laut.de-Kritik
Kampf für die Freiheit - und mit sich selbst.
Review von Dominik LippeWidersprüche durchziehen wohl jedes System, jede Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen. Mit ihrem vierten Soloalbum möchte Ebow "den widersprüchlichen Sehnsüchten auf den Grund" gehen, die "unsere Zeit in sich" birgt. Die Rapperin müsse "sich kein Alter Ego zulegen, um Ambivalenzen zu verbergen, verspricht der Pressetext. Sie halte sie einfach aus. Nachdem Ebow sich auf "K4L" auf der Community-Ebene bewegte, schwankt sie nun verstärkt zwischen Persönlichem und dem großen Ganzen. "bExcalibur" teile "Canê" in eine offensive und eine behutsamere Seite.
Behutsames Läuten leitet auch die härtere Hälfte in "Dersim62" ein. Umso kämpferischer inszeniert sich die Rapperin in ihrem Text. "Mein einziger Fight ist, dass meine Leute frei sind." In der heute unter dem Namen Tunceli firmierenden türkischen Provinz Dersim schlug die Regierung einst einen Aufstand blutig nieder. 2011 entschuldigte sich Präsident Recep Tyyip Erdoğan für die Ereignisse, denen knapp 14.000 Kurden zum Opfer gefallen waren. Zum aufgeräumten Instrumental skandiert Ebow ohne Schärfe: "Free my people, free meine Leute, Kurdistan, free meine Träume."
Um ihren Kampf breit aufzustellen, weicht der bildungsbürgerliche Anstrich, den sie sich auf "Komplexität" gegeben hat, einem antielitären Ansatz: "Ficke deinen Intellekt. Komm' mir nicht mit Uni-Slang. Dein Shit bleibt in der Uni hängen." Zugleich wischt sie die Rap-Industrie als "Slapstick" beiseite. Auch in "Araba", das sich zwischen Trap-Pose, religiöser Symbolik und lesbischen Beziehungen bewegt, sowie in "Shelly-Ann Fraser-Pryce" distanziert sie sich von den Kollegen, denn "vor Sero und Mero gab's Ebow" und die ist "ein Artist, kein fucking Showstar."
Diese Abgrenzung bedeutet aber nicht generelle Ablehnung. Vor allem in "Prada Bag" eignet sich die Rapperin die Ästhetik und Attitüde ihrer weniger weitsichtigen Kollegen an, aber nicht etwa, um deren Spiel ironisch zu brechen, sondern um als Anwältin zu fungieren. So steigt sie nach anfänglichem Geprahle in ein Referat über den soziologischen Ursprung der Markenfixierung ein. "Wenn du in einer Gesellschaft aufwächst, die dich immer als Mensch zweiter Klasse sieht, immer von oben herab, dann ist deine einzige Möglichkeit auf gleicher Augenhöhe zu stehen, ihnen zu imponieren."
Besagte Augenhöhe lasse sich – vielleicht – mithilfe eines erfolgreichen Studiums und Jobs erlangen, aber wer auf diesem Weg scheitere, müsse sich das nehmen, "wovon sie denken, dass es dir nicht zusteht." Ebow veranschaulicht die Beweggründe marginalisierter Gruppen, ohne die Zustände zu beschönigen: "Das traurige daran ist, dass du mehr Respekt vor dem Kapitalismus an mir hast, als vor mir selbst." So klug und empathisch sie sich auch präsentiert, drängt sich nach ihrem mehrminütigen Vortrag doch die Frage auf, ob eine aktivistische Rolle nicht besser zu ihr passte als die musikalische.
In der Rap-Rolle ringt sie in der zweiten Hälfte um eine ausgeglichene Miene zum verkopften Spiel. Mal schmälert sie das eigene Engagement im Vergleich zu ihren Vorfahren und der entfernt lebenden Verwandtschaft ("Excalibur"), mal hadert sie im Allgemeinen mit sich ("Trouble"). Im Titelsong kehrt sie schließlich zu ihrem Ursprungsmotiv zurück. All die Intra- und Interrollenkonflikte, das Scheitern an den eigenen Ansprüchen, die eigene Heuchelei und sonstige Widersprüche, die wohl jeder in der einen oder anderen Form mit sich aushandeln muss, kulminieren in der Aufzählung von "Canê".
Für die Hörerschaft dürfte ihr Hauptwiderspruch im Stil liegen. Ebow vermag es, in ihren Songs stets eine regelrecht intime Atmosphäre zu erschaffen, wirkt zugleich aber immer auch distanziert. Besonders deutlich tritt dies bei "Shy" zutage. "Tanze solo, DJ spielt Migos. Als du ankommst, changt sich der Fokus", leitet sie zarte Annäherungsversuche ein: "Irgendwas muss ich jetzt machen. Noch einen Shot, der mir die Angst nimmt. Ich würd' so gerne mit dir tanzen, doch bin gefangen in mein' Gedanken." Bislang fehlt ihr der Ausweg aus der Zerrissenheit, aber sie zu reflektieren, ist schon viel Wert.
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