laut.de-Kritik
Zwei verschiedene Paar Schuhe.
Review von Yan TemminghoffÜberwiegend assoziiert man die Dave Matthews Band mit Live-Events. Das Studio-Repertoire reicht bisweilen an die Magie der Konzerte heran, wobei die Qualität zwischen einem großen Wurf wie "Big Whiskey & The Groo Grux King" und einem weiteren Anlass, auf Tour zu gehen ("Come Tomorrow"), stark schwankt. Generell zeigte sich Big Dave auf den vergangenen beiden Studio-Alben zahm, manch einer würde auch den Vorwurf 'zahnlos' anmerken ("Away From The World").
Für die spielfreudige Multikulti-Truppe markiert die Pandemie eine Zäsur. Die ersten Aufnahmen und Sessions für das neue Album datiert auf die Zeit des ersten Lockdowns. Vor der Album-Ankündigung im Januar dieses Jahres hatten sechs Songs mehrere Test-Durchläufe vor Publikum bestanden. Nun steht "Walk Around The Moon" in den Läden und es ist ein schillernd-schönes Album voller Spontaneität geworden.
Fünf ausproduzierten Songs stehen sieben Stücke gegenüber, die fragmentarisch an Jam-Sessions erinnern. Klar, die Frage "Wann ein Song wirklich fertig ist", darf gerne unbeantwortet bleiben. Dennoch muten von den Ideen her beileibe keine schlechten Lieder wie "The Ocean And The Butterfly" oder "After Evening" wie aus dem Ärmel geschüttelt und unfertig an. Bei "After Evening" funktioniert das Zusammenspiel der Rhythmus-Gruppe aus Carter Beauford und Stefan Lessard wie gewohnt exzellent.
Der Bruch nach "Madman's Eyes" bis "The Only Thing" tut dem Hörfluss nicht gut. Ein Erlebnis ist die Kollektion dennoch geworden. Dabei gab es die größten Turbulenzen im Band-Gefüge seit dem Tod von Saxofonist LeRoi Moore. Der wegen Missbrauchsvorwürfen geschasste Geiger Boyd Tinsley hinterlässt eine klangliche Lücke. Die weirden Solo-Einlagen von Tinsley bleiben aus. Die bereits auf den vergangenen Alben platzierte Orchestrierung findet sich auch hier, insbesondere im brillanten Score zur ersten Single "Madman's Eyes".
Dafür agiert die Band mit Buddy Strong in der Tinsley-Nachfolge wieder mit einem Keyboarder, was, wie im exquisiten Solo-Duell in "The Only Thing" mit Gitarrist Tim Reynolds, eine sinnvolle Ergänzung darstellt. Dieser Song lebt von einer brillanten wie brünftigen Brass-Sektion, die Rashawn Ross und Jeff Coffin gewohnt tight aufs Band bringen. Neben dem harten Blech intoniert Coffin im Titeltrack das weiche Holz und bringt mit der Querflöte im instrumentalen Schlussteil die Gesangsmelodie zum strahlen.
"Monsters" besingt den Spuk in den Köpfen. Dave Matthews hat einige spookige Vokalisten zur Untermalung der gespenstischen Szenerie im Gepäck. Die kürzeren Tracks mit ihren Ausflügen in Richtung Weltmusik, Big Band und Singer/Songwriter bilden einen Zyklus für sich und dürften auf der nächsten Rundreise als Steilvorlage für ausgedehnte Band-Erlebnisse dienen. Dass der Titeltrack viel von der The Police-Song Sensation "Walking On The Moon" hat, geschenkt! Dave Matthews agiert mittlerweile auf einem vergleichbaren Level, auch wenn Live und Studio nach wie vor zwei verschiedene Paar Schuhe sind.
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