laut.de-Kritik

Rap mit Bereitschaft zur Schwäche.

Review von

Eine kurze Pauschalisierung: Im Hip Hop gibt es entweder kommerziell erfolgreiche Musik oder Musik mit Message. Die einen liefern Hits, die anderen regen zum Nachdenken an.

Dass Pauschalisierungen dieser Art Quatsch sind, wissen wir seit Grandmaster Flash und den Furious Five, spätestens seit Kendrick Lamar. Und trotzdem gibt es diesen bestimmten Sound, bei dem Backpacker & Realkeeper sofort abschalten, weil sie wissen: Nach dieser Snare KÖNNEN sie sich gar nicht mehr angesprochen fühlen. Den Fehler sollten sie bei Daves Debütalbum nicht begehen.

Beim ersten Hören klingt "Psychodrama" nach kontemporärem, am Zeitgeist orientiertem Grime-Trap-Pop. Hier ein paar brummende Bässe und peitschende Snares, da ein paar Klavierstücke und dort noch ein wenig Pseudo-Dancehall-Flair, oder wie seine Jünger sagen würden: Afrotrap. (Über die Schrägheit dieses Begriffes sollte an anderer Stelle mal ganz dringend diskutiert werden.)

Wer aber genau hinhört, erkennt schon im Opener "Psycho", dass es sich bei "Psychodrama" nicht um ein belangloses Geldverdiener-Album handelt. Das erste Wort hat nämlich: Ein Therapeut. Der begleitet Dave und den Hörer über alle elf Songs hinweg und gibt dem Album seinen roten Faden. "Psychodrama" gleicht einer Art Therapiesitzung. Dave erklärt wo er herkommt, seine Weltanschauung und welche Erlebnisse und traurigen Erkenntnisse dazu geführt haben. Dave erzählt. Und er hat einiges zu sagen.

Nicht nur über sein Heimatviertel "Streatham", in dem Armut und Kriminalität an der Tagesordnung stehen und ein "Environment", das das menschliche Elend versucht mit Augenscheinlichkeiten zu verstecken: "You see our gold chains and our flashy cars / I see a lack of self worth and I see battle scars [...] Where I'm from, everybody wants to make it out, but nobody wants to see somebody make it out."

Sondern auch darüber, was es verdammt nochmal bedeutet, als Schwarzer in einer Gesellschaft zu leben, die von und für Weiße erschaffen wurde. "Black is so confusing, 'cause the culture? They're in love with it / They take our features when they want to have their fun with it / Never seem to help with all the things we know would come with it."

Dave erzählt von seiner zerrütteten Familie, vom Bruder, der sein Vorbild war und in den Knast gewandert ist. Vom anderen Bruder, mit dem er keinen Kontakt mehr hat. Von der Mutter, die verzweifelt versuchte, ihre Familie zu ernähren und die Last nicht tragen konnte. Von seiner Freundin, die ihm mit ihrem "Purple Heart" aus dem Loch, in das er manchmal fällt, heraus hilft.

Und dann gibt es da noch "Lesley". Einen Song, der auf elf Minuten die Geschichte von Lesley und ihrem gewalttätigen Freund Jason wiedergibt, die nicht nur brutal endet, sondern tragischerweise auch alltäglich ist. Dave macht aus "Lesley" einen bewegenden Storyteller, der einen auch nach Abklang des Songs nicht mehr loslässt. "It's a message to a woman with a toxic man / I'm begging you to get support if you're lost or trapped / I understand that I can never understand and I ain't saying that it's easy, but it must be right / Some of your sisters, aunties, mums or wives are fucked aside and they will never touch on why / I'm touched 'cause I've seen a woman that I love though like / Cry ref little tears through a bloodshot eye / This shit's awful, no matter what culture, it ain't normal / Men try and twist it, make it seem like it's your fault."

Seine Bereitschaft zu Schwäche ist es auch, was "Psychodrama" so besonders macht. Dave hat genug davon, den starken, unnahbaren Mann zu spielen. Er will seine Traumata und Erlebnisse verarbeiten, um befreit nach vorne zu blicken. Und das bewältigt er mit einer Liebe zur Sprache und einem Flow, der sein Debüt zu einem spannenden, nachdenklichen und unterhaltenden Album macht. Wer genau hinhört, hört auch: Dave hat seine Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt.

Trackliste

  1. 1. Psycho
  2. 2. Streatham
  3. 3. Black
  4. 4. Purple Heart
  5. 5. Location (Feat. Burna Boy)
  6. 6. Disaster (Feat. J Hus)
  7. 7. Screwface Capital
  8. 8. Environment
  9. 9. Lesley (Feat. Ruelle)
  10. 10. Voices
  11. 11. Drama

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