laut.de-Kritik

Wir fahren im Bus nach SCHLAGER!

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Der Deutschpop war ja lange Zeit der etwas salonfähigere Cousin des Schlagers, mit dem er aber spätestens seit Gottesmutter Helene um ein beträchtliches Stück näher zusammen gerückt ist. Egal, an Tagen wir diesen wünschen wir uns Unendlichkeit, also halt dich fest, Baby, wir fahren im Bus nach London, wir küssen uns am Eiffelturm. Geht es dir da genauso? Was machst du eigentlich?

"Das Leben ist der Himmel / Das Leben ist die Hölle", singt Christina Stürmer, die gerade ein Best-Of-Album veröffentlicht hat. Ja, was denn nu? Ach, pillepalle, behaupten wir einfach es ist zu 90 % der Himmel, weil Deutschpop ohne "Carpe Diem" wäre nicht die Symphonie, nach der es still um uns wird, die er eben ist. Es geht ums ultimative Gefühl, um den Narrativ des schönen, gelebten Lebens. Um Sommerregen und Regenbögen und die perfekte Welle und geile Zeiten. Das, was Mutti und Omi bei Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen oder beim Traumschiff fühlen. Der vertonte Sascha-Hehnismus.

Hier die Zutatenliste: Fernweh, Herzweh, Meere, Scherbenmeere, den Moment leben, eine handvoll Sinnsprüche und Binsenweisheiten, Nie Genug vom Leben kriegen, Sterne in der Ferne, Lichter, mehr Lichter, viele Lichter, Millionen Lichter, "Du bist XY" (mein Polster, die Schwerkraft, mein Atem, das Salz in meiner Wunde et cetera), Lebensbetrachtungen (Ich lebe, ich bleibe am Leben, ich will leben, ich will mir dir Leben).

Musikalisch? E-Gitarren mit ein wenig Delay, bei denen jeder behauptet, sie klingen nach U2. Gerne ein wenig verzerrt, natürlich nicht so wie bei Ministry, aber ein wenig verzerrt trotzdem. Alles schön auf iTunes gemischt, War of Loudness und so. Ein paar dramaturgisch wohl eingesetzte Akustikgitarren, die gleich laut sind wie alles andere. Ein bisschen Sphärisches zum drüberstreuen, das soll an das Meer und die Weite erinnern.

So, und wo wir jetzt festgestellt haben, dass eh alles Schlager ist, ein kleiner Turn of Events: in diesem Deutschpop-Meer mit Millionen Deutschpop-Lichtern ist Christina Stürmer eine der angenehmeren Figuren. Bekennt man sich dem Deutschpop entgegen aller Streetcredibility - so wie der Schreiber dieser Zeilen - trotz aller Formelhaftigkeit und Schlagerismus sogar als wohlgesonnen, findet man durchaus Gefallen an dem einen oder anderen Stück.

Während es einem bei Silbermond und Konsorten immer wieder einmal die Zehennägel der Fremdscham aufstellt, ertappt man sich bei Christl (so nannten sie früher alle, die sie nicht kannten) doch immer wieder, sich über die gelegentliche Beschallung aus dem Radio zu freuen. "Millionen Lichter" zum Beispiel: durchaus geglückter Song. Und wer möchte bitte nicht im Bus durch London fahren und sich am Eiffelturm küssen (nicht sich selbst wohlgemerkt)? Okay, "Mama Ana Anahabak" ist schon eine ziemlich vernachlässigbare Nummer mit Diddl-Maus-Stammbuchpoesie, da war "Mama" von den Spice Girls schon der bessere "Mama"-Song. Sei's drum!

Angefangen hat es für Christina Stürmer bei der österreichischen Castingshow "Starmania", dem alpenländischen "Deutschland sucht den Superstar"-Äquivalent. Da zog sie im Ranking letztendlich zwar gegen den Gewinner Michael Tschugnall und seine Schmonzette "Tears Of Happiness" den Kürzeren, war aber die einzige, die eine Karriere im Pop-Business hingelegen konnte. Leider muss sie jetzt an der Musiksendung "Sing Meinen Song" teilnehmen, wo sie sich mit Kollegen wie Xavier Naidoo, den Prinzen und anderen sinistren Gestalten kollegial geben muss. Das könnte nicht jeder, für die meisten Menschen wär das die Hölle Hölle Hölle Hölle Hölle!

"Lass uns durch die Nacht fahren, ohne Plan und ohne Ziel", wieder eine dieser Carpe-Diem-Aufforderungen. Okay, machen wir. Am besten nach London und danach vielleicht zum Eiffelturm? Ach, das ist schon alles okay!

Trackliste

  1. 1. Was Wirklich Bleibt
  2. 2. Meer Seh'n
  3. 3. Ich Hör Auf Mein Herz
  4. 4. Millionen Lichter
  5. 5. Wir Leben Den Moment
  6. 6. Mehr Als Perfekt
  7. 7. Ist Mir Egal
  8. 8. Fieber
  9. 9. Scherbenmeer
  10. 10. Ohne Dich
  11. 11. Nie Genug
  12. 12. Mama Ana Ahabak
  13. 13. Vorbei
  14. 14. Ich Lebe
  15. 15. Engel Fliegen Einsam

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