5. April 2024

"Ich möchte beim ESC die Schweiz vertreten"

Interview geführt von

Die Einstürzenden Neubauten begannen mit Krach-Orgien in West-Berlin mit dem Ziel, sich vom Massengeschmack abzugrenzen. Als Instrumente dienten ihnen Hämmer, Sägen und Bohrer. Seit Mitte der 80er-Jahre experimentieren sie auf der Bühne mit sogenannten "Rampen", öffentlichen Improvisationen mit offener Entwicklung und Ausgang.

Über die Jahre haben sich die Einstürzenden Neubauten dem Pop immer mehr geöffnet. Dennoch blieben diese öffentlichen Improvisationen immer Bestandteil ihrer Liveshows. Für "Rampen (APM: Alien Pop Music)" haben sie die vierzehn besten von der 2022er-Tournee in den Candy Bomber Studios mit Producer und Soundengineer Ingo Krauss neu eingespielt und um eine Studiorampe ergänzt. Mit "Alien Pop Music" schenken die Berliner allen Außenstehenden auch gleich ein neues Genre.

In einem Zoom-Call spricht mit uns Mastermind Blixa Bargeld über das Album, über Can und über seine ESC-Pläne.

Die Improvisation blieb immer Bestandteil eurer Konzerte. Diese Improvisationen vor Publikum werden von euch "Rampen" genannt. Seit wann experimentiert ihr auf der Bühne mit sogenannten "Rampen" und was kann man sich unter dem "Rampen"-Konzept konkret vorstellen?

Naja, es ist eigentlich eher umgekehrt. Als wir angefangen haben, zu spielen, da gab es ja noch nicht mal irgendwelche Veröffentlichungen und wir haben auf der Bühne nur improvisiert. Und mit der steigenden Anzahl von Veröffentlichungen und damit auch der Tatsache, dass wir einfach auch bestimmte Stücke wiederholen konnten oder von mir aus auch verändert wiedergeben konnten, entstand dann überhaupt erst das, was man im Allgemeinen Setlist nennt. Also eine Konzertabfolge. Bis in die späten 80er-Jahre hatten wir nie eine Setlist. Wir wussten zwar, wir können bestimmte Stücke spielen, die haben wir dann auch irgendwann in den Konzerten gespielt. Wir haben meistens nur festgelegt, okay, jetzt gehen wir raus und machen das. Aber da war immer noch Improvisation und ein sehr großer Anteil am Konzertgeschehen. Und das wurde nach und nach weniger.

Aber wir haben es bis heute immer noch beibehalten, dass wir in jedem Konzert eine Rampe spielen. Rampe war immer sozusagen die Abkürzung für Abschussrampe: Also, dass man mit etwas anfängt, was sich dann irgendwie steigert und von wo wir dann irgendwo hinkommen, wo wir vorher nicht waren. Das kann man sich so allgemein darunter vorstellen. Das heißt, es war immer ein gewisser Überraschungseffekt damit verbunden, weil einfach auch niemand wusste, was der andere tun wird. Ja. Und das ist jetzt soweit formalisiert, dass ich sagen würde, dass ich eben die Sachen, die wir auf der letzten Tour gespielt haben, die habe ich dann schon mal gestützte Rampen genannt, weil es in dem Sinne Minimalverabredungen gab, was wir machen werden. Wir spielen jetzt ganz schnell, oder Jochen (Arbeit) fängt an oder wir spielen "Gesundbrunnen", Guess, D, B, E. Und das sind einfach so Minimalverabredungen.

Und zusätzlich zu den Minimalverabredungen habe ich in meinem Teleprompter dann immer noch eine Auswahl an Fragmenten, die ich alle paar Konzerte erneuert habe. Einfach Fragmente, Gedanken, Notizen, die ich irgendwann mal formuliert habe, aber nie weitergeführt habe, die nie irgendwo zum Song geworden sind oder so, wo ich aber gedacht habe, das hätte vielleicht das Potenzial, dass man da irgendwas herausziehen könnte. Und meistens habe ich dann auch, weil ich mich nicht mehr unbedingt darauf verlassen wollte, dass mich nun in der Live-Improvisation plötzlich die Inspiration übermannt und mir einen drucksicheren neuen Text eingibt, ein bisschen mit Fragmenten gearbeitet und dann angefangen über dieses Skelett zu formulieren und über dieses Skelett Fleisch anzusingen. Und meistens hat das auch irgendwie geklappt. Das kann man sich darunter vorstellen.

Bis wann reichen diese Fragmente zurück?

Ich glaube, das älteste Fragment auf diesem Album ist "Aus Den Zeiten", und das müsste so 2004 sein. Das jüngste war nur zwei Wochen alt. Aber sie sind auch relativ zufällig ausgewählt. Also wenn dann am Abend sich die Improvisation in irgendeine bestimmte Richtung entwickelt hat, habe ich geguckt, was könnte ich jetzt machen, was passt, wo geht es in die richtige Richtung. Meistens habe ich mehr als einen Versuch gemacht, habe das dann auch am Ende des Albums immer noch so drin gelassen. Also es gibt sozusagen Strata, also verschiedene Schichten von Sachen, die da ausprobiert werden und eine führt nirgendwo hin und eine andere führt dann vielleicht irgendwo hin.

"Das meiste klingt wiedererkennbar so, wie es live auf der Bühne war"

Ihr habt für "Rampen (APM: Alien Pop Music)" aus den 23 Rampen eurer 2022er-Tournee die vierzehn besten ausgewählt und Stück für Stück im Berliner Candy Bomber Studio neu eingespielt. Was hat sich im Vergleich zu den Liveversionen geändert, als ihr im Studio an den Stücken gearbeitet habt?

Nicht so viel. Wir mussten nicht alle Zeit darauf verwenden, neue Sachen zu finden, neue Instrumente, neue Strategien zu entwerfen oder einfach Klangforschung zu betreiben, weil es bestand ja sowieso schon alles aus dem Instrumentarium, was wir die ganze Zeit mitgeschleppt haben. Und das hat einfach den ganzen Prozess beschleunigt. Das meiste klingt deswegen auch wiedererkennbar so, wie es dann auch live auf der Bühne war, weil es sind eh dieselben Instrumente.

Es ist vieles auch in einem Take entstanden.

Alles. Wir spielen immer so. Hinterher werden auch noch Overdubs gemacht.

Was hat es eigentlich es mit dem Zusatz Alien Pop Music oder APM: Alien Pop Music zu tun?

Es ist die Erfindung eines neuen Genres. Es gibt ja Millionen von Genre-Bezeichnungen und so weiter. Ich dachte, vielleicht ist es auch an der Zeit, nach Geniale Dilettanten 1981 oder 1982 jetzt mal wieder ein neues Genre zu erfinden. Das können auch andere Menschen benutzen, die finden, dass sie auch außerirdische oder fremdartige Popmusik machen. Man darf sich diesen Begriff Popmusik auch nicht so einfach stehlen lassen. Popmusik sollte nicht einfach nur die Musik der Mehrheit sein. Es muss eine Popmusik der Andersartigen geben.

Ja, der Aliens, der Außenstehenden.

Der Anderen, der Andersartigen, der Fremdartigen. Ja, so habe ich das gemeint. Zu der populistischen Popmusik muss es auch noch eine geben, die man sich erst mal neu erobern darf als Minorität.

Auf dem Cover sieht man das alte Bandlogo aus frühen "Kollaps"-Tagen. Sollte es mit der Platte wieder mehr zurück zu den eigenen Wurzeln gehen oder haben Sie sich darüber eher weniger Gedanken gemacht?

Das ist nicht ganz richtig. Diesen Font habe ich damals für "Kalte Sterne", also für die Single vor "Kollaps", entworfen, und zwar in der Druckerei von der Tageszeitung taz, die mir das freundlicherweise erlaubt hat. Mit der Repro-Kamera habe ich diesen Font entwickelt. Und den habe ich immer wieder verwendet. Also bei "Halber Mensch" ist auch schon wieder derselbe Font. Das ist nicht nur bei "Kollaps" und davor. 

Es passte am besten zu dem Konzept, das "White Album" der Beatles zu zitieren im Cover. Das Cover ist jetzt ja einfach nur gelb. Und da ist in Prägedruck Einstürzende Neubauten mit dem Logo. Da passte dieser Font besser als jetzt irgendwie Helvetica oder so einen gesichtslosen Schriftzug dahin zu machen. Ich habe es noch nie in zwei Zeilen geschrieben, also Einstürzende Neubauten in zwei Zeilen mit dem Logo daneben. Das ist auch neu.

"Ich möchte die Schweiz beim ESC vertreten"

"Planet Umbra" entstand spontan im Studio, wenn ich richtig liege.

Ja, das ist eine Studiorampe.

Erzählen Sie doch, wie es zu dem Stück kam.

Also, als wir angefangen haben, auf dieser Tour Rampen zu spielen, hat Jochen sich gedacht, er möchte dann nicht immer an die Gitarre gebunden sein und hat eine ganze Kollektion von selbstgebauten Instrumenten mitgebracht. Die hat er dann auch in den verschiedenen Rampen, also etwa jedes zweite Mal hat er dann ein neues Instrument verwendet in diesen Rampen, was die ganze Klangfarbe sehr bereichert hat. Im Studio spielte er dann auch ein neues Instrument. Das spielte er erst mal so alleine vor sich hin und dann sind wir so alle tatsächlich nach und nach da eingestiegen.

Wissen Sie, wir haben uns erst gedacht, nachdem diese Sachen nach und nach fertig wurden, das wird ein Album. Und nachdem dann immer mehr Stücke fertig wurden, war es klar, nee, die anderen Sachen müssen wir auch veröffentlichen. Die sind zu gut, als dass man die jetzt einfach weglässt oder irgendwie so als Bonustrack irgendwo versteckt oder so. Und ich hatte dann, als es klar war, dass es ein Doppelalbum wird, immer gedacht, das muss jetzt so sein wie so ein klassisches Deutschrock-Doppelalbum: "Tago Mago" by Can oder irgendwas, wo so ein ganz langgezogenes Stück drauf ist. Erst mal eine Seite mit Einzelstücken und dann die Seite drei machst du dann eine lange fließende Nummer. Und das war dann eben mein Wunsch. "The Pit Of Language", "Planet Umbra" und "Tar & Faethers", das fließt von einem ins nächste. Das war meine Vorstellung.

Die Basis-Rampe für "Besser Isses" entstand in Paris, als Patricia Kaas sie gebeten hatte, ein Lied für sie zu komponieren.

Umgekehrt, umgekehrt. Patricia Kaas hat mich am Anfang der Pandemie erstens gebeten, mit ihr ein Duett zu singen und zweitens, ich sollte ihr noch einen Rocker schreiben. 

Wenn da zuerst ein Duett ist, habe ich gesagt, gut, dann schreibe ich den Rocker als das, was man heute Break-up-Song nennt: "Ich ohne dich, du ohne mich, besser ist es." So! Das ist die minimalste Version eines Break-up-Songs. Das habe ich dann natürlich so ein bisschen ausgefleischt und ausgefächert und am Ende hörte es sich dann so an, also bei uns in der Version, als wäre es ein Break-up-Song zwischen dem Universum, Gott und mir.

"Ick Wees Nich (Noch Nich)" kommt in Berliner Mundart daher.

Ah, das war in Wien. In Wien bin ich rausgegangen, hab gedacht, okay, wir sind in Wien jetzt, jetzt singe ich mal Berliner Mundart.

Neuerdings umtreibt Sie die Beschäftigung mit biologischem Determinismus und wie man diesem binären Ansatz entkommt. Sie haben auf der Platte ein paar Lösungen gefunden und Dinge formuliert, wie Sie sie vorher noch nicht formuliert haben, weil Sie Ihnen noch nicht so klar waren. Welche Dinge waren Ihnen davor noch nicht so klar gewesen?

Im biologischen Determinismus ist einfach auch die Tatsache anzunehmen, es gäbe Abweichung. Und diese Dinge, die sozusagen im falschen Körper sind. Das ist ja alles schon eine Abwehrhaltung. Das Spektrum biologischer Möglichkeiten ist quasi von mir aus endlich, aber gigantisch. Und nicht jede Form davon zu akzeptieren ist die Akzeptanz von biologischem Determinismus. Es ist für mich einfach die nächste Stufe jenseits von Evolution, zu sagen, ich kann sein, was immer ich sein will.

Welche Pläne verfolgen sie in naher Zukunft? Von Teho Teardo sollte ja schon letztes Jahr ein neues Album kommen. Das wurde ja verschoben.

Ja, ja, nicht fertig geworden. Wir sind ja im Herbst auf Tour. Ich hoffe, ich schaff das diesmal. Und ich habe schon wieder vier neue Stücke für die Schweizer Band KiKu aufgenommen. Mit Kiku habe ich schon ein oder zwei Alben gemacht und jetzt habe ich für das neue Album vier Stücke aufgenommen. Und wenn es klappt, möchte ich beim Eurovision Song Contest die Schweiz vertreten.

Danke für das schöne Gespräch.

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