, wären da nicht manchmal die abrupten Wechsel und Stilbrüche zwischen den harten und ruhigeren Stücken.

Am musikalischen Inhalt des Albums jedoch scheint die Evolution tragischerweise vorbeigegangen zu sein. An viel zu vielen Stellen kloppt Liebing wie eh und je putzmunter nach dem altbekannten Schema auf die Zwölf. Um als wirkliche Weiterentwicklung angesehen zu werden, reicht der Dauereinsatz der Roland TR 909 und immer wieder der gleiche Tooltechno-Trackaufbau nicht. Ich bin kein Technohasser, aber genau diese penetrant stumpfsinnigen Schreddertracks werfen in meinem Kopf immer wieder die eine Frage auf: Techno mag ja schon tot sein, aber wann stirbt denn Schranz jetzt endlich ? Bitte, Lieber Musikgott, lass es bald sein.

Auch die wenigen anderen Neuerungen wie Shuffle-Rhythmus und gebrochene Beats helfen dieser Platte nicht aus der heimtückischen Schranzfalle hinaus. Die herausragenden Stücke dieses Albums klingen verdächtig ähnlich nach Musik, wie sie schon von Leuten wie Si Begg oder Ben Sims gemacht wurde. Auch bei "String Therory" und "Home", zwei Stücken mit gebrochenen Beats, kupfert Liebing verdächtig viel von den Engländern Leftfield ab.

Die Neuerungen auf "Evolution" sind ja schön und gut, aber namhafte Techno-DJs und –Produzenten wie Laurent Garnier, Adam Beyer, Marco Carola und sogar Liebings Labelmate Umek haben es bereits besser vorgemacht und Alben heraus gebracht, die alle vielseitiger waren. Trotz allem klingt das Album, mit viel Bass gehört, dick. Die ravende Käuferschicht bekommt mit "Evolution" soliden, abgespeckten, schnörkellosen Techno, wie eh und je aus deutschen Landen. Nicht weniger und auch nicht mehr. Alle Hardcore-Schranzer können bedenkenlos zugreifen.

Trackliste

  1. 1. Two And A Half Billion Years
  2. 2. Prologue
  3. 3. Soulseek
  4. 4. American Madness
  5. 5. Golden Age
  6. 6. Manic Times Square Preacher
  7. 7. Fires Of Hell
  8. 8. Paradox Behaviour
  9. 9. Intruder
  10. 10. Natural Selection
  11. 11. Random Process
  12. 12. Too Many People Talking (Not Enough Doing)
  13. 13. Disorder And Chaos
  14. 14. Dark Matter
  15. 15. String Theory
  16. 16. Epilogue
  17. 17. Home (Hidden Track)

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