laut.de-Kritik
Indie-Deutschland auf Italienisch.
Review von Hannes HußAls Deutsche*r möchte man ja eigentlich nur in Italien leben. Wo sonst kommt diese Aperol Spritz-Begeisterung meines gesamten Umfeldes her? Oder die ganzen Doppios, die ich den Tag über trinke, bis mein Magen ein Vulkan wird? Eigentlich wollen wir doch fast alle südlich der Alpen leben, auf der Sonnenseite des Gotthards und über Marktplätze flanieren, bis es abends frische Pasta gibt.
Aber weil wir eben in Teutonien leben, müssen wir uns dauerhaft in die Stiefelrepublik träumen, sei das nun mit aufwändig selbstgemachter Pasta, zweihundert Kugeln Eis am Tag, oder eben Musik. Roy Bianco und die Abbrunzati Boys haben diese Italien-Nostalgie der Bundesrepublik ja schon in eine gesamte Karriere umgewandelt, sie dabei aber auch so oft ironisch gebrochen, dass man Ernsthaftigkeit und Süffisanz gar nicht mehr unterscheiden kann.
Francesco Wilking, Ex-Tele-Sänger und jetzt Co-Kopf der Höchsten Eisenbahn geht da deutlich ernsthafter ans Werk. Statt Italo-Schlager im Indie-Pop-Gewand nimmt sich der Halbitaliener mit seiner Crucchi Gang auf "Fellini" schon zum zweiten Mal der Aufgabe an, dem deutschen Pop seine Kanten auszutreiben, indem er ihn ins Italienische entführt. Wie schon beim Erstlingswerk der Crucchi Gang, dem selbstbetitelten 2020er Debütalbum, hat er dafür wieder ein Who's Who der deutschen indie-Szene (und noch ein paar andere Gestalten, aber dazu später mehr) gewonnen, seine auf italienisch übertragenen Versionen ihrer Songs einzusingen. Aus "Im Zweifel Für den Zweifel" wird so "In Dubbio Per Il Dubbio", aus dem "Goldenen Reiter" der "Cavaliere d'Argento".
Der wird zwar leider nicht von Joachim Witt himself gesungen, Wilking liefert als Ersatzsänger aber eine wahrlich beachtliche Leistung ab. Die beschwipste Italo-Pop-Instrumentierung stehen sowohl seiner Stimme als auch dem Song gut zu Gesicht. Sein "Cavaliere" scheint beständig mit dem Auge zu zwinkern, während Witts "Reiter" mehr damit beschäftigt war, jugendliches Ungestüm nach außen zu kehren. Melodisch ändert Wilking gar nichts am Original, er verleiht der staubtrockenen NDW-Nummer mit schmachtenden Chören und Bläsersektionen nur eine unheimliche Schmissigkeit.
Das funktioniert auch bei "Mi Piace" von Jeremias überraschend gut. Wo die Hannoveraner im Original meistens nur bemüht schmierig klingen wie 18-jährige Abiturienten, deren aufgeknöpften Hemden nur den Blick auf unbehaarte Brustkörbe freigeben, so klingt "Mi Piace" leicht verrucht, selbstbewusst und erwachsen. Wilking versteht es gut, sie in ein Italo-Disco-Kleid zu nähen, in dem das Schlagzeug dauerhaft tänzelt, als würde es nur auf das "Eccoci qui" warten, um in der Disco die Hüften zu kreisen. In der Gitarre erinnert der Song sogar kurz an die Italien-Vision von Phoenix auf "Ti Amo", einem Album, das sich ebenso an der romantischen Versionen Italiens als Urlaubsland der Vor-Mauerzeit-Ära abarbeitete.
Eine ganz andere Richtung schlagen natürlich Tocotronic ein. Mit "In Dubbio Per Il Dubbio" huldigen Dirk von Lowtzow und Co. nicht nur dem zuckersüßen Zweifel, sondern im weitesten Sinne auch dem Italo-Western. Denn ihre italienische Version von "Im Zweifel Für den Zweifel" klingt weniger nach dem sphärischen Original, sondern mehr nach Ennio Morricone und Anti-Helden. Immer wieder schneiden mächtige Streicher in den Song hinein, wie Boten eines noch ungeahnten Übels. Die Leichtigkeit wird dieser Version, obwohl sie um einiges geschmeidiger klingt, fast vollständig ausgetrieben.
Insgesamt fehlt es "Fellini" aber doch zu häufig an wirklich interessanten Aussagen. Es mag reizvoll sein, bekannte Lieder wie "Für Das Universum" noch mal als gut gelaunte Italo-Pop-Songs neu zu hören. Aber so wirklich trägt es das Album dann doch nicht. Am deutlichsten wird das in "Lisbeth", also einem von Wilkings eigenen Songs. Dieser wirkt durch die Streicherlastigkeit zu abgehackt, das leichtfüßige Original ist der Neuversionen um Meilen voraus. Antje Schomaker scheitert hingegen leider, stimmlich mit der leicht anzüglichen Version ihres Songs "Verschwendete Zeit" mitzuhalten. So wird aus der Selbstbestimmungshymne ein leider vollends austauschbarer Schmachtfetzen.
Zum Abschluss führt Wilking dann aber doch noch all diese verschiedenen, widersprüchlichen Stimmungen auf "Fellini" zusammen. Mit seinem hochgradig einfühlsamen Cover von Reinhard Meys "Gute Nacht Freunde" schafft er den Spagat aus Melancholie und Zuversicht, sein "Buonanotte Amici" klingt warm und sanft, wie eine lange Umarmung am Ende eines Abends unter guten Freund*innen, wo es dann ganz egal ist, ob der in Bologna oder Lörrach war.
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