laut.de-Kritik

Absurd belanglos und künstlerisch gleichgültig.

Review von

Dieses Jahr erfüllte ich mir einen lang gehegten Wunsch: Ich besuchte ein Konzert von Coldplay. Es war eine der besten Shows, die ich je erlebt habe: Die große Weltumarmungsgeste, die durchweg positive und lebensbejahende Stimmung, die unermüdlichen Hinweise, dass man mit diesem Konzertticket auch etwas Gutes für die Umwelt tut, etwa Energierückgewinnung durch kinetische Tanzmatten. Das Theater in einem Stadion unter freiem Himmel mit Feuerwerk und bunten Ballons hatte etwas Erhebendes. Selbstredend habe ich zu "The Scientist", "Everglow" und natürlich "Fix You" die ein oder andere Träne vergossen. Selten ging ich beseelter nach Hause.

Diese Magie übertragen die Briten leider schon lange nicht mehr auf ihre Tonträger. Sie driften immer mehr in nichtssagenden Pop ab, was auf "Moon Music" nun seinen vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Dabei agieren Coldplay stets schicksalsschwanger, um der offensichtlichen Substanzlosigkeit irgend ein Antidot zu bieten. Der Auftakt im Titeltrack gerät dabei durchaus hörenswert dank der Expertise von Jon Hopkins, der die erste Hälfte atmosphärisch, elegisch sowie unterschwellig dramatisch untermalt. Das hätte auch mühelos auf sein "Ritual"-Album gepasst. Danach kippt die Anspannung in eine Pianoballade, die ein Wiegenlied evoziert.

Die Single "Feelslikeimfallinginlove" verkommt zu einem tranigen Lovesong, dem auch zusätzliche Streicher nicht mehr helfen. Es sollte das Paradebeispiel für das Album sein, denn hier hört man zum ersten aber bei Gott nicht zum letzten Mal endlose "Lalala"-Gesänge. In sage und schreibe sechs der zehn Songs etabliert sich die Lautmalerei als bindendes Stilmittel. Wenn einem nichts mehr einfällt, dann trällert man halt a weng, wie der Schwabe sagen würde.

Ein superbes Beispiel ist auch das internationale Stelldichein "We Pray" im Anschluss. Da tummeln sich die britische Rapperin Little Simz, der westafrikanische Afrobeat-Musiker Burna Boy, die palästinensisch-chilenische Musikerin Elyanna sowie die argentinische Entertainerin; und was kredenzen sie uns? Einen Abklatsch von Imagine Dragons, ein kruder Versuch, sich mit Hip-Hop-Elementen zu verheiraten. Gegen Ende steigen alle beim Trällern mit ein und Simz rappt tatsächlich "Lalala" als Adlib - heidenei he!

Der Gastbeitrag der nigerianischen Sängerin Ayra Starr auf "Good Feelings" passt sogar harmonisch, hätte sie mehr als nur vier Zeilen beizusteuern. Der Song liefert per se grundsoliden, obgleich harmlosen Funk-Pop, den es besser und griffiger von Konsorten wie Breakbot, Bruno Mars oder sogar Jung Kook gibt.

Wie auf dem Vorgänger "Music Of The Spheres" erhält ein Song ein Zeichen als Titel, dieses Mal gemäß Cover ein Regenbogen, selbstverständlich. In der Mitte des Album platziert und seltsamerweise anderweitig "Alien Hits / Alien Radio" betitelt, präsentieren Coldplay einen dreiteiligen Ambient-Stream of Consciousness. Zunächst schicken sie uns funkelnd ins All, um danach Sigur Rós nachzuahmen und alte "X&Y"-Zeiten heraufzubeschwören. Der längste Part serviert eine kitschig-verträumte Melange mit Piano und Gitarren, bis ein Sample der verstorbenen Bürgerrechtlerin und Professorin Maya Angelou ertönt: "I've had so many rainbows in my clouds / I had a lot of clouds, but I have had so many rainbows." Gefühlsduselig und rührselig, passend für ein Wandtattoo.

Generell offeriert dieses Machwerk eine Simplizität an Texten, die den Tonus der Heilen Welt tragen. Erschütternd, dass Chris Martin mal im Stande war, berührende Texte zu formulieren. "iAAM", Akronym für 'I am a mountain", bezeugt dies eindrucksvoll: "Stood on a sea of pain / Let it rain, let it rain, let it rain / I'll be back on my feet again / 'Cause I am a mountain". Musikalisch zitieren Coldplay sich erneut selbst und erneut auch vom dritten Album, jedoch nicht in der Großmannssucht von damals, sondern als verwässerte Essenz. Wer kopiert sich denn bitteschön selbst in schlechter? Zudem es an Gaslighting grenzt: "Hey, schaut mal, hier klingen wir wie damals. Falls ihr es bis hierhin nicht mochtet, gewinnen wir euch jetzt auf jeden Fall. Das ist quasi der Sound für die OG-Fans, hehe." Nein Chris, ich denke nicht.

Und wenn man denkt, man habe alles gehört, kommt "Aeterna" um die Ecke. Würde dort Empire Of The Sun stehen, hätte ich gesagt: Na klar, den beiden Paradiesvögeln steht das perfekt zu Gesicht. Aber Coldplay?! Der Elektro-Synthpop mit leichtem Hyperpop-Einschlag passt so überhaupt nicht ins Bild und für die letzten paar Sekunden schleusen sich Zulu-Gesänge auf den Track. Wie deplatziert und wahllos darf es denn noch sein?

Weitaus besser gelingt das in "Jupiter", dem einzig wirklichen Highlight auf dem Mond der Musik, bei dem ebenjener Chor auf Zulu eine funktionierende Dreingabe bildet. Eine Eloge an die Selbstbestimmung in Zeiten von queerer Liebe: "'Am I bad? Am I wrong? Am I weird in the head? The only one awake, and everyone's in bed' / Still she followed the river where the river led / Right up to heaven where the billboard read / I love who I love." Zuckersüßer, unprätentiöser Akustik-Pop, veredelt von Chris Martins toller Performance.

Es hätte sogar zwei Highlights gegeben. Die Piano-Streicher-Ballade "All My Love" schwingt sich liebenswert und sensibel empor, bis die Lautmalerei einsetzt, es in eine massive Schunkelgeste ausartet samt jaulender Westerngitarre. Das wird auf der Bühne, wenn alle im bittersüßem Delirium schwelgen, bestens aufgehen. An dieser Stelle hätte es jedoch diese extra Portion Flitterkram nicht gebraucht.

"In the end, it's just love" heißt es im finalen "One World", einer drögen, melodramatischen Nummer, die nochmals aufzeigt, wie künstlerisch gleichgültig das Quartett mittlerweile agiert. Liebe auf Konzerten in jedem Fall, Liebe für das hier unter keinsten Umständen. Nachdem 20 Sekunden absolute Stille vergangen sind, ertönt ein britischer Insiderjoke, unter Selbstverstand als "Lalala"-Interpretation, der dem Album in Sachen Absurdität noch die Krone aufsetzt. Aber lest den Kontext selbst:

'Am Ende des Auftritts von Coldplay beim BBC Radio 1 Big Weekend 2024 tritt Chris Martin mit einem Keyboard auf und singt einen Song namens "Orange" über den Luton Town F.C.. Der Grund dafür? Viele Einwohner von Luton wollten, dass sie den Text von "Yellow" in "Orange" ändern. Gelb ist die Farbe des Watford F.C., langjähriger Rivale von Luton, der die Farbe Orange trägt.'

Chris Martin gab kürzlich zu Protokoll, dass es nur noch zwei weitere Alben geben wird und für diese Entscheidung möchte man ihm mit Nachdruck danken.

Trackliste

  1. 1. Moon Music
  2. 2. Feelslikeimfallinginlove
  3. 3. We Pray
  4. 4. Jupiter
  5. 5. Good Feelings
  6. 6. Rainbow Sign
  7. 7. iAAM
  8. 8. Aeterna
  9. 9. All My Love
  10. 10. One World

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8 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor einem Tag

    Heute 3x durchgehört und ich muss sagen, dass Moon Music etwas stimmiger und runder ist als der Vorgänger.
    Ein Highlight wie Coloratura fehlt leider, aber dafür gibt es weniger Ausfälle auf dem Album als auf dem Vorgänger.

    Der Schlussakt "One World" und der Opener "Moon Music" sind meiner Meinung nach sogar sehr gut gelungen und klingen nach Coloratura Teil 2 und 3.

    Komplett misslungen meiner Meinung ist Aeterna, welches irgendwie nach Modern Talking 2.0 klingt.

    Ansonsten greifen die Songs besser ineinander und das Album ist weniger sperrig im Durchhören als der Vorgänger.
    Deswegen 3 Sterne.

    • Vor 16 Stunden

      Stimme größtenteils zu. Ich mag "AETERNA" allerdings sehr - mich erinnert der Song eher an Röyksopp! Ansonsten ist es eine Schande, dass "Human Heart" und "Coloratura" nicht erst auf diesem Album veröffentlicht wurden, sondern neben Gräueltaten wie "My Universe" stehen müssen.

      Ich bin einigermaßen zufrieden. 3/5 passt ganz gut, denke ich.

  • Vor 18 Stunden

    Die wahre Tragik ist, dass sie Little Simz da hinein geschleppt haben...

  • Vor 18 Stunden

    Ein Trauerspiel. Ähnlich wie die Black Eyed Peas haben sich Coldplay einfach von der Musik verabschiedet um generische, nichtssagende Scheiße in die Welt zu rotzen.

  • Vor 14 Stunden

    Max-Martin Popdreck der Oberklasse, unterbrochen von einer ambienten Instrumentalwolke, die im Minutentakt die Richtung ändert und sich zwischendurch hässlich entleert, vom Fremd bis zum Selbstplagiat. Wenn er jetzt noch anfangen würde, über seine Erektion zu singen, wäre es das The-1975 - Album, auf das alle warten.

  • Vor 13 Stunden

    Wirklich weitaus besser als der Vorgänger, zumindest als Gesamtwerk. Schwer war das nicht, aber was soll's. Für mich eher ein Album für die Repeat- als für die Skip-Taste, und das ist wenigstens etwas. Zu ihren Großtaten, die man ihnen zugestehen muss, schließt es zu kaum einem Zeitpunkt auf, der "Tiefpunkt", als der es hier beschrieben wird, ist es meines Erachtens nach sicher nicht.

    • Vor einer Sekunde

      Du stehst auf diese generische AI-Musik mit Lalala-Chören? Auf diesem Album wurde alles so konzipiert, dass es auch ja in jeden Spotify-Playlist dieser Welt passt. Also den schlechten Listen.

  • Vor 2 Stunden

    Das oben genannte "falsch abgebogen" ist ein guter Ansatz. Ich sehe die ersten beiden Alben als recht ordentliche Veröffentlichungstendenz. Während Parachutes schon noch was hat von eher belanglosem Plätschern hat, zB zwischen dem Opener und Yellow. Wird die Dichte an guten Songs mit Rush of Blood deutlich gesteigert. Mit X&Y ist die Kurve dann nochmal so steil, dass es sich im Nachhinein als Scheitel darstellt. Mit Viva war es dann ordentlich, und der Nachfolger eher mittelmäßig. Und aus dieser mittelmäßigkeit fanden sie auch mit einem Stilwechsel nicht mehr hinaus- es wurde eher schlimmer. Kurzum das Joshua Tree Album X&Y wurde nicht mit Achtung Baby weitergeführt..