laut.de-Kritik

Unterwasser-Sounds mit süchtig machenden Melodien.

Review von

Vibraphon, Zither, Mellotron und Orgel tauchen selten als Instrumente in Pop-Gefilden auf. Viele dieser Instrument-Tonalitäten übereinander zu legen, ergibt einen rauschhaften Sound und eine verwaschene Klangfarbe, als würde man sanft in die Tiefen eines Gewässers eintauchen und nur von Korallenriffs und bunten Fischen umgeben durch eine abgeschiedene Welt gleiten.

Diese Gewässer liegen bei Death And Vanilla in der Ostsee vor der Stadt Malmö. An der Küste von Schwedens südlichster Provinz formt dieses Trio Sound-Abmischungen von elegischer Verträumtheit. Der Albumtitel fragt "Are You A Dreamer?" Diese Frage beantwortet sich für die sirenenhaft intonierende Sängerin Marleen Nilsson und ihre beiden Mitstreiter klar mit 'Ja'.

Die Songs von Death And Vanilla lassen sich Zeit: In der Regel beginnen sie mit einem gitarrenbetonten Intro und breiten die Melodie des jeweiligen Songs so lange aus, bis sie dem Hörer eingegangen ist. Moog-Synthesizer unterlegen die Harmonien vorsichtig. Danach setzen bei dieser Band ohne Schlagzeuger die übrigen Instrumente und der Gesang ein.

Marleen, die Sängerin, hat die Band gegründet und übernimmt bis heute alle Vocals selbst. Nicht immer lassen sich alle Texte klar verstehen, obwohl die Schwedin auf Englisch singt. Dafür drängen die Orgel und die von Verstärkern bekräftigten Tasteninstrumente sie zu weit in den Hintergrund. Death And Vanilla ist es auch wichtig, ein psychedelisches, ungefähres Klangbild zu mischen. So haben sie eines ihrer früheren Alben mit einem einzigen Mikrofon eingespielt und Erfahrung damit, seltsam eigenwilligen Raumklang aufzubauen. Die Tonspuren der einzelnen Zutaten lassen sich fast nicht heraushören, alles wird eins.

Die Einmaligkeit der Platte gewinnt das Trio vor allem durch die Kreuzung aus verwaschen-verträumt und kantig-hart. Diese Kombination kennt man eventuell von Bush-Songs aus den 90er-Jahren ("Letting The Cables Sleep", "Swallowed"). In der heutigen Musikszene stehen die skandinavischen Dream-Popper damit relativ alleine da. Das ausgeglichene Timbre in Marleens Stimme, absolute Sicherheit für rhythmische Breaks und perfektes Auspendeln zwischen Laut und Leise erheben dieses Album zu einer vorbildlichen Produktion. Doch nicht nur das Handwerk der Band macht sich unangreifbar – die Kompositionen erwecken bereits beim allerersten Hören großes Suchtpotential.

In "Are You A Dreamer?" kann man sich auf gesamter Albumlänge völlig verlieren. Wenn die CD im Moog-Loop-Strudel von "Wallpaper Pattern" zum Ende hin mit einem ausgedehnten Outro entschwindet, wird spürbar: Das war eine Reise durch Experimental-Gefilde, aber eine voller Leichtigkeit. Wo ProgRock-Gruppen 'Länge' per se zum Qualitätsmerkmal machen, nehmen Death And Vanilla lieber vorher schon die Kurve und lochen die Melodieführung ein, auf dass sie mitten im zentralen Nervensystem des Hörers landet. Dort erzeugt sie tiefes Wohlbefinden.

Es ist schade, dass diese Beschallung nach 40 Minuten abbricht, verfügt die Scheibe doch über hohen Nutzwert: Sie hilft abzuschalten. Sie setzt immer wieder neue Impulse. Auch entwickelt sie sich rasch zum angenehmen Begleiter, selbst wenn man gerade keine Musik hören möchte, aber einfach den Alltagslärm von Nachbarn oder Straßenverkehr übertönen will. Alle Kompositionen verlaufen 'unjazzig' und geradlinig, geradezu poppig.

Ohne zu stören Kunst und Avantgarde hinzubekommen? Dieser Spagat gelingt gar nicht so oft, doch schon der Bandname signalisiert ungewöhnliche Verbindungen: Wann nennt man den Tod und die Vanille sonst in einem Atemzug? Als Anspieltipp sei "Mercier" ans Herz gelegt: 35 Sekunden Moog, dann 35 Sekunden düster surrende Gitarrenriffs, denen der Ausbruch verwehrt bleibt, und erste Rückkopplungs-Effekte. Der Gesang übernimmt dann, das Klanggewand gewinnt an Fülle. Die Unterwasser-Reise nimmt Gestalt an. Der Text erzählt etwas davon die eigene Seele zu retten, und die letzte Minute besteht aus einem Sound-Spektakel diverser Sample-Geräusche und Instrument-Farbtupfer aus dem eingangs genannten Repertoire, während die Gitarre stoisch bei ihrer Dauer-Düsternis bleibt.

"The Hum" bezaubert mit einer Ambient-Einleitung von reduzierter Lautstärke, gemessen am Wummern des gesamten Albums. Der Text führt durch den Kosmos zwischen Mond und Sternen, Sonne und Erde, beschreibt "disappearing endlessly", für immer zu verschwinden. Diese Poesie und Musik zeichnen sich durch Nordlichter-Schwermut aus. Darin überraschen Death And Vanilla als schwedischer Indie-Act nicht.

Doch mit ihrer Präsenz verblüffen sie. Dass dieses traumverhangene Gebrodel nie einlullt und abgestanden wirkt, sondern immer frisch, das bringt diese Musik auf eine im Dream-Pop selten erklommene emotionale Ebene. Hört man eine Zeitlang zu, möchte man Marleen sofort treffen und ihren Lyrics im persönlichen Gespräch bei einer Tasse Tee direkt und ungefiltert lauschen, ohne Instrumente.

"Are You A Dreamer?" punktet als seriöse Platte ohne die üblichen Griffe in die musikalische Zitatkiste. Dieses Album zeigt trotz seines gleitenden Sounds klare rhythmische Konturen und Rock-behaftete Momente. Träumen heißt hier im wachen Zustand tagzuträumen, statt in den Schlaf gewiegt zu werden. So traurig der grundlegende Tenor der Platte wirkt, die süßen Harmonien sagen immer: "Du bist nicht allein, wir sind bei dir."

Trackliste

  1. 1. A Flaw In The Iris
  2. 2. Let's Never Leave Here
  3. 3. Mercier
  4. 4. Eye Bath
  5. 5. The Hum
  6. 6. Nothing Is Real
  7. 7. Vespertine
  8. 8. Wallpaper Pattern

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