laut.de-Kritik
Technokratisch kühler Synth-Pop fürs menschengewärmte Bett.
Review von Maximilian SchäfferDass die Chromatics eine Synthiepop-Band mit deutlicher Zuneigung zum Wahnsinn sind, wissen wir seit dem Auftritt in David Lynchs Serie "Twin Peaks". Spätestens mit der 2018er-EP "Camera" setzte man diese Vorliebe akustisch fort: Mit "House Of Dolls" fand sich ein besonders verstörender Track neben der titelgebenden Singleauskopplung.
Zur glatten, blonden Schönheit der an Nico erinnernden Sängerin Ruth Radelet gesellt sich innerhalb der Bandikonografie immer die Unheimlichkeit zu großer Perfektion in einem menschlichen Gesicht. Selbstreflexiv inszeniert man sich als Puppe, referenziert Zwangsprostitution im Dritten Reich sowie den 1953 entstandenen Horrorfilmklassiker "House Of Wax". "Closer To Grey", das erste Studioalbum seit "Kill For Love" von 2012, setzt diesen Ansatz zur Subversion schon beim Cover fort, auf dem das verzerrte Mannequin-Idealbild mit Blutspritzern übersäht und mit einem Hinweis zur freiwilligen Selbstkontrolle wegen expliziter Gewaltdarstellung versehen wird.
Tatsächlich ist die Albumeröffnung mit einem Cover der ewigen Simon & Garfunkel-Schnulze "The Sound Of Silence" fast schon gruselig. Man muss allerdings anerkennen, dass Coverversionen eine Stärke der Chromatics sind – Kate Bushs "Running Up That Hill" verunstalteten sie zum Beispiel keineswegs. Johnny Jewel ist der Mann hinter unzähligen analogen Synthesizern, gleichzeitig der Produktions-Mastermind, der für den zuckersüßen Stil verantwortlich zeichnet. Von ihm hergestellte Alben erfreuen sich auch in HiFi-Studios durchwegs größter Beliebtheit, weswegen man mit Kopfhörern über den Ohren auch direkt tief in den elektronischen Klangteppich taucht. Nur leider hörte man die Arrangements zum größten Teil schon genau so auf anderen Alben der Band. Wirklich Neues entdeckt man auf den doch recht langen 45 Minuten nicht (zumal einzelne Songs bis ins Jahr 2014 zurück datieren).
Das liegt auch daran, dass stimmliche Variabilität nicht gerade die Stärke von Frau Radelet ist. Einen kleinen Ausbruch aus dem lasziven Midtempo und dem ständigen Stöhnen wäre wünschenswert. Die Titelnummer "Closer To Grey" birgt genauso wenig Wiedererkennungswert wie etwa "Whispers In The Hall", das auch aus Jewels einstigem Instrumentalprojekt "Symmetry – Music For An Imaginary Film" recycelt sein könnte. "On The Wall" ist ein weiteres stimmloses Stück, das wie eine Mischung aus The Jesus And Mary Chain-Cover und New Order tönt (man vergleiche das Gitarrenriff am Ende einmal lose mit "Age Of Consent").
Eine ziemlich coole Nummer hingegen ist "Light As A Feather", in dem das anämische Hauchen der Sängerin mit einer Ladung sich überlagernden Vokalspuren sowie rückwärts geloopten Synthiepatterns dekoriert wird. Dazu kommt ein Beat, der im besten Sinne an Massive Attack oder gar die Sneaker Pimps denken lässt, die wohl vergessensten aller großen Trip Hop-Heroen.
Deren Kunst, die technokratische Kühle der postindustriellen Gesellschaft mit der Wärme eines menschengewärmten Bettes zu verbinden, übersetzen die Chromatics recht ähnlich in ihren Kosmos: Bei "Touch Red" wundert man sich eigentlich nur, dass nicht plötzlich die Stimme von Chris Corner erklingt (der mittlerweile unter dem Namen IAMX aktiv) aktiv ist. Zwar ist der Chromatics-Sound dieser Tage allemal noch eigenständig, aber die Gruppe aus Portland, Oregon muss langsam aufpassen, nicht in allzu repetitiven Anachronismus zu verfallen.
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