20. April 2009
"Wir sind keine Marionetten!"
Interview geführt von Ulf KubankeCinema Bizarre polarisieren. Für viele Fans ist das eine großartige Band, andere halten das Quintett für wenig eigenständig.Den japanischen Visual Kei-Look setzen die Jungs konsequent um, nicht wie bei Tokio Hotel, bei denen nur Bill ein wenig damit kokettiert. Brian Molko (Placebo) und Malcolm McLaren (Sex Pistols-Manager) sollen bereits Songs für die Band geschrieben haben, die im Vorentscheid des Grand Prix 2007 noch gegen die No Angels unterlag.
Gründe genug, der Truppe kurz vor dem Release des zweiten Albums mal ein wenig auf den Zahn zu fühlen. An einem warmen sonnigen Tag habe ich den gut aufgelegten 21-jährigen Sänger Strify an der Strippe.
Für all jene, die euch nicht kennen: Worin besteht die Philosophie von Cinema Bizarre? Was ist eure künstlerische Vision?
Wir sind eine Popgruppe, die sehr gerne über Grenzen geht, in Richtung Rockmusik oder Elektronik. Wir wollen ein Paket, ein Gesamtkonzept. Wir sind nicht der Typ Band, der sagt 'Wir wollen kein Image haben!' Für uns ist auch das Image wichtig. Wir sind schon immer alle sehr individuell gewesen. Deswegen auch die Loyalität als großer Teil der Band, der Philosophie.
Euer Styling orientiert sich stark an der Visual Keys Bewegung aus Japan. Welche Bedeutung hat die Visu-Szene für euch? Was würdet ihr jemand entgegnen, der sagt, dies sei nur für Fashion Shops relevant und habe - ganz anders als bei Punks oder Goths - keinerlei künstlerische oder musikalische Bedeutung?
Ähem, es ist ja schon so, in Japan funktioniert die Gesellschaft ja ein klein wenig anders als in Europa, wo wir ja eigentlich herkommen. Es ist ja dort auch ein Zeichen von viel Individualität, Visual Keys zu nutzen. Weil Individualität da ja auch stark unterdrückt wird, in der Schule gelten dort Regeln, wie lange du Haare tragen darfst, wie kurz du Röcke tragen darfst. Da haben die Leute einfach ein Ventil, anders zu sein, und sich nicht immer alles nur von Regeln vorschreiben zu lassen.
Das heißt der Kritiker hat Recht, wenn er in dem optischen Element, das ihr so stark betont, keinerlei Relevanz für unsere Gesellschaft und eure Musik ausmachen kann?
Naja, für mich persönlich hat das ja schon einen Bezug. Ich habe mich immer sehr interessiert für ausländische Sachen. Ich war ja auch immer eher Außenseiter. Als ich vor ein paar Jahren VK entdeckte, hat mich das persönlich sehr weitergebracht. Das war eben ein sehr großer Stylingaspekt; der weniger mit der Musik zusammen hing. Ich hab mit elf, zwölf Jahren angefangen, mich zu schminken, schon bevor ich die Jungs kennen gelernt habe. Und für uns war das Styling eben mit ein Grund, warum wir uns kennengelernt haben. Ohne das Aussehen hätten wir das nicht. Und dadurch, dass wir eben alle dieselben Erfahrungen gemacht haben, anders zu sein, Außenseiter zu sein, kämpfen zu müssen, haben wir uns kennengelernt, obwohl wir in verschiedenen Städten wohnten. Da war einfach eine große Verbindung von Anfang an.
"Wir sind alle Spielzeuge"
Zur neuen CD: Wo liegt die Weiterentwicklung im Vergleich zum Debüt?In erster Linie wollten wir uns treu bleiben. Aber ich denke, wir haben vor ein paar Jahren mit der Plattenfirma angefangen. Das war natürlich für uns alles Neuland. Und wir haben auf jeden Fall viel gelernt in den letzten zwei Jahren. Und man kann sehen, dass wir persönlich auf jeden Fall gewachsen sind. Unser Beat geht jetzt einfach stärker nach vorne. Wir hatten vorher auch nicht viel Ahnung von Tooling. Deshalb haben wir uns bei diesem Album auch voll auf die Atmosphäre konzentriert. Nicht für uns! Live soll das total rüberkommen! Denn irgendwo fühlen wir uns halt am wohlsten auf der Bühne.
Ah ja, wer hat denn überhaupt dieses Mal im Wesentlichen die Songs geschrieben? Gibt es einen Hauptsongwriter in der Band?
Prinzipiell arbeiten wir mit Songwritern zusammen. Wir hatten ja vorher noch keinen großen Hintergrund in Songwriting und haben uns dafür entschieden, professionell mit einer großen Plattenfirma zu arbeiten; mit Songwritern zu arbeiten. Das ist für uns ein großer Prozess, auch viel zu lernen. Wir wollen ja immer eigenständiger werden, und deshalb macht auch jeder kleine Teile bei den Songs. Der Gitarrist hat ein Riff im Kopf. Ich hab Songteile. Ich schreib immer irgendwas auf. Wenn wir im Studio sind, schmeißen wir dann eben auch zusammen. Da kommen viele Sachen von vielen verschiedenen Leuten rein. Was dann ja auch den Facettenreichtum auf den Alben zeigt.
Von welchem Facettenreichtum sprichst du genau? Eure Manager – Thilo Wolf (Lacrimosa), Eric Burton (Catastrophe Ballet) – sind ja hochgradig kommerziell relevante Gothic Künstler. Wie groß ist ihr Einfluss auf die künstlerische Arbeit, wenn ihr selbst kaum komponiert? Was entgegnet ihr jenen, die behaupten, Cinema Bizarre sei eine Retortenband; bloße Marionetten von Wolf und Burton?
Wir sind ja so, wie wir sind, und wir wollen auch nie anders sein! Wenn man uns verfälscht, könnte ich nicht rausgehen und sagen: 'Das ist unser Album!' Thilo und Eric sind unsere Manager! Aber sie sind nicht die Band. Wir sind diejenigen, die kreativ sind und die die Band sind. Die beiden haben sehr viel Erfahrung, weil sie auch selber Musiker sind und Geschäftsleute. Was natürlich auch ein großer Vorteil ist, da wir auch viel lernen können. Aber wir haben immer unseren eigenen Kopf. Und das würde deswegen nie funktionieren, wenn wir Marionetten wären. Viele sagen, wir sind ein Kunstprodukt. Aber wir haben uns nie anders gegeben als wir wirklich sind. Wir kicken einfach zurück und sagen: 'Wir sind immer noch hier und jetzt erst richtig!' Wir sind alle Spielzeuge. Aber wer spielt mit EUCH?
Glamrock? Glampop!
Würdet ihr euch selbst als Glamrockband sehen? Gibt es da Vorbilder?Ich würde uns nicht direkt als Glamrockband sehen. Von Glamrock haben wir den visuellen Aspekt. Aber vor allem würde ich die Musik nicht als Glamrock bezeichnen. Eher schon als Glampop.
Das ist doch eher Wortklauberei. Wenn ich euch sehe und höre, muss ich fast automatisch an den Meister Ziggy Stardust anno 1972 denken. Liegen da denn auch eure Wurzeln? Eine Art Schlager-Glam?
Naja, wir sind alle verschiedene Charaktere in der Band. Alle haben verschiedene Einflüsse. Wir haben zu dem, was du sagst, sicherlich eine große Verbindung. Es spielen aber auch sehr viele andere moderne Elemente mit. Für mich war bei solchen Leuten wie Bowie oder Howard Jones eigentlich auch eher immer das Styling mein Ding. Ich bin auch ein sehr großer Madonna-Fan. Es geht um Leute, die ein Gesamtpaket geliefert haben, die mich auf jeden Fall auch menschlich geprägt haben. Ich bin durch meinen Vater sehr viel mit den 80ern aufgewachsen, z.B. mit Depeche Mode. Die 80er sind für mich auch ein Lebensgefühl, auch musikalisch gesehen. Es gab in den 70ern und 80ern viel, was heutzutage in der Musik fehlt. Und dafür bin ich auf der Bühne.
Ok, ändert ihr denn etwas an dieser Methode, um den internationalen Durchbruch analog zu Tokio Hotel zu schaffen? Was tut ihr dafür?
Nein, ich würde sagen, wir haben unsere eigene Identität als Band. Musikalisch und visuell! Und ich denke, wir dürfen uns nirgendwo anpassen. Wir sind eine Band aus Deutschland. Wir sind eine Band aus Europa. Das ist unser Background, unsere Identität. Und Leute, die uns im Ausland mögen, tun das, weil wir unsere Identität leben.
Selbstverständlich. Aber welches Ausland ist denn da gemeint? Wollt ihr jetzt auch Übersee erobern; vor allem New York und L.A.?
Wir haben auf jeden Fall unsere Fanbase in Amerika. Und das ist natürlich eine ganz große Möglichkeit, die wir ausnutzen wollen. Man will seine Songs doch an so viele Leute wie möglich bringen. Und da werden wir auf jeden Fall schauen, dass wir das auch hinbekommen.
Sehr schön. Damit sind wir am Ende. Lieber Strify, bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Ok wunderbar. Dann auch noch einen schönen Tag und viel Glück.
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