laut.de-Kritik
Die Band aus Weimar knüpft an alte Stärken an.
Review von Matthias BossallerMit ihrem letztjährigen Album "The Divine Horseman" ließen Die Apokalyptischen Reiter einen Teil ihrer Anhängerschaft irritiert zurück. Zu experimentell und improvisiert geriet dieses Doppelalbum, das mit dem bisherigen musikalischen Schaffen der Band aus Weimar wenig gemein hatte. Auf ihrem neuen Studioalbum "Wilde Kinder" knüpfen die Reiter an alte Klangbilder an und bleiben sich als unverwechselbarer Act treu, der sich mit seiner Mischung aus extremem Metal, folkloristischen und symphonischen Elementen sowie einem Gespür für eingängige Mitsing-Melodien nicht in eine Schublade stecken lässt.
Schon immer herrschten bei dem Quartett aus Thüringen musikalische Anarchie, kaum Regeln und der freie Fluss von Kreativität. Die Reiter zelebrieren das Wilde, den Drang nach Freiheit und der unverfälschten Kraft von innen. In einer Zeit, in der diese Bereiche gefährdet sind, erzählen die Songs auf "Wilde Kinder" von zutiefst menschlichen Eigenschaften und Bedürfnissen. Trotz wenig erbaulicher Zukunftsaussichten verbreitet die Band eine positive Botschaft. Zeilen wie "Nur frohen Mutes gedeihet Gutes", oder "hab Mut, alle ist gut" sowie "... ich heile, weil ich vergebe" vermitteln Zuversicht.
Das aktuelle, mittlerweile zwölfte Studioalbum der Apokalyptischen Reiter entstand über einen Zeitraum von drei Jahren, was natürlich der Corona-Pandemie geschuldet ist. "Dieses Album war ein Kampf. Gegen Bequemlichkeit. Gegen Gleichgültigkeit. Gegen voranschreitenden Wahnsinn. Gegen uns selbst. Wir haben ihn gewonnen", teilen die Reiter in einem Statement mit.
An ein Meisterwerk wie "All you need is love" von 2000 reicht der vorliegende Langdreher zwar nicht heran. Die Scheibe überzeugt dennoch über weite Strecken. Die Songs sind heavy und melodisch zugleich, eingängig, mitsingtauglich und dennoch mit Schmiss. Stilelemente des Death- und Black-Metal mischt die Band mit Neuer-Deutscher-Härte und Melodie. Parallelen zu Rammstein und In Extremo liegen schon allein dank dem rollenden R von Frontmann Fuchs auf der Hand.
Der stark an Till Lindemann angelehnte Gesangsstil stört bei Songs wie "Volle Kraft" und "Euer Gott ist der Tod". Letztgenannter startet mit einer blackmetalmäßigen Raserei, der musikalische Fluss wird aber von zu vielen Tempowechseln und Einschüben gestört. Zudem übernimmt plötzlich die frühere Deadlock-Sängerin Sabine Scherer das Mikro. Der Einstieg mit "Von Freiheit will ich singen" gelingt dagegen mit seinem treibenden Melo-Death und dem hymnischen Refrain ausgesprochen gut. "Volle Kraft" gefällt bis auf die erwähnten Rammstein-Reminiszenzen mit seiner Mischung aus drückenden Riffs und Epic samt seinem plakativen Refrain, der wunderbar zum Mitsingen animiert. Auf "Alles ist gut" und dem Mitschunkler "Leinen Los" drosseln die Reiter das Tempo, rocken aber immer noch amtlich.
Das Highlight der Platte ist der Titeltrack. "Wilde Kinder" startet ultra heavy und fett durch, besticht mit seiner Eingängigkeit und drosselt an den richtigen Stellen das Tempo. Live dürfte der Song den Moshpit zum Bersten bringen. Der heimliche Hit des Albums ist "Der Eisenhans". Die lyrische Vorlage stammt vom gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm und erklärt uns, wie das Kind zum Manne wird. Ein stampfender Rhythmus treibt das Stück an, Sänger Fuchs wechselt zwischen Growls, Lindemann-Duktus und gemäßigtem Gesang. Sogar ein kleines Synthesizer-Solo hat sich eingeschlichen – klasse.
"Blau" mit Chris Harms von Lord Of The Lost als Gastsänger ist eine Ode an den Müßiggang und geht als Bruder von In Extremos "Sternhagelvoll" durch. Prost! Den Abschluss bildet "Ich bin ein Mensch", das teilweise leider wieder zu sehr Herrn Lindemann kopiert. Naja, Rammstein-Fans werden sich freuen.
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