laut.de-Kritik
Indie-Pop gegen das Ende der Ideologie.
Review von Hannes HußWas machen denn Die Sterne anno 2022? "Die Sterne haben ein Lied zu singen / Lieder, die dich dazu bringen / Huf und Arsch und Hirn zu schwingen / So, wie Sterne eben klingen." Klar, Die Sterne klingen nicht mehr so charmant verstolpert wie in den 90ern. "Hallo Euphoria", das inzwischen dreizehnte Album von Hamburgs groovigster Akademikerband, klingt mehr nach den professionalisierten Sternen der 00er Jahre, als "Räuber & Gedärm" oder "Das Weltall Ist Zu Weit" die Stilblüten des Sterne-Stils in leicht verdauliche Indie-Pop-Songs verpackten, die mal mehr Richtung Funk, mal mehr Richtung Rock schielten, aber weit entfernt waren von Experimenten a lá "Frank Orgel".
Man kommt bei "Hallo Euphoria" auch leider nicht drum herum, über seine Produktionsbedingungen zu sprechen. Nach Marx entscheiden sich in den Produktionsweisen einer Gesellschaft ihre politischen und kulturellen Erzählungen. Warum also nicht auch bei den Sternen? Hier gilt seit dem 2020er Album "Die Sterne" das Prinzip "Spilker Immer Mittendrin". Denn Frank Spilker, Zwei-Meter-Mann, Gitarrist, Sänger, Texter, ist das letzte Gründungsmitglied und der klare Kopf der Band. Für die neue Platte hat er sich Philipp Janzen und Phillip Tielsch (beide Von Spar und Urlaub in Polen), Dyan Valdés (Mexican Radio, The Blood Arm) und Max Knoth, der auch schon bei der Frank Spilker-Gruppe dabei war, dazu geholt. Alles etablierte Namen in der deutschen Indie-Szene, aber keine Erobiques.
Deshalb eben "Spilker Immer Mittendrin". "Hallo Euphoria" ist das unverwechselbare Produkt einer einzelnen Vision, also der Vision von Frank Spilker, die Welt abzubilden, wie sie ist. So sagt er es in unzähligen Interviews zur Albumveröffentlichung. Immer dieser Anspruch, die Welt nicht zu kritisieren, sondern zu beschreiben. Das kann man ihm gerne abkaufen, aber Beobachtung und Kritik des Spätkapitalismus hängen zu sehr zusammen, als dass man sie so einfach trennen könnte. Am deutlichsten wird das in der wunderbaren Bommer-setzt-sich-für-Jugendkultur-ein-Hymne "Die Kinder Brauchen Platz". Angemessen abgehangen, runtergerockt kommt die träg-angefunkte Gitarre daher, zu der Spilker und Band ihre Forderungen nach mehr Freiräumen für junge Menschen vortragen.
Das klingt so wunderbar hüftsteif wie das "Sexualität" von Dirk von Lowtzow anno 2015. Spilker setzt sich mit Überzeugung für das Freiheitliche, Nicht-Optimierte ein, das der Neoliberalismus wegrationalisiert. "Müssen irgendwo unser Soundsystem checken / Wir müssen irgendwo unser Haschisch verticken" klingt ziemlich genau nach Rote-Flora-Konzerten 1992, DIY-Spirit und einem ernstgemeinten "Ich mach was aus mir". Nicht im Sinne von "Ich werde mit irgendeiner halbseidenen Krypto-Währung zum Milliardär, ignoriere jegliche systemischen Klassenzusammenhänge und erzähl den Leuten auf Instagram, wie sie es mithilfe meines Trainingsprogramms auch schaffen können." Sondern im Sinne von Selbstverwirklichung, künstlerischem Ausprobieren, Entwickeln neuer Ausdrucksformen.
Jetzt sind die Buzzwords ja schon eingeführt, wir müssen bei einem neuen Sterne-Album natürlich noch über die Hamburger Schule reden. So nervtötend der Begriff ist, so wenig die Hamburger Schule wirklich eine Jugendbewegung war und eigentlich nur eine kleine Gruppe von Akademikerkids, kann man ihren Einfluss kleinreden. Deutsche Musik, die das Private mit dem Politischen verbindet, ist erst dadurch möglich geworden. Daraus bezieht Spilker immer noch die Fähigkeit, politische Texte zu schreiben, die nichts peinlich-agitatorisches an sich haben. Stattdessen kann er den wunderbar beschwingten Sommerhit "Spilker Immer Mittendrin" schreiben, sich dabei selbst implizieren und voller Freude auf das moralisch falsch-faule Leben schielen, das so süß scheint: "Kapitalismus? / Ich sage: warum nicht / Umweltzerstörung? / Ich bin alt, mich kriegt ihr nicht"
Diesen leichtgängigen Blick auf die private Lebensfreude beantworten Die Sterne sogleich mit dem atemlosen "Die Welt Wird Knusprig". Getragen von einem wunderbar leichtgängig-trockenen Basslauf und gestochen-scharfen Gitarrenriffs erzählt Spilker vom Leben und Leiden des modernen Menschen im Kapitalismus. Die Lebenswelt wird durchrationalisiert, um Jürgen Habermas zu bemühen. Annehmlichkeiten des Kapitalismus kommen zwar in begrenztem Ausmaß beim namenlosen Protagonisten an, die Wut und Enttäuschung ob des Systems sind dennoch permanent: "Und du fragst dich, was war eher da? / Der Ärger oder das System? / Dein Gegner fragt's sich's nicht. Problem."
Denn, das haben Systeme so an sich, der Gegner ist allumfassend. Er korrumpiert sie alle, egal wie gut ihre Intentionen dereinst waren. "Niemand Kommt Unschuldig Raus" singen die Sterne voller Wehmut und krachender Gitarren über die Unmöglichkeit des richtigen Lebens im Falschen. Wir können alle noch so rigoros zum Unverpackt-Laden rennen, der Strom dort kommt trotzdem aus schmutzigen Kohlekraftwerken, und die Straßen, über die wir laufen, sind auch kein naturwüchsiges Produkt. Da ist es nur umso passender, dass Spilker die vielleicht traurigste und wahrhaftigste Zeile der Sterne-Geschichte schreibt: "Deine Existenz / Der Untergang der Welt / Im Keim / Du meinst es doch nur gut / Wie kann das denn sein?" Dazu steigern sich die Streicher beinahe unerträglich in den Pathos, als könnte die Schönheit der Kunst uns doch noch retten.
Einen weiteren, schon bekannten Rettungsversuch unternimmt "Alles Was Ich Will" mit der Flucht in ein Genre, das erst kürzlich von Jochen Distelmeyer geschaffen wurde. Ich nenne es gerne "Hamburger Schule-Protagonist mit dem Ruf der Verkopftheit entdeckt Schmuddelsongs". Während Distelmeyer in "Im Fieber" tatsächlich von Sex sang, verhandelt Spilker lieber die Partnerinnensuche und seine eigene Unfähigkeit dabei. Eingepackt in einen fluffigen Easy-Listening-Sommerhit singt er Zeilen voller Lebensgier und Körperlichkeit wie "Ich bin ja nicht verzweifelt / Nicht mal richtig auf der Suche / Kann ruhig jeder wissen, welche Seiten ich besuche." Solche leicht sinnbefreiten und lockeren Momente sind auf "Hallo Euphoria" immer wieder eingestreut. Auch der Roadtrip-Rocker "Gleich Hinter Krefeld" beginnt mit einer so banalen wie wunderschönen Sekunde: "In der Schlange am Imbiss / Die beste Zigarette." So lässt es sich ganz wunderbar über großangelegte Industrieverschwörungen philosophieren, Bitter- und Krefeld erkunden und die Nacht durchstehen.
Dann, zum Schluss, wird es noch mal ganz groß. "Wir Wissen Nichts" ist langsam, schwerfällig, von erhabener Schönheit und zugleich todtraurig. Mehr Lounge Jazz als Pop, singt Spilker voller Fatalismus eine Hymne auf das Weiter- und Überleben. Denn "Es könnte schlimmer sein / es könnte zu Ende sein."
2 Kommentare
Sandinista!
"Es gibt nur die Kunst, Musik und das Leben. Was soll es sonst geben? Verdammte Euphorie. Ich freu mich sonst nie! Ich hock immer nur so da... Viva Euphoria!"