laut.de-Kritik

Trauer-Arbeit, die in den Bann zieht.

Review von

Was tun, wenn man zwei geliebte Menschen innerhalb kürzester Zeit verliert? Dallas Green alias City & Colour gibt die Antwort mit seinem neuen Album. Auf "The Love Still Held Me Near" verarbeitet der Kanadier sein Gefühlschaos, ausgelöst durch den Tod seines Produzentens und besten Freundes Karl 'Horse' Bareham sowie den seines Cousins. Im September 2019 und Mai 2020 verliert er die beiden, zwischenzeitlich beginnt die Pandemie. Für Green ist klar: Die Gefühle und Gedanken müssen raus, daher setzt er sich in der Musik mit ihnen auseinander. In den zwölf Songs zeigt er sich genauso verletzlich wie auf dem Albumcover und hält keine seiner Emotionen zurück. "The Love Still Held Me Near" nimmt den Hörer mit auf den Weg des Heilungsprozesses, befasst sich aber auch mit den Höhen und Tiefen einer Beziehung.

Der Prozess startet mit "Meant To Be", einer Hommage an Bareham, der ihn auf seiner Tour begleitete und in Australien bei einem Tauchgang ertrank. In den Lyrics finden sich Trauer ("Cause now that you're gone / And I write down this song / I don't believe this is how it's meant to be"), Wut ("I wondered if the Bible was wrong / What the hell were they teaching me?") und Verzweiflung ("But I was missing my friend / So, how do I carry on?") wieder. Besonders die letzte Zeile bohrt sich wie ein Dorn ins Herz. Man merkt Greens Stimme den Schmerz an, der tief in ihm sitzt. Die akustische Gitarre aufzunehmen, die in "Meant To Be" einleitet, war für den Musiker ein hochemotionaler und persönlicher Moment, wie er erzählt. "Als ich anfing zu spielen, musste ich sofort weinen, und zwar den ganzen Take lang", offenbart er im Interview mit American Songwriter. Die eingestreuten Bends auf der E-Gitarre mimen schmerzerfüllte Ausrufe und ergänzen den klagenden Gesang.

Der Endlichkeit des Lebens stellt sich der Singer-/Songwriter auf "Underground". Anstatt die Tatsache als bedrückendes Gefühl zu kommunizieren, sendet er eine lebensbejahende Message in die Welt: "So let's just forget the unforgiving presence of death / And live wild and free / Godless or not / You can't let the fear control your body" singt er mit seiner klaren Stimme, die er zu jeder Zeit unter Kontrolle hat. Gewohnt mühelos wechselt er im Verlauf zwischen verschiedenen Tonlagen.

"Fucked It Up", die dritte der Singles, die das Alexisonfire-Mitglied an den Anfang stellt, thematisiert Hürden in einer Beziehung, die aus dem sich ständig verändernden Leben resultieren. Green begleitet sich selbst im Backgroundgesang und mit der Akustikgitarre, bevor mit den letzten Worten des ersten Refrains die Drums und die verzerrte E-Gitarre einsetzen. Abwechslung bietet das gemächliche Solo zum Ende hin. Mit dem gefühlvollen "Things We Choose To Care About" kehrt er zum Status Quo zurück. Auf dem ruhigsten Stück der Platte verewigt er seinen Freund erneut ("Your memory / It will remain / Always and forever") und zieht ein nüchternes Fazit: "So, what is life like for me now? / No more easy victories of youth / Just the things that we choose to care about".

In der zweiten Hälfte des Langspielers steht nicht mehr der Kummer, sondern die Liebe im Mittelpunkt. "Without Warning" widmet er seiner Frau, mit der er seit 18 Jahren zusammen ist, 15 davon verheiratet. "You always wanted a love song / Well now I'm singing you one / Does it sound like the one in your dreams?", singt er. Die Begleitung hält sich im Hintergrund und lässt seiner Stimme den Vortritt, ab der Bridge macht aber besonders die E-Gitarre auf sich aufmerksam.

"After Disaster" ist mit Greens heller Kopfstimme, die gleich zu Beginn erklingt, ein weiteres Highlight. Nach etwa zehn Sekunden setzen die Instrumente ein, die eine sinnliche Atmosphäre kreieren. Der Bass sticht anfangs zum ersten Mal auf dem Album hervor und bekommt mehr Raum zugesprochen. Auf "Hard, Hard Time" wird es dann folkig durch das Zusammenspiel aus Klampfe und Hintergrundgesang, der den Rhythmus dieser ergänzt. Auch sein Gesang in der zweiten Strophe trägt dazu bei. "Likе how my debts will go unpaid" jault er schon fast gleich eines Wolfes, indem er jedes der Wörter einzeln in die Länge zieht.

Die Reise endet schließlich mit dem versöhnlichen "Begin Again". "Cheers Horse", hört man am Anfang der Aufnahme, ein letzter Tribut an Bareham. Alles hält Green im Closer sanfter: Die Akustikgitarre haucht über den Song, seine Stimme klingt gefasst und tröstlich, ein leises Rasseln unterstützt das Ambiente. Ein letzter Akkord ertönt und klingt langsam aus - der Schlussstrich unter einem bewegenden Werk, das die Aufmerksamkeit des Hörers fordert und sich diese auch nimmt.

Trackliste

  1. 1. Meant To Be
  2. 2. Underground
  3. 3. Fucked It Up
  4. 4. The Love Still Held Me Near
  5. 5. A Little Mercy
  6. 6. Things We Choose To Care About
  7. 7. After Disaster
  8. 8. Without Warning
  9. 9. Hard, Hard Time
  10. 10. The Water Is Coming
  11. 11. Bow Down To Love
  12. 12. Begin Again

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