laut.de-Kritik
Mehr schamlose Beichte, denn Provokation.
Review von Mathias MöllerWarum Tim Kasher sich mit seinen beiden Bands Cursive und The Good Life – freiwillig oder unfreiwillig – als Wandler zwischen zwei Welten geriert, wird mir auf ewig unverständlich bleiben. Aber um Transparenz muss es in der Kunst ja auch nicht gehen.
Oder, um es mit einem Pfälzer Altkanzler zu sagen: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt." Und das verdient auch auf dem sechsten Studioalbum von Cursive das Prädikat "hörenswert". Leichte Kost bieten Kasher, Maginn, Stevens und Neudrummer Cornbread Compton (der kurz nach VÖ wieder aussteigt) auch auf "Mama, I'm Swollen" nicht, aber das verlangt der geneigte Hörer hier auch sicher nicht.
Denn wenn jemand die Klaviatur der Gefühle gnadenlos durchklimpern kann, dann ist es Tim Kasher. Seit jeher der bärtige alte Bruder im Geiste eines Conor Oberst, muss er sich in Sachen Kreativität und künstlerischer Relevanz keineswegs hinter dem ehemaligen Saddle-Creek-Wunderknaben verstecken.
So oszilliert sich der Opener "In The Now" langsam in den Gehörgang, bevor die sägenden Gitarren und die repetitiven Textfragmente einsetzen. Ein sperriger Eröffnungssong, ganz so, wie man Cursive als Fan mag. Unangepasst, rau, aber doch einfühlsam. Auf eine ganz eigene Art.
Darauf folgt der zarte Vorbote des Albums, "From The Hips" mit seiner großartigen Melodie und treibenden Rhythmus. Niemand versteht es so wie Kasher, gleichzeitig Selbstzweifel vor sich her zu tragen und hingebungsvollen Hedonismus anzudeuten. "I'm going to Pleasure Island, I ain't never going home, Whoa, oh, oh no, The reverend says beware, he swears we're going to hell" - Resultat einer Jugend im prüde-verlogenen Mittleren Westen?
Und so klingen Stücke wie "We're Going To Hell" oder "Mama, I'm Satan" auch eher wie eine schamlose Beichte als eine Provokation. Kasher dreht den Spieß sogar um und erhebt Anklage: "I've been disciplined by religion, by fear, So I can't quite seem to keep my thought pure," lamentiert er in eben "We're Going To Hell".
Das ganze Album ist darüber hinaus sehr interessant instrumentiert und arrangiert, natürlich dürfen wohlplatzierte Bläser ("I Couldn't Love You", "Donkeys") nicht fehlen, diverse Tasten- und Streichinstrumente tauchen hier und da effektvoll eingesetzt ein. Kein Zweifel, das Kollektiv Cursive ist eine technisch und songwriterisch hervorragende Band. Sperrig bleibt "Mama, I'm Swollen" dennoch, manchmal ein bisschen zu sehr.
Noch keine Kommentare