laut.de-Kritik

Der gefühlvolle Soundtrack einer imaginären 80er-Jahre Sitcom.

Review von

Spätestens seit dem unerwarteten Erfolg seines selbstproduzierten Coming-of-Age Debütalbums "Fuzzybrain" im Jahre 2019 ist der 21-jährige Sloan Struble, besser bekannt unter seinem Musikeralias Dayglow, nicht mehr aus der Indie-Welt wegzudenken. Damals schon für die Reife seiner Musik gelobt, knüpft er auf seinem aktuellen Projekt "Harmony House" mit neu gewonnener Lebenserfahrung an die Gefühlslandschaften des Vorgängers an.

Musikalisch hat sich jedoch einiges verändert. Die ersten Töne der Platte entstanden mit dem Konzept, den Soundtrack für eine imaginäre 80er-Jahre Sitcom zu schreiben. Inspiriert von großen Vorbildern wie Paul Simon, Bruce Hornsby, Whitney Houston oder den Carpenters vertieft sich Struble zunehmend in die Klangwelten des 80er-Jahre-Pops und erfindet sich so völlig neu. Erneut hat Struble das gesamte Album komplett in Eigenregie geschrieben, produziert und gemischt, um so möglichst viel kreative Freiheit zu genießen. Entstanden ist dabei eine charmante und introspektive Sicht auf die alltäglichen Herausforderungen des Übergangs vom Jugendalter in das Erwachsenenleben.

Mit dem an David Byrne angelehnten "Something" setzt die Platte auch gleich einen fulminanten Startpunkt. Der kurze Opener, anfangs noch ein geradliniger Pop-Song, entwickelt sich in seiner kurzen Laufzeit von unter zwei Minuten schnell zu einer massiven, chaotischen und undurchdringbaren Wall of Sound. Dabei hört man am Ende auch bereits zum ersten Mal eine verspielte Melodie, die sich später in fast jedem Song der Platte wiederfindet. Mal in einer anderen Tonart, mal mit einem anderen Instrument gespielt, dient sie als Stellvertreter für die kleinen unscheinbaren Dinge im Leben, die selbst in Zeiten großer Veränderung immer verlässlich zur Seite stehen.

"Medicine" eignet sich danach mit seiner groovigen und verzerrten Bassline, dem eingängigen Disco-Drumbeat und vereinzelten psychedelischen Soundeffekten eine ordentliche Palette aus Tame Impalas Musikkatalog an. Struble verpasst dem Track allerdings wieder seine ganz eigene Dayglow-Note und lässt ihn wie den verspielten und sorglosen kleinen Bruder von Kevin Parkers "The Less I Know The Better" wirken.

Auch in der Folge überzeugt das Album mit seiner größten Stärke, die schon in den ersten Tracks zum Vorschein kommt: Die Geschichten der Songs sind leicht nachvollziehbar und laden das Publikum offenherzig dazu ein, persönliche Bedeutungen und Bereicherungen für das eigene Leben darin zu entdecken und mitzunehmen.

"Close To You", ursprünglich als Duett vorgesehen, wurde zu einer Solo-Nummer, auf der Struble mit seiner normalen und seiner Falsetto-Stimme beide Parts übernimmt. Dabei untermalen lebhafte und zum Tanzen auffordernde Synths die Geschichte eines verliebten, aber schüchternen Jugendlichen. Von einem Saxophon und treibenden Synthakkorden angeführt, greift "December" mit viel Empathie und Einfühlsamkeitsvermögen das komplizierte Thema saisonaler Depressionen auf: "So my friend, you just remember that every year has its December / There's gonna be days when you don't feel like you / But that's what seasons do, they change." Inspiration für die passenden Worte stammte aus einem kleinen Gedichtsheft, das Struble in der Wohnung seiner Eltern fand.

Dann ist da aber auch noch "Woah Man". Die folkig angehauchte Akustik-Ballade ist eine sanfte Erinnerung daran, dass es manchmal nur vorwärts geht, wenn man die Kontrolle abgibt und sich entscheidet, die Dinge einfach passieren zu lassen. Auf dem von Swing-Rhythmen und springendem E-Piano getragenen Track "Moving Out" erzählt Struble wiederum von seiner Erfahrung, dass erfüllte Träume nicht an der Haustür anklopfen, sondern in der Welt gefunden werden müssen, auch wenn dieser Schritt gerade für introvertierte Personen nicht immer leicht ist.

Auf den ersten Blick alles banale Tatsachen, dennoch sind diese vermeintlichen Banalitäten bei genauerer Überlegungen manchmal gar nicht so leicht in Realität umzusetzen.

In Bezug auf die musikalische Qualität stellt "Crying On The Dancefloor" das Highlight des Albums dar und zeigt, wie sehr Struble in den vergangenen Jahren nicht nur als Liedermacher, sondern auch als Produzent gereift ist. Massive Keyboard-Parts, nuancierte E-Gitarren, leidenschaftliche Vocals und ein mitreißendes Saxophonsolo sorgen für ein rundum stimmiges Gesamtpaket.

Den krönenden Abschluss bildet das lückenlos ineinander übergehende Paar aus "Strangers" und "Like Ivy". Nach der atmosphärischen Piano-Ballade "Strangers", die sich in Elton-John-Manier kontinuierlich bis zum großen Finale steigert, lässt "Like Ivy" die Reise mit Gedanken an die Vergänglichkeit der Zeit gefühlvoll und ohne großes Trara ausklingen.

Mit "Harmony House" hat Struble eine Songkollektion aus Nostalgie und Lebensfreude kreiert, die sich in ihrer Gesamtheit wie eine warme, feste und herzliche Umarmung anfühlt. Ohne naiv, banal oder repetitiv zu klingen, verkörpern die Tracks alltägliche Gefühle, die jeder in ähnlichen Formen schon einmal gespürt hat. Selbst wenn das Album an manchen Stellen zu Tränen rührt, zaubert es gleichzeitig auch wieder ein Lächeln ins Gesicht, und man kommt nicht um den Gedanken herum, dass alles schon irgendwie gutgehen wird, egal was die Zukunft noch bereithalten mag. Genau diese Geborgenheit verwandelt "Harmony House" letztendlich in einen zeitlosen Safe-Space, zu dem man sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten immer wieder zurückkehren kann, ohne enttäuscht zu werden.

Trackliste

  1. 1. Something
  2. 2. Medicine
  3. 3. Balcony
  4. 4. December
  5. 5. Close To You
  6. 6. Crying On The Dancefloor
  7. 7. Into Blue
  8. 8. Moving Out
  9. 9. Woah Man
  10. 10. Strangers
  11. 11. Like Ivy

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1 Kommentar

  • Vor 3 Jahren

    Fast schon eine kleine Hommage, die Du da geschrieben hast! Bin durch einen Freund auf "Close to you" gestoßen. Seitdem ist dieses Lied fester Bestandteil meiner Playlist geworden. Ab und zu habe ich dann auch mal danach geschaut, ob der Junge endlich mal sein Debütalbum rausgebracht hat und siehe da, ich habe es trotz allem irgendwie verpasst. Umso mehr freue ich mich, dass ich es jetzt endlich entdeckt habe. Mir fielen direkt Phoenix und Keane als Referenzen ein. Klingt jedenfalls abolut vielversprechend und wird mit Sicherheit in meinen Alben Top Ten 2021 landen.