laut.de-Kritik

Engler und Co. Kompromisslos gegen jegliche Hörgewohnheit.

Review von

In der international Maßstäbe setzenden Elektroschule des Düsseldorfer Dreigestirns Kraftwerk - DAF - Krupps haben letztere sicherlich nicht das spektakulärste Image. Es gibt hier weder die konsequent-exzessive Mystifizierung der einen noch das Böse-Buben-Spiel mit politischen Symbolen der anderen. Das mindert den musikalischen Einfluss der Krupps jedoch keinen Deut. Gleich mehrfach stehen sie als Taufpaten für verschiedene Genres parat. Ohne sie gäbe es kein EBM, keinen Industrial-Rock und die Gesamtentwicklung der elektronischen Musik wäre heute eine ärmere. Mit ihrer grandiosen "Stahlwerksinfonie" liefern sie im Frühjahr 1981 einen Urknall, der stilistische Grenzen nicht überschreitet, sondern komplett atomisiert.

Mastermind Jürgen Engler, der bereits mit Male die dienstälteste deutsche Punkband gründete, war bereits Ende der 70er auf der Suche nach neuen künstlerischen Herausforderungen. Der Drang , statt des auf die Dauer eintönigen Drei-Akkord-Geschrammels etwas Übermächtiges und gänzlich Andersartiges zu erschaffen, teilt er mit seinen Krupps-Mitstreitern Bernward Malaka und Ralf Dörper. Während Male-Mitgründer Malaka die Krupps bereits 1982 verlässt und die Musik weitgehend an den Nagel hängt, gründet Dörper nur ein Jahr nach der "Stahlwerksinfonie" die weltweit erfolgreichen Propaganda ("Dr Mabuse", "P-Machinery"), mit denen er anspruchsvollen Pop zelebriert.

Doch nichts sollte je wieder so konsequent kompromisslos und gegen den Strich jeglicher Hörgewohnheit gebürstet sein, wie dieser infernalische Erstling, der insgesamt noch nicht einmal auf 30 Minuten Spielzeit kommt. Neben den üblichen Standardinstrumenten Gitarre/Bass/Schlagzeug kommen unter anderem mehrere Drillbohrer zum Einsatz. Aber das reicht ihnen Längst noch nicht. Inspiriert vom lauten Alltag der Stahlarbeiter und ruhrpottscher Malocher-Tristesse sollte es nicht nur Drums und Bass für den Rhythmus geben, sondern wildes, höllisches Gehämmer.

Hierfür erfand Engler ein neues Instrument, das sogenannte Stahlofon: "Das ganze sollte auch auf Tour funktionieren. Wir wollten ja zusammen mit den Freunden von DAF unterwegs sein. Es musste also mobil werden. Im Fernsehen sah ich damals einen alten Jazzer mit Vibrafon. Also habe ich das Prinzip umgesetzt und Metallteile auf ein Gestell gebastelt."

Dazu schmirgelt sich die Gitarre schroff um sich beißend durch das rhythmische Stahlbad. Bass und Schlagzeug lehnen sich an den Motorik-Beat des Krautrock an und verhalten sich zum Rest der Instrumente wie die Stange zum Poledancer. Einen klassischen Songaufbau oder Ansätze von Melodien gibt es nicht. "Free Spirit oder fuck you!" ruft dieser monströse Monolith dem Hörer von A bis Z entgegen.

Die Kirsche auf der Torte bildet das wie eine gequälte Kreatur schreiende Saxophon von Eva Gössling. Es klingt als spränge einem ein Skalpell ins Gesicht. Ein bisschen Free Jazz Marke Ornette Coleman mischt sich in ihrem Spiel mit dem noisig-dilettantischen Enthusiasmus des Punkgeistes. "Ihr Spiel war damals vielleicht nicht besonders virtuos. Aber Free Jazz konnte sie und hat großartig zum Lärm beigetragen."

Wer sich von diesem spröden Cocktail ein wenig an Lou Reeds "Metal Machine Music" erinnert fühlt, irrt nicht. "Dieses über vier LP-Seiten lange Noisewerk war extrem prägend für Bernward und mich; ebenso Pere Ubu. Aber wir wollten mehr die Essenz herausarbeiten als Pere Ubu. Was bleibt übrig, wenn man dem ganzen Punkding die Gitarren und alles nimmt? Metall auf Metall!"

Bandkumpel Peter Hain, seines Zeichens Frontmann und Vordenker der Fehlfarben, produziert die LP gemeinsam mit den Krupps. Die Aufnahmen fanden im Can-Studio statt. Holger Czukay zeigt sich begeistert vom Konzept und ist während der Sessions des Öfteren zugegen. Gern steuert Hein Vocals bei, die auf dem zweiten Teil "Stahlwerksinfonie B" zu hören sind. Der komplette Stimmeinsatz lief spontan, ohne Probe und komplett improvisiert. "Das Studio von Can war ca. 300-400 Quadratmeter groß. In jeder Ecke waren unsere Stahlhaufen aufgebaut. Von dort haben wir uns gegenseitig irgendwelche Sachen zugeschrien, meist Arbeitskommandos. Hinterher dann alles schön verfremdet mit Hall, Delay und so 'nem Zeug."

Während die deutsche Musik- und Medienlandschaft sich mit dem eindrucksvollen Klanggemälde einigermaßen überfordert zeigt, steigen Respekt und Popularität im Ausland rasant an. "In englischen Musikzeitschriften waren wir damit LP der Woche. Wir hatten im Ausland sofort ein Standbein. Eigentlich waren wir überall besser angesehen als in Deutschland." Sogar Fernost zeigt sich beeindruckt. Gleich beim ersten Konzert filmt ein japanisches Kamerateam den Gig und bringt die gesamte Aufnahme als Flexidisc im größten Rockmagazin des Landes als Beilage.

Auch zahllose Kollegen von der Ikonenfront lassen sich gern von diesem neuartigen Zeug inspirieren. So erwähnen Depeche Mode im NME, dass die "Stahlwerksinfonie" ihre Entwicklung deutlich beeinflusste und Platten wie "Some Great Reward" ohne das Verinnerlichen der Krupps nie entstanden wären. Der wohl größte Ritterschlag kommt indes von Musikgenie Peter Gabriel, der 1982 in der deutschen Rockpresse erwähnt, dass er die "Stahlwerksinfonie" sehr schätze und einen gewissen Einfluss auf sein damaliges Album "Security" ("Shock The Monkey") nicht ausschließen könne.

Eine weitere Besonderheit ist der vereinnahmende und interaktive Charakter bei den frühen Aufführungen. Zusätzlich zum Stahlofon schleppt Engler Koffer voller Metallrohre, Stahlteile sowie allerlei weiteres Gerödel auf die Bühne und kippt das ganze Zeug vor die Nase des Publikums. Schlagartig avancieren die eben noch unbeteiligten Zuschauer zum temporären Bandmitglied. Sie reichen den Kram nach hinten durch und verschmelzen als improvisierte Percussion zum wichtigen Teil der künstlerischen Inszenierung.

So erschufen Die Krupps mit ihrer revolutionären "Stahlwerksinfonie" ein historisch bedeutsames Werk, das als Samenkorn für eine breit gefächerte musikalische Saat dient und bis heute nichts von seiner zeitlosen Wucht eingebüßt hat.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Stahlwerksinfonie A
  2. 2. Stahlwerksinfonie B

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5 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Haben die englisch gesungen oder waren die nur wegen des Sounds angesagt? (jetzt nicht mit Rammstein kommen!)

    • Vor 10 Jahren

      Damals ... na ja ... "sangen" die Krupps noch deutsch. Die englischen Texte kamen erst zwei Alben später auf "Entering The Arena" zum Tragen.
      Gruß
      Skywise

  • Vor 10 Jahren

    mag sein, dass sich dadurch jemand angestachelt gefühlt hat, auf ne blechbüchse zu düddeln, ich finds unhörbarer dadaismus. "musik" wär da noch zu hoch gegriffen. einmal gehört. danke, das wars.

  • Vor 10 Jahren

    :D :D
    verstehe....das scheint ja wohl nicht so ganz deins zu sein. aber sehr schön, dass wir mal den offensichtlichen beweis erbringen können, dass laut.de nicht eine meinung ist, sondern aus ganz vielen ansichten und wahrnehmungen besteht.

  • Vor 10 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 10 Jahren

      Ich sehe das ähnlich. Das Werk hat die Ästhetik einer Planierraupe und zieht seinen Status aus dem, was später auf dem Boden errichtet wurde. Die Momente, in denen ich spontan daran denke, so etwas wie "The Second Annual Report" aufzulegen, kann auch noch ein Landminenopfer an den Zehen abzählen. Damals war das Avantgarde, weil es nahezu undenkbar und eine Provokation war, diesen "trivialen" Klangwelten Bedeutung einzuräumen, aber ohne den Faktor bleibt heute strukturell und musikalisch unterspezifiziertes Dada übrig.

  • Vor 10 Jahren

    Ich sehe das ähnlich. Das Werk hat die Ästhetik einer Planierraupe und zieht seinen Status aus dem, was später auf dem Boden errichtet wurde. Die Momente, in denen ich spontan daran denke, so etwas wie "The Second Annual Report" aufzulegen, kann auch noch ein Landminenopfer an den Zehen abzählen. Damals war das Avantgarde, weil es nahezu undenkbar und eine Provokation war, diesen "trivialen" Klangwelten Bedeutung einzuräumen, aber ohne den Faktor bleibt heute strukturell und musikalisch unterspezifiziertes Dada übrig.