laut.de-Kritik
Getrennt durch Jahrzehnte.
Review von Sven KabelitzSchreck lass nach! Wenn ein:e Künstler:in Gedichte eine:r Dichter:in vertont, erwartet uns in 95,7 Prozent aller Fälle ein ebenso unheilbar verkopftes wie verkrampftes Geknurpse. In Form gepresste Reime, nach alter Ledertasche und Cordjacke muffelndes Deutschleher:innentum. Kurz: All das, was in der Musik nichts zu suchen hat. Zu den restlichen 4,3 Prozent zählen Dota mit dem lebendigen "In der Fernsten der Fernen – Mascha Kaléko 2".
Bereits zum zweiten Mal nach "Kaléko" aus dem Jahr 2020 vertonen die ehemalige Kleingeldprinzessin Dota Kehr und ihre ebenso ehemaligen Stadtpiraten die Gedichte der Großstadt-Lyrikerin Mascha Kaléko (1907 bis 1975) mit jüdischen Wurzeln.
Die Nationalsozialisten verboten einst ihre Schriften, nur knapp entgingen diese deren Bücherverbrennungen. 1938 emigrierte sie in die Vereinigten Staaten und kehrte nach dem Krieg nach Westdeutschland zurück, um 1960 nach Jerusalem auszuwandern. Der Philosoph Martin Heidegger schrieb 1959 an sie: "Ihr 'Stenogrammheft' sagt, dass Sie alles wissen, was Sterblichen zu wissen gegeben." Nun schenken Dota ihren Werken eine weitere Dimension, vielleicht wieder ein paar neue Leser:innen.
Die Arbeiten von Kaléko und Kehr gehen dabei so sehr Hand in Hand als hätten beide schon immer miteinander gearbeitet. Ein Songwriterinnen-Duo, getrennt durch Jahrzehnte. Die Gedichte fühlen sich in dem ebenso leicht kauzig schrulligen wie lebendigen Sound der Band zuhause, beginnen die Welt neu zu erkunden. Kein Wunder aber auch, da der melancholische, liebevoll-ironische Ton von Kalékos Arbeiten nach wie vor mitten im Leben steht.
Ihre von Kehr und Dirk von Lowtzow im sich humpelnd dahin schleppenden "In Dieser Zeit" gesungenen Zeilen finden sich ebenso im heute wie im damals zurecht: "Wir haben keine andere Zeit als diese, die uns betrübt mit halb gefüllter Scham / ... / Wir wurden alt, bevor wir jung gewesen / Unser Leben ist ein Nochnichtsterben."
Der Tocotronic-Frontmann bleibt jedoch nicht alleine. Weitere Gäste sind Gisbert Zu Knyphausen, Clueso, Funny Van Dannen, Rainald Grebe, Anna Mateur, Black Sea Dahu und die großartige Malonda ("Mein Herz Ist Ein Dunkler Kontinent"). In der Stimme dieser Frau mit Migrationshintergrund finden die bitteren Zeilen im aus den nebligsten Nachtgassen hervorsteigenden "Der Fremde" Verständnis: "Sie sprechen von mir nur leise / Und weisen auf meinen Schorf / Sie mischen mir Gift in die Speise / Ich schnüre mein Bündel zur Reise / Nach uralter Vorväter Weise / Sie sprechen von mir nur leise / Ich bleibe der Fremde im Dorf."
"In Der Fernsten Der Fernen - Gedichte Von Mascha Kaléko 2" weigert sich jedoch tapfer, durchgehend betrübt zu bleiben. Immer wieder bricht sich die Lebensfreude Bahn: "Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne und an das Wunder niemals ganz gewöhne / Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu! / Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu." singt Kehr munter in "Sozusagen Grundlos Vergnügt". In "Der Gummiball" erfreut sich selbiger an seinem Hüpfen. Ein Auszug aus Kalékos "Freier Wille". Was Monsieur Bällchen übersieht: Er hüpft nur, weil ein Junge ihn wirft.
Entgegen der allgemeinen Vorstellung funktionieren Fortsetzungen eben doch manchmal richtig gut. Diese vor allem weil Dota Kehr sich nicht zu wichtig nimmt, nicht zu sehr in den Vordergrund stellt. Sie verliert nie aus den Augen, wem hier die eigentliche Hauptrolle zusteht. Sie schenkt den Texten neue Kleider in den funkelnsten Farben, die aber vor allem den Charakter der Trägerin unterstützen. Dennoch verkriecht sie sich nie, bleibt immer wieder erkennbar als die Sängerin, die vor nunmehr zwanzig Jahren ihr Debüt "Dota - Die Kleingeldprinzessin & Die Stadtpiraten" veröffentlichte.
Am Ende bleibt nur noch einmal jenem Konzertbesucher zu danken, der Kehr einst nach einem Gig ein Kaléko-Buch mitsamt einer Leseempfehlung in die Hand drückte. Ohne ihn hätte es diese zwei außergewöhnlichen Alben nicht gegeben.
2 Kommentare mit 12 Antworten
Auf ihr bisheriges Gesamtwerk zurück blickend hätte sie sich zumindest von meiner Warte aus längst legitim zur Kleingeldkönigin krönen dürfen. Wurde neulich schon in der Kulturzeit näher vorgestellt, die neue Scheibe. Werde ich mir wohl Ende der Woche zulegen.
@soulburn:
Doppel-CD (oder alternativ die Deluxe-Glüx-Version mit Liederbuch), weil einige richtig gute Sachen auf der Bonus-Scheibe enthalten sind. Ist wie beim ersten Kaléko-Album auch.
Gruß
Skywise
"Ist wie beim ersten Kaléko-Album auch."
Vielen Dank für den Tipp, genau so hätte ich sie eingeschätzt und hab entsprechend schon darauf spekuliert.
Puuuuh... Fremde Gedichte musikalisch vorzutragen ist sehr hart. Fast so hart wie eigene Gedichte unmusikalisch vorzutragen. Auf die ersten Eindrücke fehlt mir hier die nötige Bescheidenheit vor dem Material. Finde ihre Vortragsstil fast schon übergriffig vereinnahmend, eitel.
Puuuuh... Eigene Kommentare mündlich vorzutragen ist bekanntermaßen sehr leicht. Fast so leicht wie eigene Kommentare anonym verschriftlicht in irgendwelche Kommentarspalten zu schmieren. In den überwiegenden Eindrücken fehlt mir hier das nötige Verständnis für die Bedeutung von eigener Bescheidenheit als beständiger individueller Charakterzug bei der Bewertung vermeintlich fehlender Bescheidenheit anderer Individuen. Finde deinen Kommentarstil schon häufiger so übermäßig wie gleichermaßen unangebracht von sich selbst überzeugt, um nicht zu sagen: anmaßend und eitel.
Immerhin haste es versucht.
Du halt nicht, weswegen dein ursprünglicher Kommentar auch so unangenehm arrogant und selbstverliebt wirkt.
Was auch immer Du da siehst, buddy.
Bloß das, was vermutlich die meisten regelmäßigen Teilnehmer*innen von hier auch darin sehen: Dass ich einem Muppet, der hier in hübscher Regelmäßigkeit in der nahezu am wenigsten bescheidenen Manier auftritt, auch am allerwenigsten eine gesunde Einschätzung zutraue, ob irgendwer anders gelungen Bescheidenheit in einem Vortrag walten ließ, die als solche auch beim überwiegenden Teil der Rezipienten ankommt.
Dann sollte ich Eitelkeit doch besonders gut erkennen können
Ne, aber mal ernsthaft. Ist kein krasser Diss von mir gewesen. Empfinde Dotas Vortrag und Instrumentierung nur als eher übergriffig, so daß sie die eigentlichen Gedichte mehr überdeckt als sie strahlen läßt. Ist ein schweres Projekt - wie gesagt. Aber gelungen ist es meistens dann, wenn spartanisch, atmosphärisch vorgegangen wird. Große Musiker hatten es schon vorgemacht. Die ganze Nettes-Liedermacher-Mädchen-Nummer, die sie immer macht, erstickt für mich die Schönheit und das Besondere, die eigentlich in den Texten liegen.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Eben nicht, da du ja des öfteren gezeigt hast (und es auch im letzten Beitrag wieder tust), dass du ein im Vergleich zum Durchschnitt sehr verzerrtes, manchmal gar befremdliches Verständnis von Bescheidenheit pflegst und diese als konstanter trait zumindest in deinem muppet mit zeitweiligem Echtlebengültigkeitsanspruch unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Was dich im besonderen zum äußerst ungeeigneten Kritiker vermeintlich fehlender Bescheidenheit bei anderen macht. I.S.v. erst mal vor der eigenen Haustüre kehren, nicht Wasser predigen und Wein saufen etc.pp.
Ich werde auch nie müde zu betonen, wie toll ich in allem bin. Ist genau meine Art. Komm, schmier Dir mal ne Stulle. Und dann überleg vielleicht mal, aus welchen Gründen genau Du nen ziemlich harmlosen Geschmackskommentar dazu nutzt, um ad hominem herumzustänkern, anstatt mitzuteilen, was Du von der Platte hältst. Meine Arroganz reicht jedenfalls nie dazu aus, um anlasslos Anderen ihre Meinung zu Musik schlechtzreden. Glaube, ungefähr so war das mit den Kommentaren auch mal vor 20 Jahren gedacht.
Finde deinen Vortragsstil halt einfach übergriffig vereinnahmend, eitel. Das ist alles.