laut.de-Kritik

Ermüdender Tauchgang im Algenteich.

Review von

Viel zu erzählen gibt es über "Full Upon Her Burning Lips" nicht. Man könnte argumentieren, dass für Earth andere Maßstäbe gelten als für andere Bands. Es "passiert" nun einmal traditionell nicht viel auf Drone-Alben, Repetition ist hier, wenn gut gemacht, eine Tugend, kein Anzeichen von Ideenlosigkeit. Wer bei Musik also Überraschung, abwechslungsreiche Komposition oder ganz generell Action braucht, ist bei den Genre-Pionieren ganz falsch. Mit ihrem neunten Werk dürften Earth aber trotzdem auch eingefleischte Fans langweilen.

Gitarrist Dylan Carlsons Anspruch bestand darin, Effekte und Instrumentarium im Vergleich zu den Vorgängerplatten zurückzufahren, um Adrienne Davies' Schlagzeug mehr Platz einzuräumen. Entsprechend sucht man Gastbeiträge wie beim 2014 erschienenen, teils mit verhältnismäßig herkömmlichen Songstrukturen liebäugelnden "Primitive And Deadly" vergeblich. Das Duo feiert die Zweisamkeit von Gitarre und Drums, und gestaltet die Stücke als sinnliche Umarmungen gleichberechtigter Partner.

Carlsons erklärtes Ziel sah vor, den ursprünglichen Geist Earths zurückzubringen. Das gelingt ihm zu einem gewissen Grad auch. So reduziert wie auf "Full Upon Her Burning Lips" arbeitete er seit dem Band-Comeback Anfang der 2000er nicht mehr, die Schwere des Proto-Drone der Anfangstage ist zurück, nur wesentlich melodiöser als damals. Schier endlos flicht der Gitarrist seine Linien, erinnert damit ein wenig an Al Cisneros bei Om. Gleichzeitig setzt er die Gitarre als stoische Konstante ein, als Gerüst, zu dem Davis am Schlagzeug behäbig Muster formt.

Was in der Grundidee spannend klingt, ist es in der tatsächlichen Umsetzung nur bedingt. Carlson verfängt sich in immer gleichen Schemata. Das funktioniert noch in den ersten paar Minuten, wird bald arg vorhersehbar, ermüdet auf Dauer. "Full Upon Her Burning Lips" wirkt teilweise wie ein Jam, bei dem alle Beteiligten auf Nummer sicher gehen, um nur ja den Flow nicht zu zerstören. Probiert den Skip-Test: Oft könnte man von der Mitte eines Songs in die Mitte eines ganz anderen springen ohne zu merken, dass die Melodie eine andere sein soll.

Nur selten brechen Earth erfolgreich aus. In "The Colour Of Poison" belohnt ein zwingendes Riff die Hörergeduld. Endlich mündet das sonst meist ziellose Songbuilding in einem Höhepunkt. Das auf Spielpausen besonnene Riffing erinnert an Black Sabbath in Zeitlupe. Auch "The Mandrake's Hymn" sticht positiv heraus, wegen leichterem Feel, griffigen, überlegt durchkomponiert wirkenden Harmonien und der mithilfe eines Windspiels erzeugten, räumlichen Atmosphäre.

Sowohl Carlson als auch Davies brechen hier aus ihrer Routine aus. Trotzdem fragt man sich: Würde irgendjemand danach krähen, wenn eine mittelmäßige Stoner-Truppe dieses Main-Riff spielen würde? Ich wage zu behaupten: nein. Earth bauschen eine okaye Grundidee mit ihrer Erfahrung zu einem atmosphärisch reizvollen Track auf, an echter Substanz mangelt es aber.

"Bei repetitiver Musik brauchst du etwas, sei es ein Riff oder eine Melodie, das du erneut hören möchtest. Einprägsame Riffs zu schreiben, ist der Schlüssel. Sie sollten stark und interessant genug sein, um Wiederholung zu auszuhalten", meint Carlson. Auf "Full Upon Her Burning Lips" gelingt ihm das nicht. Selbst endlose Wiederholung verankert die vertretenen Motive nicht im Kopf.

Earth schaffen ein zähes, minimalistisches Werk, das alte Fans wegen seiner meditativen Aura schätzen werden, auch wenn die Noise-Kulisse früher Tage fehlt. Zugunsten des Minimalismus' geben Earth das auf den Alben seit "Hex; Or Printing The Infernal Method" immer weiter ausgebaute, vielschichtige Songwriting auf. Leider verschwinden dabei nicht nur Instrumente, sondern auch spannende Handlungsbögen aus den Kompositionen.

Stellt euch vor, ihr taucht in einen zähflüssigen Algenteich und bahnt euch langsam euren Weg ans andere Ufer, während ihr mit beiden Händen dichte Seerosengeflechte aus dem Weg räumt. So klingt "Full Upon Her Burning Lips". Lässt man sich drauf ein, kann das für eine Zeitlang eine interessante, weil ungewöhnliche Erfahrung sein. Nur stehen die Chancen etwa 50:50, dass man auf halbem Weg einpennt und ersäuft.

Trackliste

  1. 1. Datura's Crimson Veils
  2. 2. Exaltation Of Larks
  3. 3. Cats On The Briar
  4. 4. The Colour Of Poison
  5. 5. Descending Belladonna
  6. 6. She Rides An Air Of Malevolence
  7. 7. Maiden's Catafalque
  8. 8. An Unnatural Carousel
  9. 9. The Mandrake's Hymn
  10. 10. A Wretched Country Of Dusk

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