laut.de-Kritik
Die Opel-Punks erobern das Theater.
Review von Markus BrandstetterDass Die Toten Hosen weder Angst vor dem sogenannten "Kulturbetrieb" noch vor Interdisziplinarität haben, dürfte mittlerweile umfassend bekannt sein. Die Hosen im Burgtheater, die Hosen mit Sinfonieorchester, die Hosen mit Biermösl Blasn, Campino mit Brandauer, Campino mit Wenders, Campino vertont Prokofjew.
1988 sah das noch ein klein wenig anders aus: Campi, Breiti, Kuddel, Andi und Wölli hatten ein Jahr zuvor mit "Nevermind The Hosen, Here's The Rote Rosen" ihren ersten Streich als Rote Rosen auf den Markt gebracht und waren damit erstmalig in die Charts gekommen. Die Hosen waren immer noch die chaotisch-ulkigen Opel-Punks mit den lustig-geschmacklosen bunten Klamotten, die in Talkshows gerne medienwirksam vom Stuhl kippten und herumgrölten.
Dass es das Düsseldorfer Quintett 1988 als Statisten und Musiker auf Einladung von Regisseur Bernd Schadewald ins Theater zog, und zwar für dessen Inszenierung des Anthony-Burgess-Romans "A Clockwork Orange", erschien für damalige Verhältnisse durchaus ungewöhnlich. Die Hosen wurden gebeten, von der Handlung inspirierte Lieder für das Stück zu schreiben, die sie 1988 in Bonn für mehrere Monate als Überleitung zwischen den Akten spielten. Sechs Stücke an der Zahl, die die Band nach Dienstschluss auf der Theaterbühne gemeinsam mit dem früheren Stammproduzenten Jon Caffery aufnahm.
Der zweite Teil des Album-Untertitels "Die Lieder aus A Clockwork Orange und andere schmutzige Melodien" verrät es: Zusätzlich schrieb die Band ein weiteres halbes Dutzend Songs, die zwar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Stück standen, aber die dystopisch-brutale Handlung weiterspinnen. Im Booklet liest sich das wie folgt, gehalten in Nadsat, dem (erfundenen) Slang des Buches: "Es ist aber nicht nur die Geschichte unseres ehrenwerten Droog Alex, sondern auch die einer ganzen Menge anderer Malitchicks, die hier und heute in unserem gromkigen Land leben. Denn der Haufen von holschigen Vecks, der sich Gesellschaft schimpft, ist heute mindestens so bezumnie wie damals."
Gleich mit dem ersten Song der Platte, dem aus der Frege/Meurer-Feder (Campino/Andi) stammenden "Hier Kommt Alex", schufen Die Toten Hosen den vielleicht immer noch stärksten Song ihrer immer noch auf Hochtouren laufenden Karriere. Eingeleitet von Klängen aus Beethovens Neunter beschrieb der Song das beklemmende Szenario des Stücks perfekt:
"In einer Welt in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht / Ist die größte Aufregung, die es noch gibt, das allabendliche Fernsehbild", beginnt "Hier Kommt Alex" und stellt dir die gewaltwilligen Rebellen rund um Alex vor, die der ganzen sterilen Hölle einen Strich durch die Rechnung machen, ritzen und schlagen wollen.
Musikalisch war das zwar immer noch Punkrock, aber eine deutliche Weiterentwicklung. Das Dilettantische trat in den Hinter-, das Kompositorische ein wenig in den Vordergrund, die Musik wurde vielschichtiger, die Ramones hört man dennoch an der einen oder anderen Stelle ganz deutlich heraus.
"1000 Gute Gründe" ist bis heute eines der besten politischen Lieder im Bandkanon. Als Intro übt sich Campino im mehrstimmigen Volksmusikgrölgesang. Dann die Idylle: "Unser Lieblingswort heißt Leistung / Wir sind auf Fortschritt eingestellt / Nichts ist hier unkäuflich / Wir tun alles für gutes Geld / Wir lieben unser Land! / All die Korruption, die Union! /Wir lieben unser Land!", heißt es da. Nur: "Es gibt 1000 gute Gründe, auf dieses Land stolz zu sein / Warum fällt uns jetzt auf einmal kein einziger mehr ein?"
"Ein Schritt Zuviel" kehrt zurück in den "Clockwork Orange"-Kosmos, handelt von der Festnahme von Alex. "Sie haben dich erwischt und es gibt keinen Weg zurück": Protagonist Alex steckt in der Klemme, hat den Bogen überspannt. Seine Zeit im Gefängnis beschreibt dann "Die Farbe Grau": "Der Urteilsspruch des Richters ist gnadenlos gefallen / Vierzehn lange Jahre schickt man dich in Haft / Draußen dreht sich die Welt und sie fragt nicht mal nach dir / Alles, was dich von ihr trennt, ist eine Eisentür", heißt es in den Strophen, ehe der Refrain die Isolation zeigt: "Zähl' jede Stunde, zähl' jeden Tag / Jede Minute ist ein ganzes Jahr / Grau ist die Farbe, die dein Anzug hat / Grau ist die Farbe deiner Zellenwand / Grau ist die Farbe der ganzen Strafanstalt / Grau ist die Farbe von jedem neuen Tag."
Wie es mit Resozialisierung von Alex weitergeht, spinnt anschließend "Zahltag" weiter: "Endlich kann Alex geh'n, denn man hat ihn gezähmt / Sein Wesen umgestellt mit einem Medikament / Er gab seinen Willen für seine Freiheit, es war ihm noch nicht klar / Es war ein viel zu hoher Preis und er hat ihn gezahlt." Nur: Draußen warten nicht nur Freunde. Im Gegenteil: "Zahltag, Zahltag, Zahltag / Die Zeit der Strafe fängt erst für ihn an / Zahltag, Zahltag, Zahltag / Für eine Menschmaschine, die sich nicht wehren kann."
Auch wenn "Ein Kleines Bisschen Horrorschau" vom erzählerischen Konzept gerne ausschweift, um erst später wieder zum Narrativ zurückzukehren, besitzt es einen roten Faden. Die Lieder sind beklemmend, egal ob sie sich um das Endes des Arbeitslebens ("35 Jahre") oder die sich ins Endlose gesteigerte, alles auffressende Sucht (das fieberhaft-ekstatische "Mehr Davon", eines der bemerkenswertesten Stücke des Albums) handelt.
Am Ende verkommt Alex zu einer traurigen, resozialisierten, gebrochenen Figur. Das erzählt das (dem Opener musikalisch idente) Schlussstück "Bye, Bye, Alex": "Der große Rebell von gestern sagt nun für immer 'JA!' / zum bürgerlichen Leben / und den Dingen, gegen die er war. / Er hat die Fronten gewechselt, alle finden ihn wunderbar, / obwohl sich sein Charakter /keineswegs geändert hat. Hey, bye bye Alex! / Nur noch ein Clown, traurig anzuschau'n."
Für Die Toten Hosen begann sich das Uhrwerk danach erst so richtig zu drehen. Mit ihrem Doppel-Album begaben sie sich anschließend "Auf dem Kreuzzug ins Glück": die erste Nummer eins der Band, "Learning English – Lesson One", und "Kauf Mich" folgten. Der Rest, nun, der Rest ist ... ihr wisst schon.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 2 Antworten
in der tat ihre letzte ernstzunehmende veröffentlichung.
Auch wenn schon die hier bereits halbwegs lächerlich klang
Durchaus verdient. Die düstere Stimmung zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Klasse sind auch die B-Seiten der Singles.
Mehr davon ist ein unglaubliches Brett
@doc... Yo, und auf welche erfolgreiche (punk-)Band trifft das nicht zu? Von den ganzen rappern die immer noch von hustlern und ticken rappen nachdem se Gold gegangen sind mal ganz zu schweigen...
Mal allgemein abgesehen davon dass (Konsum, Gesellschafts-)kritik nicht mit armut daher kommen muss (auf die Kirchen schielt)....
an Tagen wie Diesen kann man dem Campino Schlagerprojekt DTH doch keinen Meilenstein mehr geben. Da doch lieber einen für Peter, der macht das wenigstens mit Leib und Seele
Hosen *würg*