laut.de-Kritik
Der Ausflug unter die Discokugel ist beendet.
Review von Sven KabelitzIm Club gehen die Lichter an. Ein letztes Grüppchen glückseliger Menschen torkelt zu den Klängen von "Neblige Lichter" hinaus in die regnerische Nacht. Der DJ packt seine Plattenkoffer und der Veranstalter beginnt, den Boden zu fegen. Die Sterne haben ihren "24/7"-Ausflug unter die Discokugel beendet.
Stattdessen klingt die immer noch aus drei Bandmitgliedern bestehende Truppe auf "Flucht In Die Flucht" wieder wie früher, nur irgendwie doch ganz anders. Wenzels Bass brummt und funkt, Leichs Schlagzeug scheppert kraftvoll und Spilker nörgelt aufgebracht über das Böse auf der Welt. Zusammen mit Produzent Olaf O.P.A.L. bauen sie eine psychedelische Wall-Of-Sound auf und zeigen sich so vielseitig wie lange nicht mehr.
Dabei gerät Album Nummer zehn zu einem Treffen der Generationen. Während im Hintergrund Zucker, Der Bürgermeister Der Nacht und Schnipo Schranke trällern, steht Frank Spilker im Highlight "Ihr Wollt Mich Töten" Seite an Seite mit Alexander Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten. Eine einnehmende Kombination, ein schleppender Western, der bockbeinig Gegenposition bezieht. "Ihr wollt mich töten? / Legt jetzt los, macht keine Fehler / Zögert nicht und handelt rasch / Sonst bin ich schneller."
Der Einstieg in die "Flucht In Die Flucht"-Stratosphäre verläuft silbern und grell. Das schrille Arrangement von "Wo Soll Ich Hin Gehen" treibt die Nerven bis an ihre Grenzen. In der resoluten Diskussion darunter grollen Die Sterne als wäre die Zeit im Jahr 1997 stehen geblieben. "Wo kann ich hingehen, um ich zu sein? / Ist es unmöglich, sich zu befreien? / Wann hört das Warten auf? / Wo fängt der Anfang an? / Wie lange dauert es noch? Wann?" Letztendlich bricht der Song in der Mitte entzwei und folgt damit dem Weg von "Risikobiographie" und "Fickt das System".
Nein, das Weltall ist nicht mehr zu weit, Die Sterne befinden sich heuer, ihrer Natur entsprechend, mittendrin. Zu Beginn treiben die Hamburger so langsam wie noch nie durch dunkelbunte Welten. "Drei Akkorde" erinnert in Aufbau, Dynamik und Akkordfolge an einen krummbeinigen Alienbruder von "Wenn Dir St. Pauli Auf Den Geist Fällt". Erst mit dem auf Krawall gebürsteten "Menschenverachtendverliebt", dem lärmenden "Miese Kleine Winterstadt" und "Hirnfick" nimmt "Flucht In Die Flucht" deutlich an Fahrt auf. "An alles Schöne muss es immer wieder seine schmutzigen Hände legen."
"Die Mehrheit will das so." "Innenstadt Illusionen" falzt leger zurückhaltend vor sich hin, während der Hintergrundchor an Rheingolds "Dreiklangsdimensionen" gemahnt. "Bezahlbare Wohnungungen in den gängigen Vierteln gesucht." Ja, nee, is' klar! Spilker hängt Luftschlösser und Gehirngespinste der Großstädter lose aneinander und verdeutlicht so geschickt, wie fest sich der Würgegriff um den Hals der frommen Wünsche bereits geschlossen hat. "Was für eine Immobilienblase?"
Das mitreißende "Mein Sonnenschirm Umspannt Die Welt", das noch einmal den tanzenden Geist von "Posen" und "Von Allen Gedanken Schätze Ich Doch Am Meisten Die Interessanten" herauf beschwört, zeigt, wie einfach es sich Die Sterne hätten machen können. Selbst in bequemen Ohrensesseln herumlümmelnd könnten sie die Jugend noch einmal so richtig schwofen lassen. Stattdessen legen sie mit "Flucht In Die Flucht" einen eckigen, kantigen und sperrigen Longplayer vor, der seine Zeit braucht, um sich zu entfalten. "Es kracht und es kracht / Während es wächst / Und in seiner Umgebung / Nichts unberührt lässt." Die Sterne bleiben spannend.
1 Kommentar
Das wenige was ich bisher gehört habe klingt nach POSEN. Freut mich!