laut.de-Kritik
Hat hier jemand Tokio Hotel in eine Zeitmaschine gesteckt?
Review von Michael EdeleOh mein Gott, hat jemand Tokio Hotel in eine Zeitmaschine gesetzt oder sie künstlich um ein paar Jahre altern lassen? Zumindest war das mein Gedanke, als ich Bilder von Diversion zu Gesicht bekam. Vor allem Sänger Kai sieht aus, als ob er gerade beim Heckenstrullen erwischt wurde.
Aber egal, mit "Unsuspicious World" haben die vier Jungs aus dem Stuttgarter Umfeld auf jeden Fall einen Opener am Start, der ordentlich losrockt. Klingt ein wenig nach amerikanischem College-Rock, was aber keine Kritik sein soll. "N.S.F.Y." setzt auf ein deutlich härteres Riff und streckt die Fühler in Richtung Nu Metal aus. Dabei tauchen leichte Parallelen zu den besseren Momenten von 4Lyn auf, die sich in "Briefin You'" fortsetzen. Den mit Lungenkarzinomfilter versehenen Chorus hätten sie sich aber sparen können.
Da Kai aber ein beinharter Fan der Hamburger ist, mag man ihm das nachsehen, liefert er doch sonst (bis auf ein, zwei Ausnahmen) eine ausgesprochen gute Leistung ab. So zum Beispiel bei der Single "Idiot Thoughts", bei der mich die raue Stimme ein wenig an Stefan Hertrich von Darkseed erinnert. Musikalisch müssen sie sich allerdings mit HIM einig werden, ob sie die Riffs und Klaviermelodien irgendwann wieder zurückgeben müssen.
Mit den beiden Halbballaden "Poem To Myself" und "In My Dreams" haben Diversion zwei Songs in der Hinterhand, die fast schon danach schreien auf MTVIVA gespielt zu werden. Was ich an den Nummern vor allem schätze, ist, dass hier nicht die üblichen Celli auftauchen, die in solche Songs in der Regel schon fast obligatorisch reingemischt werden. Gesanglich vermeine ich hier Parallelen zu Sherman Noir von She's China zu erkennen, die aber wahrscheinlich eh kein Schwein mehr kennt. Von Ideenklau kann also keine Rede sein.
"Draw The Line" und "Naughty Places" tendieren immer wieder in Richtung Nu Metal, reizen das Klischee aber nicht zu weit aus. Ganz im Gegensatz zu "Outcry", das neben "Blatant Lie" zu den schwächeren Nummern des Albums gehört. Vor allem bei letzterem ist die Melodie zu beliebig und uninspiriert, und auch Kai übertreibt es mit den gesanglichen Experimenten etwas, wenn er einen auf Radiohead macht. Allein der deutlich an Schweisser erinnernde, deutschsprachige Mittelteil von "Outcry" macht etwas her.
"Lost Myself" rockt anschließend wieder recht unbeschwert drauflos, was auch auf das fast schon poppig zu nennende "Sway The Score" zutrifft. Beide versprühen dabei einfach gute Laune und machen Lust auf Sommer. Geht unterm Strich in Ordnung.
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