laut.de-Kritik

So richtig klappt das mit der Rente nicht.

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Nachdem "National Ransom" 2010 sein letztes Studioalbum gewesen sein sollte, nahm Elvis Costello 2013 mit den Roots "Wise Up Ghost" auf (weil es Spaß gemacht habe) und ließ 2018 "Look Now" folgen (weil er nach einer Tour das fertig arrangierte Album im Kopf gehabt habe). Nun steht gar Ruhestand-Platte Nummer drei in den Regalen. So richtig klappt das mit der Rente also nicht.

Die beste Nachricht ist erst mal, dass die Krebserkrankung, an der Costello im Frühjahr 2018 litt, besiegt ist. Oder gar nur ein Missverständnis war, wie er erbost im Herbst jenes Jahres in einem Interview erklärte: Im Mai sei ein kleiner, aggressiver Tumor entfernt worden. Anschließend habe er zu schnell seine Tour wieder aufgenommen und wegen Erschöpfung abbrechen müssen. Seit der OP sei gesundheitlich aber alles wieder im Lot.

Musikalisch hat diese Zeit keine Spuren hinterlassen. Zu orientalischen Klängen trägt Costello im Opener ein Gedicht mit der mehrfach wiederholten Feststellung vor: "Love is the one thing we can save". Gleich im Anschluss folgt die räudigste Nummer, die er seit Jahren aufgenommen hat. Eine wahre Punk-Hymne, angefangen beim Titel, "No Flag". "I've got no religion / I've got no philosophy / I've got a head full of ideas and words that don't seem to belong to me ... No flag waving high above". Nihilismus wie zu Zeiten der Sex Pistols, dazu noch im Alleingang aufgenommen: "Mouth, drum, Fender Jazzmaster, Hammond organ & Fender Jazz bass: Elvis Costello", verrät das Booklet.

Um die Bandbreite nochmal zu erweitern, folgt als drittes Stück eine herzzerreißende Ballade mit gezupfter Gitarre und jazziger Begleitung. Die hohen Töne, mit denen er in der Vergangenheit immer wieder Probleme hatte, trifft er hier tadellos. Costello klingt nicht wie Mitte 60, sondern eher wie Mitte 20.

Das mag an den unverkrampften Aufnahmebedingungen liegen. Hielt Costello 2018 die Zügel noch straff in der Hand, machte er es nun genau umgekehrt - er ließ sich treiben. Drei Stücke ("No Flag", "We Are All Cowards Now" und das fast schon Hip Hop-artige "Hetty O'Hara Confidential") nahm er solo im Februar in Helsinki auf. Gleich im Anschluss reiste er für ein Wochenende nach Paris. "Ich sang live auf dem Studioboden und führte Regie von der Gesangskabine aus. Wir haben neun Lieder in zwei Tagen aufgenommen. Wir sprachen sehr wenig. Fast alles, was die Musiker spielten, war eine spontane Reaktion auf das Lied, das ich sang", so Costello.

Mit im Studio waren Keyboarder und Pianist Steve Nieve, der Costello mit Unterbrechungen seit seinem ersten Album (1977) begleitet. Und das von Nieve zusammengestellte "Le Quintette Saint Germain", bestehend aus Mickaél Gasche (Trompete, Horn), Pierre-François 'Titi' Dufour (Cello), Ajuq (Schlagzeug und Perkussionen) und Renaud-Gabriel Pion (Klarinette, Saxophon und weitere Blasinstrumente) und ihm selbst.

Erstaunlich, welche Spielfreude sie an den Tag legen. Dass Costellos Stimme und die Instrumentierung stellenweise eine halbe oder ganze Note auseinanderliegen, mindert das Ergebnis nicht. Im Gegenteil: Der leicht scheppe Klang passt gut zu Swing meets Rock'n'Roll (der Titeltrack "Hey Clockface", der in Fats Wallers "How Can You Face Me" übergeht), schrägen 80er Pop ("We Are All Cowards Now"), besonders aber zu den zahlreichen Balladen. "I Do (Zula's Song)" weckt Erinnerungen an das eigene Stück "Shipbuilding" von 1983, für das Chet Bakers ein großartiges Trompetensolo aus dem Ärmel schüttelte. "The Last Confession Of Vivian Whip" und "Byline" klingen dagegen schon fast wie Hommagen an George Gershwin.

Damit aber nicht genug: Nach dem Beginn der Corona-Pandemie kamen noch zwei weitere Stücke hinzu. Die Begleitung zu "Newspaper Pane" und "Radio Is Everything" nahm Produzent Michael Leonhart mithilfe von Gitarrist Bill Frisell in New York auf, Costello ergänzte seine Stimme von London aus. Klanglich wirken sie etwas kühler als die anderen Lieder. Um die Produktion des Albums kümmerte sich schließlich von Los Angeles aus Sebastian Krys, der 2018 schon "Look Now" verantwortete.

"Ich wollte "Helsinki-Paris-???" auf das Plattencover schreiben, als wäre es ein Parfüm oder eine Werbeagentur, so Costello. Schließlich entschied er sich doch für einen eher konventionellen Titel, wobei er damit tatsächlich das Zifferblatt einer Uhr meint und sich leicht ironisch darüber wundert, wie schnell - oder langsam - die Zeit manchmal vergeht.

"Hey Clockface" ist ein vielseitiges Album, das spätestens mit dem zweiten Stück "No Flag" für Aufmerksamkeit sorgt und doch auch viele Momente der Gesinnung bietet. "Ich hatte davon geträumt, in Paris eines Tages auf diese Weise aufzunehmen", so Costello. Dass dieser Traum nun wahr geworden ist, hört man dem Werk an.

Trackliste

  1. 1. Revolution 49
  2. 2. No Flag
  3. 3. They're Not Laughing At Me Now
  4. 4. Newspaper Pane
  5. 5. I Do (Zula's Song)
  6. 6. We Are All Cowards Now
  7. 7. Hey Clockface/How Can You Face Me
  8. 8. The Whirlwind
  9. 9. Hetty O'Hara Confidential
  10. 10. The Last Confession Of Vivian Whip
  11. 11. What Is It That I Need That I Don t Already Have
  12. 12. Radio Is Everything
  13. 13. I Can't Say Her Name
  14. 14. Byline

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