laut.de-Kritik
Nüt Fischli noch Fleischli.
Review von Franz MauererDinge, die es in Deutschland nicht gibt: Sexy Albencover. Pisse, der olle Uhlmann, Schnipo Schranke, The Notwist, schlicht undenkbar, wie sie adrett daherschauen; selbst die Fischer kommt kaum über H&M-Stil hinaus. Dafür braucht es Ösis oder wie vorliegend Heidis Landsmänner. Den meisten unter euch dürfte Dino Brandão nicht durch seine ansehnliche Gestalt, sondern durch Brandão Faber Hunger ein Begriff sein, wo er sich mit den kommerziell in einer anderen Liga spielenden Mit-Schwyzern mehr als ordentlich verkaufte. Vorher war er Chef von Frank Powers, die stets ein Stück weit limitiert schienen, zu sehr in der Straßenmusik verankert, aus der Brandão nun mal kommt, und mit einem zu großen Fokus auf seine zu oft eingesetzte Kopfstimme. Alles Wasser den Rhein hinunter! Nach der Debüt-EP folgt nach etlichen gesundheitlichen Problemen nun das erste Album dieses eigentlich erfahrenen Musikers, mit Namen "Self-Inclusion".
Der Titel sagt es schon, es geht englischsprachig zu beim Brugger mit teils angolanischen Wurzeln. Mindestens zwei weitere Dinge verrät uns das schöne "Sweet Madness": Der Aargauer lässt es eher ruhig angehen und hat jegliche Angst vorm Pop, sollte er sie mal gehabt haben, abgelegt. Das bedeutet in seiner Auslegung nicht etwa Bubblegum-Vollgas, aber den offensichtlichen Willen zu ununterbrochen schönen Melodien. Da gibt es schlechtere Ratgeber. Das angenehm verträumte "Sweet Madness" garniert eine gelungene und abwechslungsreiche Gitarrengrundfigur mit Brandãos sanftem Organ.
Dino nahm das Album (fast) komplett solo auf, dann darf man sich auch mal Zeit lassen. Das merkt man "Self-Inclusion" an, was aber nicht unbedingt an der zwar zurückhaltenden, nicht aber skelettierten Instrumentierung läge; es liegt an der ungemeinen Harmonie der Dinge. Beim Opener stört das nicht, alles fließt gemächlich, aber keinesfalls langweilig in eine Richtung, als würden eineiige Fünflinge zusammen musizieren.
Das gilt für die Single "Bouncy Castle", die an Fil Bo Riva erinnert, nur noch bedingt. Das Ding hat den Willen zum Pop, aber die Strophe gerät ein My zu gefällig, der Refrain dafür nicht zu sperrig, aber nicht schmissig genug. Brandão hat das Zeug zum europäischen Popstar, scheint aber selbst zurückzuzucken. Seltsamerweise hört er dann auf, als sich ein Sog ergibt, der viel interessanter als der Popsong davor ist. Dann erst versteht man, warum er sich in Interviews zu Bonga und dem Semba äußert, da hört man es durch, und Junge, das ist mehr als ansprechend. Es ist aber hier leider nur in homöopathischen Dosen vorhanden.
Der Rest ist wie "Coconut" ein für DACH-Verhältnisse gutes Pop-Album (mit Ausnahme des missglückten "Learning Portoguese"), von einem, der sich selbst etwas zu gerne singen hört und dem Fehlschluss aufsitzt, das ersetze eine gescheite Songstruktur oder Mut, mal auszubrechen. So enstehen Songs mit Ideen für vier gute Songs wie "Hybrid", der insgesamt doch sein Potenzial nur andeutet, weil die Ideen wie in "Loser" für sich genommen nicht ausgearbeitet werden und in ihren Ansätzen zu repetitiv geraten. Das macht ihn zwar kaum weniger sympathisch, aber etwas beliebig.
Bessere Milky Chance, was vermutlich unfair ist, der Dino hat sich das aber selbst einbrockt, qua der englischen Lyrics. Diese behandeln zwar die üblichen wichtigen Themen, es ist die richtige Dosis "Angst" und Schmerz dabei, sogar ein Schuss Post-Irgendwas-Bis-Alles-Kritik ("Coma", "Progress", "Pretty", "Hybrid"), weder sind sie aber besonders sprachgewandt noch relatable. Denn für wirklich politische Lyrics fehlt Interesse oder der Arsch im Hösli, ein wenig Nestlé-Bashing oder von den "stolen foundations" erzählen ist halt bequemer, im Kern konservativer Gymnasiastenscheiß, mit Verlaub. Deutsch, Schwyzerdütsch, vermutlich kann er auch Französisch; zwar musizierte er schon mit seiner Band auf Englisch, denen gelang aber halt auch kein Durchbruch.
"Everyday Happy Birthday" dagegen ist wie die meisten persönlichen Songs des Albums nicht besonders eloquent, aber durch und durch sympathisch. Die Grundidee stimmt, Gitarrenelemente kann der Schweizer. Nur fehlt ihm hier, auch wenn hier und auf "Coma" der talentierte Domi Chansorn am Schlagzeug mitspielt, der Partner, ein Korrektiv oder Kontrapunkt. Brandão neigt zum Verharren und Schwelgen in einer Idee. Die ist dann zwar wie hier auch oftmals gut, auch so auf "Pretty", aber Weiterziehen wäre noch besser - oder halt ein doubling down, die Kuh richtig melken, dann Pop draus machen. So ist es weder Fisch noch Fleisch - uninteressant aber auch nicht.
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