laut.de-Kritik
Die zur Zeit leidenschaftlichste Techno-Fleischwerdung.
Review von Matthias MantheIn wenigen Jahren werden wir zurückblicken und festhalten: Es war Chris Clark, der in formatierten Minimal Techno den finalen Sargnagel gerammt hat. Es war Clark, der intelligente Dance Music aufs übernächste Level gehievt hat. Und er war ebenfalls derjenige, dessen Œuvre zwischen musiktechnologischer Avanciertheit und geradlinigem Engineering nicht lediglich Grenzen auflöste, sondern vielmehr die Potenziale moderner Produktionsmittel dafür nutzte, Adrenalin- und Dopaminrezeptoren von Ravern wie Indies gleichermaßen so zu überfluten, als sei Pop eben erst erfunden worden.
Bauch, Herz und Hirn bilden aktuell nirgends vergleichbare Symbiosen wie auf "Totems Flare". Dieses Album, das eine Trilogie abschließt, die mit dem arabesk verziertem Melodiereigen "Body Riddle" (2006) begann und vom beispiellos zwingendem Dancefloor-Bombardement "Turning Dragon" (2008) konterkariert wurde, ist Synergieeffekt per definitionem. Vorgehender Dualismus löst sich auf in ein Gesamtkunstwerk, an dem Fälscher möglicherweise ewig zu knabbern haben. Electronica zu produzieren sei an sich gar keine komplizierte Angelegenheit, meint der Engländer lakonisch. Das benötigte Handwerkszeug ist heute schließlich fast jedem zugänglich. Was er nicht sagt: Schöpferkraft lässt sich weder programmieren noch reproduzieren.
Hier agiert einer, der von sich sagt, er habe als Jugendlicher vier verschiedene Freundeskreise gepflegt: jeweils einen für Grunge, Acid, Elektro und Hip Hop. Dieses Wissens-Repertoire prägt Clarks Vision von elektronischer Musik, die jedem Zugang gewährt. Seine dementsprechende Geradlinigkeit verbietet ihm geradezu, sich zwischen Kunst und Kommerz zu entscheiden. Beziehungsweise zwischen trickreichen Rhythmusverschiebungen und elysischen Synthriffs, die Nostalgie unter die Haut ritzen und sich trotzdem allzeit so präsent und drängend gebären, dass ein Abdriften vom elektrisierenden Strom undenkbar scheint.
"Totems Flare" en detail? Experimental Rave, Illbient, Postrock, Elektrohouse, Drum'n'Glitch und Drill'n'Bass stehen als einige von noch viel mehr Begriffen im Raum. Genres bleiben aber vertikale Annäherungen an die Klangidee im Künstlerkopf. 200 oder 100 BPM, Atmosphäre oder Pointe, Biest oder Schönheit, Instrumental oder Vocals, Sehnsucht oder Gegenwart sind keine antagonistischen Kategorien mehr. Nicht hier, in der leidenschaftlichsten Techno-Fleischwerdung zur Zeit.
13 Kommentare
stimme dem so zu
growls garden ist einfach absolut großartig
growls garden fand ich anfangs am besten. muss mittlerweile sagen das komplette album is der hammer. mein geheimtipp des jahres und ich glaube kaum das da noch was besseres kommt
@Screwball (« @PKingEnte (« mein geheimtipp des jahres und ich glaube kaum das da noch was besseres kommt »):
als 'geheimtipp' würde ich den mittlerweile aber schon nicht mehr bezeichnen. »):
aus meinem umkreis kennt die scheibe (noch (wird sich bald ändern)) niemand. von daher geheimtipp.
Growls Garden hat in Holdens Set auf dem Melt wirklich alles zerlegt.
Ja, die Platte wird immer besser. Intelligent und tanzbar, mit ein paar echt fiesen Breaks. Qualität aus dem Hause Warp.