6. Oktober 2017

"Ich klaue bei Oasis"

Interview geführt von

Was treiben der Progressive-Metal-Gott Devin Townsend und Oasis-Riffs auf einem Hardcore-Album? Comeback Kid-Sänger Andrew Neufeld erklärt es uns.

Seit dem 2014 veröffentlichten und von Kritikern geschätzten "Die Knowing" hat sich einiges getan im Hause Comeback Kid. Mit Drummer Loren Legare und Bassist Ron Friesen sind zwei neue Mitglieder an Bord, außerdem stand ein Labelwechsel an: Von Victory Records ging es nach erfülltem Vertrag zum deutschen Metalgigant Nuclear Blast. Wir telefonierten nach Kanada und sprachen mit Bandkopf Andrew Neufeld über die aktuelle Situation in der Band und das neue Album "Outsider".

Hi Andrew, was steht bei dir an dieser Tage?

Ich war mal wieder mit meiner anderen Band Sights & Sounds beschäftigt. Wir probten ein bisschen, schrieben an neuen Songs und bereiten uns auf ein paar Gigs vor, die wir zwischen den Comeback Kid-Touren spielen wollen.

Auf Sights & Sounds wollte ich ohnehin noch zu sprechen kommen. Ihr habt letztes Jahr eine Single veröffentlicht, ein Album sollte kommen, aber seit einer Weile herrscht Stille.

Ja, die Single kam und auch ein paar weitere Songs sind fertig, aber wir konnten noch nicht aufnehmen. Wir warten momentan, dass wir genug Geld fürs Studio zusammenzukriegen. Das dauert manchmal einfach ein Weilchen.

Das neue Comeback Kid-Album ist jedenfalls im Kasten. Auf mich wirkt "Outsider" soundtechnisch etwas roher als der Vorgänger "Die Knowing". Der klang stellenweise fast episch, jetzt springt ihr den Leuten einfach direkt ins Gesicht.

Findest du? Wir hatten denselben Mischer und wenn ich die beiden Platten vergleiche, klingt "Outsider" in meinen Ohren viel besser.

Ich meinte das gar nicht negativ. Ich wollte nur ausdrücken, dass es anders klingt.

Das tut es auf jeden Fall. Bei "Die Knowing" packten wir alle melodischeren Songs ans Ende des Albums und stellten die metallischen Tracks ganz nach vorn. Auf "Outsider" haben wir bewusst auch die poppigeren, leichteren Stücke weiter vorn gelistet und auf Abwechslung zwischen den heavieren geachtet. Unser Ziel war, die Platte etwas "spaßiger" klingen zu lassen. Klar: Die Hardcore-Wurzeln sollten beibehalten werden, aber hie und da ein bisschen Spaß und Melodie war uns wichtig. "Die Knowing" war wütend! Solche Songs gibt es auch auf "Outsider", aber insgesamt sind sie ein bisschen fröhlicher. Ergibt das Sinn?

Auf jeden Fall. Es gibt ja wirklich einiges Melodisches zu hören. "Somewhere, Somehow"...

Weißt du, ich komme vom Hardcore, aber ich liebe melodische Musik! Wir wollten das diesmal etwas offensichtlicher herausarbeiten und ein paar schöne Refrains schreiben. So lässt es sich tatsächlich ganz gut zusammenfassen finde ich: Wir versuchten offensichtlicher zu agieren.

"Outsider" ist ja ein sehr basischer Titel. Auf den vorangehenden Alben gab es immer noch eine gewisse metaphorische Dimension. Warum hast du dich trotzdem für dieses Wort entschieden? Und was inspirierte dich zu den Lyrics?

Ich nehme mit dem Titel Bezug auf diejenigen mit neuen Ideen, revolutionären Ideen, die oft nicht ernst genommen, als unwichtig oder blasphemisch angesehen werden. Manche Ideen und Konzepte, die im ersten Impuls abgeschmettert werden, stellen sich später als welche der kraftvollsten, bedeutungsvollsten und schönsten überhaupt heraus. Das zeigt sich in der Geschichte immer wieder. Solche Ideen sind wichtig, um sich weiterzuentwickeln. Es geht um Leute, die sich vielleicht fühlen, als würden sie nicht dazu gehören, in Wahrheit aber einiges zu sagen haben.

Also geht es nicht zwingend um Personen als Außenseiter, sondern Ideen abseits des Gewöhnlichen?

Ja, es geht hauptsächlich darum, Ideen zum Leben zu erwecken.

"Ich muss unter dem Radar bleiben"

Das Lyric-Konzept des Außenseiters an sich ist ja nun wahrlich kein neues. Was denkst du ganz generell, ist in 2017 wichtig zu sagen?

Puh, ich kann dabei nur für mich selbst sprechen. Wenn ich Lyrics verfasse, passiert das oft aus Selbstreflexion heraus. Es geht viel um den Zugang zu meinem Leben, meinen Umgang mit Substanzmissbrauch und mit Angstzuständen. Auf der anderen Seite gibt es Songs mit politischer Dimension. Einen Song habe ich über die wachsende Alt-Right- und Faschismus-Bewegungen geschrieben. Das lässt sich in der ganzen Welt beobachten – und eben auch hier in Kanada. Es ist befremdlich, aber davor kannst du 2017 einfach deine Augen nicht mehr verschließen. In einem anderen Song beschäftige ich mich mit der Empfindung gegenüber Rassismus in den letzten Jahren, vor allem in den USA. Dann wiederum singe ich über den Vater eines Freundes, der an Parkinson litt. Es geht textlich wirklich sehr breit gefächert zu. Ich spreche über Dinge, die ich relevant finde.

Wie ist denn eigentlich die politische Lage in Kanada? Man hört hierzulande ja hauptsächlich von euren Nachbarn.

Naja, an sich ist es recht entspannt. Aber wir haben natürlich auch unsere Probleme. Nach wie vor existiert große Armut und Indigene werden ignoriert oder ausgeschlossen. Insgesamt ist Kanada aber ein guter Platz zum Leben. Ich liebe es hier. Und ich muss zugeben: Viel der inneren politischen Prozesse bekomme ich nicht mit. Ich bleibe eher für mich und in meinem Umfeld. Allerdings möchte ich Leute wie mich dazu ermutigen, sich verstärkt beim lokalen Geschehen einzumischen. Schaut, dass ihr lokal etwas bewirkt! Wobei es in meinem Fall eine Kehrseite gibt: Ich bin immer noch in Manitoba gemeldet, lebe aber in Ontario, weil ich etwas unter dem Radar bleiben muss. (lacht) Also kann ich in Ontario nicht wählen gehen.

Kommen wir zum Songwriting: Du erwähntest an anderer Stelle, dass es diesmal eine größere Gruppenleistung war als bei den Alben zuvor. Habt ihr viel gejammt oder lief das hauptsächlich über File-Sharing?

Beides. Ich persönlich jamme lieber, aber ein paar Kollegen mögen lieber die Demovariante. Weißt du, wir spielen jetzt schon eine Weile zusammen. Lange Zeit schrieben nur ich und Jeremy (Hiebert, Gitarre; Anm. d. Red.) mit unserem alten Drummer Kyle Profeta. Dann stieß kurz vor "Die Knowing" Stu (Ross, Gitarre; Anm. d. Red.) dazu und steuerte auch einen Song zum Album bei. Aber diesmal war er weitaus stärker involviert und kam mit etwa 20 Demos an, die wir durcharbeiteten. Und natürlich übte das auch gewissen Druck auf mich aus: Wenn der Typ mit 20 Demos ankommt, sollte ich besser auch ein paar gute Ideen in petto haben, sonst landet am Ende gar nichts von mir auf der Platte! Wir pushten uns gegenseitig, bessere Songs zu schreiben. Jeder hatte etwas zu sagen.

Beim Songwriting spielst du auch nach wie vor Gitarre oder? (In den Anfangstagen Comeback Kids spielte Andrew auch live noch Gitarre, Anm. d. Red.)

Ja, sowieso. Es ist auch meistens so, dass wer auch immer den Kern eines Songs liefert, er dann auch jeden anderen 'mikromanagt'. Wenn die Idee von mir stammt, spiele ich das meiste auf der Gitarre ein, entsprechend gilt das gleiche für Stus und Jeremys Ideen. Denn wer den Song schreibt, hat in der Regel eine Vorstellung davon, wie es gespielt werden sollte. Aber wir versuchen natürlich, geschlossen zusammenzuarbeiten und kritisieren uns gegenseitig, bis wir zufrieden sind.

Vermisst du deine Gitarre manchmal auf der Bühne?

Ja schon. Ich liebe es, Gitarre zu spielen. Aber so oder so liebe ich es einfach, in einer Band zu spielen. Im Endeffekt spielt es keine Rolle, ob du mir eine Gitarre oder ein Mikro in die Hand drückst – ich werde trotzdem eine gute Zeit haben!

"Die perfekte Hardcore-Show findet vor 300 Leuten statt"

Ihr steht seit kurzem bei Nuclear Blast unter Vertrag, nachdem ihr zuvor jahrelang bei Victory untergebracht wart. Wie genau kam dieses Arrangement zustande und was erhoffst du dir davon?

Bei Victory haben wir vier Alben aufgenommen – damit war der Vertrag erfüllt und es wurde Zeit, sich nach einem neuen Label umzusehen. Wir sprachen mit mehreren. Marco von Avocado Booking in Deutschland schlug Nuclear Blast vor und stellte uns vor. Deren A&R-Mann Markus war cool und es wirkte, als würden sie uns einfach mehr wollen als die anderen Labels. Es ergab einfach Sinn. Und wir freuen uns ein Label gefunden zu haben, das sich auf globalem Level positioniert. Wir wollen an so vielen Orten wie möglich touren. Nuclear Blast hat Büros in Europa, Nordamerika, Südamerika...

Wie groß sind sie eigentlich in Nordamerika? In Europa sind sie riesig, wie ist das bei euch?

Wahrscheinlich nicht ganz so groß wie in Europa, aber viel mehr geht als Independent-Marke wohl auch nicht. Sie haben Slayer und Hatebreed! Was ich anfügen möchte: Klar spielt es auch 2017 noch eine gewisse Rolle, bei welchem Label du untergebracht bist – im Sinne, wie sie dich pushen. Aber wenn jemand eine Band auschecken möchte – zum Beispiel Comeback Kid – ist es ihm vermutlich egal, ob wir mit Pure Noise, Nuclear Blast oder Victory einen Deal haben. Es wäre dasselbe Album.

Klar. Wobei man durchaus Kommentare liest à la: "Was wollen sie denn mit dem Label? Das ergibt überhaupt keinen Sinn!"

Ach, ich habe eigentlich kein Problem damit, dasselbe Label wie Slayer und Madball zu haben. Klingt doch super! (lacht)

Ich glaube einige sehen Nuclear Blast auch einfach mehr als 'das Metal-Label', während Victory eben den Hardcore-Background hat.

Schon, aber inzwischen ist Victory bloß noch ein Nu Metal-Label. Hardcore-Bands sind keine mehr übrig. Was sagt ihr dazu? (lacht)

Die Metal- und Hardcore-Szenen sind ja eng verwandt, unterscheiden sich aber auch in gewissen Punkten. Wo siehst du Gemeinsamkeiten und Unterschiede?

Metal ist so viel größer als Hardcore! Es gibt eine riesige Szene auf der ganzen Welt. Hardcore ist immer noch eine DIY-Bewegung und spielt sich in wesentlich kleinerem Rahmen ab. Eine perfekte Hardcore-Show ist für mich nach wie vor 300 Leute in einen Raum gepackt, mit Stagedivern und allem drum und dran. Bei einer Metalshow hast du dagegen ein großes Festival vor Augen, wo die Leute fistpumpen. Aber hey: Ich fänds super, in diesen Bereich vorzudringen und neue Hörer zu gewinnen. Letztendlich ist es mir egal, wer zuhört.

Einen Schritt in diese Richtung habt ihr ja gewissermaßen gemacht, indem ihr auf "Outsider" mit einem Typen zusammengearbeitet habt, der gemeinhin als Vertreter der Metalszene gilt, obwohl ihm das selbst vermutlich nicht so gefällt: Devin Townsend.

Ja, er hat 2009 das Sights & Sounds-Album "Monolith" produziert und auch einige Male mit Misery Signal – Stus andere Band – gearbeitet. Daher kennen wir ihn. Er ist ein unglaublicher Produzent und Musiker. Wir waren gerade in Vancouver und ich ahmte bei dem Song "Absolute" Devins Stil nach – du kennst sicher diese kranken Screams. Jeremy schlug dann vor, ich sollte ihn doch einfach mal fragen, ob er Lust hätte, das selbst zu singen. Also schrieb ich ihn an, zeigte ihm den Part und fügte hinzu: "Yo Mann, ich kopiere dich hier total. Willst du das mal richtig und auf deine Weise machen?" Er mochte den Song und schickte seine Ideen zurück mit dem Kommentar: "Nehmt was ihr wollt, ihr braucht nicht alles verwenden." Wir nutzten auch nicht alles – es waren auch einige verrückte opernhafte Sachen dabei. (lacht) Aber letztendlich bastelten wir dann daraus ein Duett zwischen ihm und mir. Das ist super geworden – und auch eher unvorhersehbar. Insgesamt trugen ja drei Gastsänger etwas zu "Outsider" bei und keiner von ihnen ist typischer Hardcore-Vokalist.

Dabei fällt besonders „Moment In Time“ auf.

Mit Matt von Northcote, ja. Ich wollte dafür eine Johnny Cash-Stimme. Vor dem geistigen Auge sollte das Bild von einem Typen in einer Barecke erstehen. Meine Stimme wäre dafür nicht gut geeignet.

Du erwähntest, dass Devin Townsend dich gesanglich beeinflusst...

Total! Ich kopiere ihn ständig.

Gilt das auch fürs Songwriting? Seine Musik ist ja doch eine andere Baustelle, aber ziehst du daraus vielleicht trotzdem etwas?

Naja, nimm zum Beispiel den Song, auf dem Devin singt. Ich hatte dazu einfach diese Devin-Vocals im Kopf, als ich ihn geschrieben habe. Also beeinflusst er mich schon auch in dieser Hinsicht irgendwie. Er ist ja in so vielen unterschiedlichen Bereichen unterwegs. Und ich lasse mich von ganz verschiedenen Stilen beeinflussen. Für "Consumed The Vision" klaute ich bei Oasis. Das hörst du zwar nicht mehr, aber so entstand das Riff. (lacht) Das ist so schön an Musik: Du kriegst immer gewisse Inspiration durch andere.

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